USA

Barack Obama, der Späterfolgreiche

Seine Bilanz ist besser als der Ruf: Vielen galt US-Präsident Barack Obama schon als gescheitert – nun aber fährt er einen Erfolg nach dem anderen ein. Jens Schmitz analysiert seine Amtszeit.  

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Hat das  Land doch verändert: Obama   | Foto: AFP
Hat das Land doch verändert: Obama Foto: AFP
Auch hierzulande sind viele von Barack Obama enttäuscht. Er gilt als US-Präsident, der große Hoffnungen geweckt hat – und dann nicht lieferte. Doch während Europa die gefährliche Eurokrise nicht in den Griff bekommt, fällt Obamas Bilanz anderthalb Jahre vor dem Ende seiner Präsidentschaft gar nicht so schlecht aus.

Die Stimmung im Weißen Haus ist euphorisch in diesen Tagen. Die Republikaner wirken seit Monaten wie gelähmt, beim Freihandel hat der Präsident die eigene Partei in die Knie gezwungen. Im Juni beendete der Oberste Gerichtshof die Klagen gegen Obamas Gesundheitsreform; kurz darauf setzte er die gleichgeschlechtliche Ehe durch. Obama selbst verkneift sich jeden Triumph. "Veränderungen in Herzen und Hirnen sind möglich", sagt er. "Und diejenigen, die auf ihrer Reise zu mehr Gleichheit so weit gekommen sind, haben eine Verantwortung, hinter sich zu greifen und anderen auf dem Weg zu helfen." Wieder und wieder erinnert Obama dieser Tage an die Kraft der Beharrlichkeit – und er dringt durch wie lange nicht mehr.

Nach den Morden in Charlestons historischer Schwarzenkirche Emanuel spricht der erste farbige US-Präsident deutlich wie nie über den Rassismus im Land. Er thematisiert aber auch den erstaunlichen Versöhnungswillen der Menschen vor Ort, zeigt der Nation ihr Potenzial. Obama trifft den Ton, und er wagt noch mehr – der Präsident singt. "Amazing Grace" ist ein Risiko, doch die Menge stimmt ein, sie jubelt in der Trauer. Im Predigergestus erkennen Afroamerikaner einen der Ihren. Zugleich fühlen sich Millionen Fernsehzuschauer an den Kandidaten erinnert, dem sie 2008 die Versöhnung des Landes zugetraut haben.

Das Weiße Haus, in das Obama später zurückkehrt, ist regenbogenfarben erleuchtet, die Menschen davor feiern bis in die Nacht. Und plötzlich reiben sich viele die Augen, fragen, was überhaupt übrig ist von den alten Koordinaten. Nach 150 Jahren werden quer durch den Süden die Konföderiertenflaggen eingeholt. Gleichgeschlechtliche Paare haben das Recht auf Ehe. Das Land ist zum Motor eines globalen Klimaschutzabkommens geworden. 16 Millionen Neuversicherte haben eine Gesundheitspolice. Die Wirtschaft brummt, das Defizit sinkt, die konservative Agenda wirkt überholt. "Obamas Präsidentschaft ist wiedergeboren", jubelt das Fachblatt Politico. CNN titelt: "Die Woche, die die Nation veränderte." Auch die Washington Post staunt: "Der Wandel wartet nicht mehr."

Change, Wandel – das Wort, das 2008 die Welt verzauberte, ist wieder in aller Munde. Wie oft ist dieser Präsident politisch für tot erklärt worden, zuletzt, nachdem seine Demokraten im Herbst auch die zweite Kongresskammer verloren. Doch ausgerechnet im letzten Viertel seiner Ära, in dem Präsidenten als "lahme Ente" verspottet werden, hat Obama die Beziehungen zu Kuba normalisiert, undokumentierten Einwanderern eine Perspektive eröffnet, ein Klimaabkommen mit China erzielt. Ein Atomdeal mit dem Iran könnte die außenpolitische Bilanz krönen. Sogar Wladimir Putin hat nach langem Schweigen wieder angerufen.

Tatsächlich war die Bilanz schon vor 2015 nicht schlecht. Die Kriege im Irak und Afghanistan sind beendet, Osama bin Laden ist tot. Das 800-Milliarden-Dollar-Programm gegen die Wirtschaftskrise hat gewirkt; die Kredite für die Autoindustrie haben dem Staatshaushalt Gewinne beschert. Im Magazin Forbes wurde Obamas Wirtschaftspolitik zur erfolgreichsten aller modernen US-Präsidenten gekürt. Der Kampf gegen Altlasten hat aber Schwung gekostet. Mit dem versprochenen Gesellschaftsumbau lasse der Präsident sich Zeit, höhnten Gegner schon früh, ganz zu schweigen von der Versöhnung des Landes.

