Lokalgeschichte

Vor den Nazis versteckt: Bauarbeiter finden Schriften eines Ehepaars unter Fußboden in Lörrach

Bei der Entkernung eines Lörracher Hauses hat ein Bauarbeiter alte Schriften der Zeugen Jehovas gefunden. Versteckt hatte sie ein Ehepaar, das damals dort wohnte und schließlich im KZ ermordet wurde.  

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Unter dem Linoleumfußboden versteckte ... den Nationalsozialisten. (Symbolbild)  | Foto: Rainer Neuberger
Unter dem Linoleumfußboden versteckte das Ehepaar Denz die Schriften der Zeugen Jehovas vor den Nationalsozialisten. (Symbolbild) Foto: Rainer Neuberger

Die lokalen Historiker Hansjörg Noe und Rainer Neuberger haben sich auf die Erforschung der Geschichte der Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus spezialisiert. Als solche schildern sie in einem Bericht die Geschichte der Eheleute Oskar und Anna Maria Denz und ihrer 14-jährigen Tochter Anna. Diese bewohnten zu Beginn der Nazizeit eine Dachzimmerwohnung im ehemaligen Kreisverwaltungsgebäude in Lörrach, Luisenstraße 35. Seit 1931 seien sie getaufte Zeugen Jehovas gewesen, so die beiden Experten. Die Gemeinschaft und ihre Schriften habe man 1933 verboten und das deutsche Zweigbüro und die Druckerei konfisziert. Als tatkräftige Mitglieder ihrer Gemeinschaft schmuggelte das Ehepaar Denz diese Schriften deshalb ab 1933 aus der Schweiz nach Deutschland.

Die Familie holte die Schriften in den Langen Erlen. Dort versteckten Schweizer Glaubensbrüder und -schwestern die Druckerzeugnisse, darunter auch Bibeln. Die Schriften und Bücher wurden in Geheimtaschen, die in die Kleidung eingenäht waren, nach Deutschland transportiert. Taschen oder Rucksäcke wären zu auffällig gewesen. Da die Zeugen Jehovas im NS-Staat überall verfolgt wurden, ist es nicht verwunderlich, dass die Eheleute und ihre Tochter Anna bei einem ihrer Wege über die Deutsch-Schweizer Grenze verhaftet wurden. Am 2. Februar 1938 nahm man sie am Grenzübergang zwischen Riehen und Stetten fest.

In der Luisenstraße erinnern heute Stolpersteine an das ermordete Ehepaar

Das Sondergericht Mannheim fällte schon am 6. Mai das Urteil: Die Eltern wurden zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe verurteilt, die minderjährige Tochter Anna wurde nach kurzer Zeit aus der Haft entlassen und observiert. Trotzdem gelang es dem Lörracher Heinrich Reiff, Anna über die grüne Grenze in die Schweiz und damit in Sicherheit zu bringen. Anna überlebte dort die NS-Zeit. Für Oskar und Anna Maria Denz endete die Verfolgung auch nach der Haft nicht. Sie kamen im April 1940 in das Konzentrationslager Mauthausen beziehungsweise Ravensbrück und wurden dort 1942 umgebracht. Vor dem Haus in der Luisenstraße erinnern Stolpersteine an ihr Schicksal.

"Es ist ein wahres Wunder, das diese Briefe überlebt haben und nach 60 Jahren wieder aufgetaucht sind"Anna Denz

Die Eltern Oskar und Anna Maria Denz schrieben, soweit es die Aufseher in den Konzentrationslagern zuließen, Briefe an die Schwester von Anna Maria. Nach dem Tod dieser Verwandten gerieten diese Briefe in Vergessenheit und wurden schließlich durch Zufall im Sperrmüll wiederentdeckt, wo sie nach einer Haushaltsauflösung im Wilhelmsweg in Lörrach-Stetten gelandet waren. Über Umwege hat Tochter Anna Denz, damals in den USA lebend, diese Briefe erhalten. "Es ist ein wahres Wunder, das diese Briefe überlebt haben und nach 60 Jahren wieder aufgetaucht sind", sagt sie dazu. Es handelte sich um 42 erschütternde Briefe von Oskar und Anna Maria Denz aus den Konzentrationslagern.

