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Handwerk in der Region

"Zahlen untermauern Krisenfestigkeit"

Anita Fertl
  • Mi, 07. Juli 2021, 16:20 Uhr
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Anzeige Interview mit Johannes Ullrich über Lage und Herausforderungen des Handwerks im Kammerbezirk Freiburg.

Haben als körpernahe Dienstleister stark unter Corona zu leiden: die Friseure. Foto: Ronny Hartmann
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Sie ist in diesen Tagen besonders gefragt: Die 1901 gegründete Handwerkskammer Freiburg vertritt die Interessen der rund 15 353 südbadischen Handwerksbetriebe. Im Gespräch mit Anita Fertl spricht der Präsident der Handwerkskammer Freiburg, Johannes Ullrich, über die Auswirkungen der Pandemie, die Lehren aus der Krise und über das große Zukunftsthema.

BZ: Herr Ullrich, anfangs schien das Handwerk mehrheitlich gut durch die Krise zu kommen. Wie sieht es aktuell aus?
Johannes Ullrich: Im ersten Quartal 2021 waren in allen Bereichen negative Auswirkungen der langen Lockdownphase spürbar. Teilweise haben Betriebe – gerade bei den körpernahen Dienstleistungen – alle Rücklagen aufgebraucht und sogar schon die Altersvorsorge angegriffen. Die seit Mitte Mai greifenden Öffnungsschritte geben unseren Unternehmen wichtige Perspektiven. Im Bau- und Ausbaubereich bremsen allerdings nun Preissteigerungen und Materialknappheit die Betriebe aus.

BZ: Wie äußert sich das konkret?
Ullrich: Bei Konstruktionsvollholz werden etwa Anstiege um mehr als 100 Prozent gemeldet. Zudem werden Rohstoffe kaum oder nur sehr verzögert geliefert. Das sorgt dafür, dass Bauunternehmen trotz voller Auftragsbücher über Kurzarbeit nachdenken.

BZ: Es fehlt also momentan nicht an Aufträgen, sondern am Material.
Ullrich: Ja. Im Bau- und Ausbaubereich sind aktuell viele Handwerker weiterhin gut ausgelastet. Allerdings sorgen, wie gesagt, Probleme für Verzug, die die Handwerker nicht zu verantworten haben. Beispielsweise hat eine enorm gestiegene Holznachfrage in den USA und China leere Lager in Deutschland zur Folge. Auch Stahlbeton, Gips und weitere Rohstoffe sind knapp und teurer. Betriebe müssen teilweise mehrere Monate auf Baumaterialien warten.

BZ: Die Pandemie hat aber auch gezeigt, dass das Handwerk sich digital aufgestellt hat – etwa mit dem digitalen Azubi-Speed-Dating, das im März und April Jugendliche und Ausbildungsbetriebe zusammenbringen sollte. Wie waren die Rückmeldungen?
Ullrich: Die digitalen Berufswahlangebote haben in den letzten Monaten einen starken Schub erfahren. Auch die Betriebe sehen in diesen Angeboten einen hohen Nutzen. Mit dem digitalen Azubi- Speed-Dating im Frühjahr, aber auch dem ähnlichen Angebot "It’s a match" konnten wir erste Erfahrungen in diesem Bereich machen. Zahlreiche Gespräche mit Bewerberinnen und Bewerbern fanden statt. Der digitale Baustein ist sicherlich eine Ergänzung der Berufsorientierung und kann auf dem Weg zur Digitalisierung eine Rolle spielen. Die Angebote sind ein interessantes Instrument zur Ansprache von Jugendlichen, das auch nach der Coronazeit weiterhin eingesetzt werden kann.

Johannes Ullrich (59) ist
Malermeister und leitet seit 1999 den Familienbetrieb. Seit 2000 gehört er zum Vorstand des Landesinnungsverbands Südbaden und ist seit 2014 Präsident der Handwerkskammer Freiburg.


BZ: Apropos Auszubildende: Ende 2020 konnte die Handwerkskammer Freiburg nach einem knappen Jahr Corona noch eine gute Bilanz ziehen, mit lediglich einem Prozent Rückgang und 2294 neuen Auszubildenden. Wie ist die Lage aktuell?
Ullrich: Die Zahlen liegen etwa auf Vorjahresniveau. Allerdings ist es für belastbare Aussagen zum kommenden Ausbildungsjahr zu früh. Außerdem sorgen zahlreiche Komponenten für zusätzliche Unsicherheit. Die fehlenden Möglichkeiten für Betriebspraktika und Probearbeit sorgen aktuell vermutlich für eine Dämpfung. Zum Glück gibt es hier aber auch positive Aspekte wie etwa die Ausbildungsprämie.

BZ: Gilt noch nach wie vor die Maxime: Es gibt genügend Arbeit, aber zu wenig Personal?
Ullrich: Die Krise sorgt aufgrund von Schließungen oder anderen Vorgaben für Auftragseinbrüche, die es sonst nicht geben würde. Damit können viele Handwerker immer noch nur eingeschränkt arbeiten. Das Thema Fachkräftemangel bleibt jedoch ein dringliches Problem. Eine aktuelle Studie des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung spricht deutschlandweit von etwa 65 000 Fachkräften, die im Handwerk fehlen, um theoretisch alle offenen Stellen zu besetzen. Die Studie zeigt aber auch, dass das Handwerk bei den offenen Arbeits- und Ausbildungsstellen nicht so stark von der Pandemie betroffen war wie die Gesamtwirtschaft. Die Zahlen untermauern damit die Krisenfestigkeit des Handwerks.

BZ: Welche Fragen treiben Sie aktuell jenseits des Virus um?
Ullrich: Das wesentliche Zukunftsthema ist Nachhaltigkeit und Klimapolitik. Ohne das Handwerk werden wir die Klimawende nicht schaffen. Gewerke wie Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik, Elektrotechniker und viele weitere sind sozusagen Nachhaltigkeitsmotoren. Aus unserer Sicht wird dies eine extrem erhöhte Nachfrage nach handwerklichen Dienstleistungen nach sich ziehen – vor allem im Bereich der Gebäudesanierung. Damit die Betriebe die vielen Aspekte von den Fachkräften über die Anforderungen bis hin zu den Geschäftsmodellen umsetzen können, werden wir ihnen auch bei diesem Themenfeld unterstützend zur Seite stehen.
Aktuelle Jobs im Handwerk finden Sie hier.

Ressort: PR-Anzeige

Dossier: Handwerk in der Region

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Di, 22. Juni 2021: PDF-Version herunterladen

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