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Medizin

Armprothesen ermöglichen ein fast normales Leben

  • Sa, 11. März 2017
    Beruf & Karriere

Aktuelle Technik ermöglicht es Betroffenen, auch nach einer Amputation mit Armprothesen einfache Bewegungen des Alltags auszuführen.

Orthopädietechniker können heutzutage Prothesen herstellen, mit denen Patienten ihre künstlichen Arme und Hände selbstständig bewegen können. Mittels Myoelektrik können sie die einfachen Dinge des Alltages wieder bewältigen – etwa Gemüse schneiden, Briefe öffnen oder Auto fahren. Der Umgang mit den Prothesen muss aber erlernt werden, erklärt Mona Seifert, Geschäftsführerin der Seifert Technische Orthopädie GmbH in Bad Krozingen.

Das Fehlen eines Körperteils, etwa durch eine angeborene Fehlbildung oder einen durch einen Unfall verursachten Verlust, ist für die Betroffenen oft eine große Einschränkung. Myoelektrische Prothesen, also künstliche Arme oder Hände, die durch Muskelsignale gesteuert werden, können den Menschen nicht nur optisch vervollständigen, sondern ermöglichen um die zehn verschiedenen Handbewegungen, beispielsweise mit der sogenannten multiaxialen Michelangelohand. Durch Muskelanspannung im Stumpf können entsprechende elektrische Signale auf der Hautoberfläche abgegriffen werden. Diese Ströme werden daraufhin fast in Echtzeit an Motoren in der Prothese weitergeleitet und lösen so eine Bewegung aus. Diese kann der Patient nicht nur willkürlich steuern, sondern auch proportional langsamer oder schneller, beispielsweise die Hand öffnen oder schließen. Durch bestimmte Signalbewegungen ist es möglich, die Steuerung zwischen Ellenbogen, Fingern und Handgelenk zu wechseln.

Damit dies ohne Probleme gelingt und der Patient die Bewegungsabläufe verinnerlicht und die Prothese unterbewusst wie ein eigenes Körperteil steuern kann, benötigt es Zeit und Training. Durch Zusammenarbeit mit einem Ergo- und Physiotherapeuten können so aber gute Erfolge erzielt werden. "Patienten, die durch ein Trauma ein Körperteil verloren haben, haben es dabei oftmals einfacher", sagt Seifert. "Sie haben gewisse Bewegungen, die sie früher mit ihrem Arm ausgeführt haben, noch im Kopf. Wenn jemand dagegen von Geburt an eine Fehlbildung hat, ist es meistens schwieriger, weil sie nicht wissen, wie die Armbewegung funktioniert."

Der Tastsinn lässt sich bisher nicht imitieren

Trotz des enormen technischen Fortschritts sind manche Bewegungsabläufe mit Prothesen noch schwierig. Gerade bei filigranen Fingerbewegungen dienen diese oft mehr als Unterstützung der, wenn vorhanden, gesunden Hand. "Es ist ein funktioneller Ersatz. Dass man mit einer Prothesenhand Bewegungen ausführen kann, wie man es mit zwei gesunden Händen kann, liegt in ferner Zukunft. Die Forschung braucht da noch Zeit", sagt Seifert. Einer der Gründe dafür ist die fehlende Fähigkeit, mit dem künstlichen Ersatz zu fühlen. "Die Hände sind funktionell, aber man kann damit nicht fühlen. Es gibt noch keine Möglichkeit, die Nerven so daran zu gewöhnen, dass ein Gefühl in der Hand entsteht", erklärt die Orthopädietechnikmeisterin Seifert.

Auch die optische Nachahmung einer menschlichen Hand bei einer beweglichen Prothese ist bislang schwierig, da der Kosmetikhandschuh im Gegensatz zur natürlichen Haut an anderen Stellen Falten werfe. Habitusprothesen, früher Schmuckprothesen genannt, können dagegen sehr detailgetreu und an Hautfarbe, Fingernagelform und Handgröße angepasst eine menschliche Hand nachbilden. Eine steuerbare Bewegung ist dabei allerdings nicht möglich. Manchmal hätten Patienten deswegen zwei Prothesenarten zum Wechseln: eine optisch realistische Habitusprothese, beispielsweise für den Besuch in der Oper, und eine myoelektrische, bewegliche Prothese, um gewöhnliche Aufgaben im Alltag zu bewältigen. Im Alltag auffallen würden jedoch auch die steuerbaren Prothesen kaum. "Die Patienten, die die Prothese schon lange tragen, tragen sie mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass es vielen gar nicht mehr auffällt, teilweise auch im näheren Umfeld, zum Beispiel bei der Arbeit", sagt Seifert.

Für die Fertigung sind einige Schritte nötig

Hersteller aus Heidelberg bauen mittlerweile Chips in die Prothesen, welche sich per Bluetooth mit Sensoren verbinden und so spezielle Programme aktivieren. Patienten können die Prothese beispielsweise mit dem Modus Küche koppeln und so entsprechende Griffe wie Gemüse schneiden, Kochlöffel festhalten oder Gewürzdosen öffnen aktivieren. Insgesamt können so bis zu 46 Bewegungen ausgeführt werden. In der Praxis würden Patienten aber oft nur die etwa acht wichtigsten Handbewegungen nutzen, sagt Seifert. Das ständige Umschalten sei vielen zu umständlich.

Für die Fertigung einer solchen myoelektrischen Prothese wird im ersten Schritt mittels eines Gipsabdrucks die Stumpfform des Patienten abgenommen und in eine sogenannte Zweckform modelliert, anhand derer ein Probeschaft aus PET angefertigt wird. Liegt dieser richtig am Patienten an, werden geeignete Elektrodenpunkte, also die Stellen der stärksten Muskelsignale, gesucht und ausprobiert. Anhand der Probeversion wird der endgültige Schaft aus Silikon gefertigt, welcher für bessere Stabilität von Faserverbundstoff ummantelt ist. Nachdem alle Passteile an den Schaft angebracht werden und Patient und Orthopädietechniker bei der Endanprobe zufrieden sind, kann die Prothese eingesetzt werden und ihrem Träger im Alltag zur Seite stehen.

Zahlen und Ursachen

Die Gesamtzahl der Amputationen in der oberen Extremität, also Schulter, Arm oder Hand, lag 2012 in Deutschland bei etwa 6000 Fällen. Davon waren es allerdings nur 249 oberhalb des Handgelenkes. Meistens sind Traumata, also Unfälle, die Ursache dafür, dass ein Körperteil der oberen Extremität amputiert werden muss. Circa 60 000 Amputationen sind es im Jahr in der unteren Extremität. Ein Großteil dieser Zahl ist auf das sogenannte diabetische Fußsyndrom bei Zuckerkranken zurückzuführen.

Ressort: Beruf & Karriere

Dossier: Stellen-Spezial 2017

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Sa, 11. März 2017: PDF-Version herunterladen

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