Das Verschwinden der Currywurst

Alexander Huber

Von Alexander Huber

Do, 25. Mai 2023

Unterm Strich

Currywurst ist in Deutschland nicht einfach eine Speise – sondern Symbol von nationaler Tragweite. Jetzt soll sie im Niedergang begriffen sein. Zeichen einer Zeitenwende?.

Ohne (die meistens graue) Currywurst sind die grauen Zellen diverser Tatort-Ermittler aufgeschmissen, mit Uwe Timms Novelle "Die Entdeckung der Currywurst" hat sie es bis in die Hochkultur geschafft, der Zorn Gerhard Schröders über ihre Verbannung aus der VW-Kantine dürfte dem Ex-Kanzler deutlich mehr Sympathien eingebracht haben als sein Einsatz für nicht fleisch-, sondern gasgefüllte Röhren. Und über der Frage, ob Curry zwingend in die Currywurst gehört, um sie als solche bezeichnen zu dürfen, oder ob es langt, eine beliebige Bratwurst in einer currygeschwängerte Tomatensoße zu baden, lassen sich locker kulinarische Kleinkriege entfachen.

Nun aber droht es existenziell zu werden: Apetito, ein großer Kantinenbetreiber und Hersteller von Fertiggerichten, will Anzeichen für einen Niedergang der Currywurst beobachten. Nach der Auswertung von Verkaufszahlen ist sie zunächst auf Platz zwei und im Vorjahr auf Platz drei der beliebtesten Kantinen-Speisen abgerutscht. Klingt erstmal nicht sooo dramatisch, ist aber ungefähr so revolutionär wie der Moment, wenn Bayern München zum Saisonende nicht Deutscher Fußballmeister wird. Bis 2019, so Apetito, war die Currywurst jahrzehntelang unangefochtener Spitzenreiter.

Wie repräsentativ die Apetito-Zahlen sind, lässt sich ad hoc nicht sagen. Doch sie reihen sich nahtlos ein in die Zeichen einer Zeitenwende, die auf den Tellern und in den Mägen der Deutschen stattfindet: Weniger Fleisch, mehr leicht, lautet die Devise. Als die Bahn Anfang des Jahres die Einführung von veganer Currywurst in ihren Bordrestaurants ankündigte, war das für viele neues Bratöl in das ohnehin schon recht heiße Feuer des gegenwärtigen Kulturkampfes. Nüchtern betrachtet war dieser Schritt aber vielleicht gar kein Angriff auf dieses kulinarische Wahrzeichen – sondern das Auswerfen eines Rettungsankers.