Die Luisenstraße verlief in den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts fast am Rande der Kernstadt. In unmittelbarer Nachbarschaft steht damals wie heute das Rathaus der Stadt Lörrach. Das Haus, in dem Familie Denz wohnte, steht heute unter Denkmalschutz. Es ist ein roter, ansprechend gestalteter Sandsteinbau mit einem Vorgärtchen und schmiedeeiserner Umzäunung. Die Familie Denz wohnte in der Dachzimmerwohnung. Im gleichen Haus, im ersten Stock, befanden sich Büroräume der Kreisverwaltung. Im zweiten Stock wohnte Kreisamtmann Ferdinand Löffler mit Familie. Vermutlich war der rege Besuchsverkehr bei der Familie Denz, hervorgerufen durch den Abtransport der geschmuggelten Schriften, aufgefallen. Nach der Verhaftung wurde die Wohnung der Familie Denz intensiv von der Gestapo durchsucht, dabei wurden zahlreiche Schriften entdeckt.

87 Jahre fand niemand die Schriften unter dem Fußboden

Seither sind 87 Jahre vergangen. Nach unterschiedlichen Besitz- und Nutzungsverhältnissen ist das Haus in der Luisenstraße 35 verkauft worden. Im Auftrag des neuen Besitzers wird das Gebäude derzeit innen renoviert, auch die Dachzimmerwohnung, also jene der Familie Denz. Die Baufirma, die das Haus entkernt, entfernte dabei auch die Zimmerdecke im vorderen rechten Eckzimmer.

Darüber befindet sich – wie häufig in alten Häusern – ein 15 Zentimeter breiter Hohlraum. Darin lagen 52 Broschüren mit dem Titel "Wer ist Gott", 59 Broschüren mit dem Titel "Wo sind die Toten?", zwei Bücher mit dem Titel "Leben", zwei Bücher mit dem Titel "Schöpfung", zwei Bücher mit dem Titel "Befreiung", zwei Bücher mit dem Titel "Regierung" und sechs Bücher mit dem Titel "Rechtfertigung".

Beim weiteren Untersuchen des Verstecks vom darüber gelegenen Speicherraum aus entdeckte man in dessen Linoleumfußboden eine Stelle, durch die das Ehepaar Denz die Literatur versteckt hatte. Weder die Gestapo, noch spätere Bewohner haben das Versteck gefunden. Nun gelang so ein weiterer Fund aus der Zeit der Verfolgung der Familie Denz und vieler anderer.

Die neuen Hausbesitzer erkannten die historischen Zusammenhänge

Der junge Mitarbeiter der Baufirma, dem die Schriften in die Hände fielen, erkannte, dass sie etwas Besonderes sein müssen – obwohl er weder die Geschichte noch die Zusammenhänge kannte. Den neuen Hausbesitzern war die Bedeutung des Fundes sofort klar. Sie suchten nach Zeugen Jehovas, die einen Bezug zu dem Thema hatten, was nach einigen Recherchen auch gelang. Am 6. August wurde der Fund den lokalen Historikern Hansjörg Noe und Rainer Neuberger übergeben. Auch die Fundstelle wurde gezeigt und erläutert.

Marlene Turpin, die Enkeltochter von Anna Maria Denz, die in den USA lebt, beansprucht nur wenige Stücke aus dem Fund, der rechtlich ihr gehört. Sie hat verfügt, dass die Bücher und Schriften in Museen oder passenden Gedenkstätten aufbewahrt werden sollen und somit vom Wirken und Leid ihrer Familie erzählen.

Schlagworte: Anna Maria Denz, Hansjörg Noe, Anna Denz

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