In Wirklichkeit hing beides zusammen. Obama ist mangelndes Rückgrat genauso vorgeworfen worden wie ideologischer Starrsinn. Die Mittel, mit denen er neuerdings durchregiert, hätten ihm seit Jahren zur Verfügung gestanden. Allerdings hat er der Hoffnung auf Konsens mehr Chancen eingeräumt als die meisten seiner Vorgänger – nicht nur in den versuchten Neustarts mit der muslimischen Welt, Russland oder dem Iran. Top-Positionen im Kabinett wurden mit Republikanern besetzt; selbst die Struktur der Gesundheitsreform war ein Entgegenkommen an die Konservativen. Die zerrissene Rechte hat aber den Beweis, dass Staatsprogramme hilfreich sein können, mehr gefürchtet als die eigentlichen Projekte.

Obama selbst hat seinen Beruf mit mittlerem Management verglichen. Dass ihm anfänglich Erfahrung fehlte, trifft es schon eher. Doch Obama hat mehr erfahrene Kräfte engagiert, als man hätte erwarten können. Er war entschlossen, sich nicht aus der Spur bringen zu lassen – nicht von Pleiten, nicht von Triumphen und am wenigsten von Angriffen auf seine Person. Schon in der Finanzkrise wurde die eiserne Konzentrationsfähigkeit von "No Drama Obama" erkennbar. Den chaotischen Start der Gesundheitsreform bügelte er mit Fassung aus; Korrekturen erfolgten geräuschlos. Heute erntet der Präsident die Früchte: "Ich habe Fehler gemacht und sie überlebt", hat er in einem Interview erklärt. "Und das ist ein extrem befreiendes Gefühl."

Sein kontrolliertes Auftreten hat Obama nicht nur Vorteile eingebracht. Auf Durststrecken wurde es als Teilnahmslosigkeit gedeutet, als Ausdruck einer Arroganz, mit der Obama lieber golfen ging, als sich im Politikbetrieb schmutzig zu machen. Ein US-Präsident ist freilich fast immer mit Krisen beschäftigt.

Seine Zurückhaltung führte nicht nur dazu, dass Obama 2012 beinahe vergaß, seinen Kontrahenten Mitt Romney anzugreifen. Er verzichtete auch darauf, seine Erfolge zu erklären. Seine Reden waren auf Sachfragen fokussiert, und je mühsamer der Kampf darum wurde, desto mehr vermissten Anhänger die kühne Zukunftsvision. Konservative Kritiker begannen, vom Absturz zu reden – nicht immer mit lauteren Mitteln, aber griffige Geschichten finden Verbreitung. "No Drama" ist kein interessantes Erzählprinzip. Fallhöhe schon. Heute noch zitieren auch seriöse Medien eine Umfrage, derzufolge Amerikaner den einstigen Hoffnungsträger vor einem Jahr zum schlechtesten Präsidenten seit dem Zweiten Weltkrieg herabstuften. Das klingt spektakulär, so lang man nicht weiß, dass fast jeder Vorgänger der schlechteste war, seit Meinungsforscher die Frage stellen.

Als einer von wenigen hat der 44. US-Präsident sich weder politisch noch privat Skandale geleistet. Seine derzeitigen Umfragewerte liegen über dem Schnitt seiner Vorgänger. Neben der Amtsführung punktet er besonders in den Bereichen Glaubwürdigkeit und Empathie. Tatsächlich verkörpert er fast alles, was Kommentatoren von Politikern fordern. Das bietet allerdings kaum noch Angriffsflächen für eine Zunft, die davon lebt, über andere zu urteilen. Vielleicht reagieren manche deshalb geradezu gekränkt. Der große Gestus hat in den USA eine lange Tradition; weder John F. Kennedy noch Martin Luther King wurde vorgeworfen, sie hätten rhetorisch auch tiefer stapeln können. Obama wird sein Wahlkampf nachgetragen, als müsse man sich für die eigene Ergriffenheit rächen. Viele unerfüllte Versprechen sind jedoch nicht mehr übrig. Selbst zu Guantanamo wird der Kongress sich über kurz oder lang eine andere Lösung einfallen lassen müssen: Ein Gericht hat die meisten ausstehenden Militärprozesse gerade für unrechtmäßig erklärt.

Obama hat sich dem Druck der Kritiker genauso entzogen wie dem der Fans – er hat sich auf seine Arbeit konzentriert, bis seine Person dahinter verschwand. Die "Hope"- und "Change"-Slogans von 2008 seien eine Zielvorgabe gewesen, hat Obama unlängst gesagt, keine Anleitung zur Revolution. Die Aufgabe einer Regierung bestehe darin, "den Ozeanriesen zwei Grad nördlich oder südlich zu drehen, damit wir uns in zehn Jahren plötzlich an einem ganz anderen Ort wiederfinden."

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