Der erste Auto-Automat

Vor 50 Jahren entwickelten Ingenieure in Niedersachsen einen Mercedes, der ohne Fahrer fuhr.  

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Autonomes Fahren? Für Herbert Ulsamer,...en Meyer (von rechts)   ein alter Hut.  | Foto: dpa
Autonomes Fahren? Für Herbert Ulsamer, Klaus Weber und Hans-Jürgen Meyer (von rechts) ein alter Hut. Foto: dpa

HANNOVER. Die Mobilität der Zukunft ist heiß umkämpft – elektrisch soll sie sein, voll vernetzt, und Autos sollen möglichst ohne Fahrer auskommen. Tech-Riesen wie Google und Apple lassen in den USA bereits Roboterautos fahren, deutsche Autobauer müssen aufholen. Dabei fuhr in Deutschland schon vor 50 Jahren ein Auto ohne Fahrer – allerdings dachten die Ingenieure damals nicht im Entferntesten an autonomes Fahren, sondern an etwas völlig anderes.

Im September 1968 lässt der Reifenhersteller Continental auf seinem Testgelände Contidrom in Niedersachsen das erste elektronisch gesteuerte und fahrerlose Auto vom Stapel. Die Öffentlichkeit staunt, mehr als 400 Zeitungen, Zeitschriften und Sender berichten: "Mit dem Geisterfahrer durch die Steilkurve" oder "Die Zukunft hat schon begonnen", heißt es da. Allerdings geht es nur darum, Reifen zu testen – wissenschaftlich exakt, unter programmierbaren Bedingungen und vor allem besser, als ein menschlicher Testfahrer es je könnte. Ein technischer Meilenstein? Auf jeden Fall. Aber auch ein Schritt zum autonomen Fahren? "Wir haben nicht geahnt, dass so etwas kommt – nicht einmal davon geträumt", erinnert sich der heute 76-jährige Herbert Ulsamer, damals Fahrzeugbau-Ingenieur bei Continental.

Wirklich autonom war der Wagen – ein heute beliebter Oldtimer vom Typ Mercedes Strich-Acht – damals auch nicht. "Es war letztlich ein Auto, das auf einem Draht fuhr", sagt Hans-Jürgen Meyer (78), der als junger Ingenieur für die Entwicklung neuer Messverfahren verantwortlich war. Das Auto folgte einem Leitdraht auf der Fahrbahn, Sensoren informierten die Technik im Auto darüber, ob es auf der Spur war, dann lenkte der Wagen automatisch. Vom Leitstand am Rand der Teststrecke aus gingen Befehle über den Leitdraht ans Auto: Abbremsen, Beschleunigen – oder auch Hupen.

Testdaten seien per Funk übertragen, auf Magnetband gespeichert und schließlich ausgewertet worden, erzählt Ulsamer. So weit, so modern. Nur mit moderner Vernetzung hatte das natürlich noch nichts zu tun. Das Auto der Zukunft muss Radfahrer, Fußgänger und Hindernisse jeglicher Art erkennen können.

Stereokameras helfen dem automatisierten Fahrzeug deshalb, Objekte zu erfassen und zu klassifizieren, wie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Braunschweig erläutert. Künstliche Intelligenz soll die Beobachtungen auswerten. Im Idealfall versteht das Auto die Verkehrssituation. "Ein wichtiger Schwerpunkt der zukünftigen Forschung bleibt die Vernetzung der Fahrzeuge mit der Infrastruktur", sagt Frank Köster vom DLR-Institut für Verkehrssystemtechnik.

Heute ist Europa abgehängt beim autonomen Fahren

Trotz aller Automatisierung: auch künftig wird der Mensch eingreifen können und dem fahrenden Roboter nicht alles überlassen. Aber wie erregt man die Aufmerksamkeit des Fahrers, wenn dieser vom Verkehr nicht viel mitbekommt? Die DLR-Forscher arbeiten daran, die Aufmerksamkeit des abgelenkten Fahrers mittels eines farbigen 360-Grad-Lichtbands zu steuern.

Vor gut sieben Jahren hatte Google mit der Vorstellung seiner Roboterwagen-Flotte die Autobranche nervös gemacht. Heute arbeiten Dutzende von Unternehmen an Technologien für autonomes Fahren: Autohersteller, Zulieferer, Start-ups und Konzerne wie Samsung, Alibaba oder Uber. Beim autonomen Fahren gäben die Amerikaner das Tempo vor, meinte jüngst Volkswagen-Chef Herbert Diess. Und weiter: "Wir haben dem in Europa derzeit nichts entgegenzusetzen."

Immerhin hat VW mehrere Versionen des Roboterwagen-Konzepts Sedric – darunter eine für sportliche Menschen. Die Idee: Der "Sedric Active" setzt seinen Nutzer am Startpunkt einer Mountainbike-Tour ab und fährt autonom zum Zielort. Interessant wird das Konzept spätestens dann, wenn die Technik es erlaubt, per App einen Wagen zu bestellen, der unterwegs Mitfahrer einsammelt und dann ohne Fahrer ans Ziel rollt. So plant es die Volkswagen-Tochter Moia – allerdings mit Fahrern. Richtig Geld abwerfen werde das Prinzip erst mit autonom fahrenden Autos, urteilt Branchenexperte Stefan Bratzel.

Continental indes bringt den "Cruising Chauffeur", ein in Serienfahrzeuge eingebautes System, testweise auf Niedersachsens Autobahnen. Zwischen Hannover, Braunschweig, Wolfsburg und Salzgitter entsteht ein Testfeld für automatisiertes Fahren. Doch noch stoßen die fahrerlosen Systeme an ihre Grenzen – was vor 50 Jahren bedeutend schneller ging.

"Man hat sehr schnell die Grenzen erkannt und es dann einschlafen lassen", erzählt Ingenieur Ulsamer. Verlor der Wagen das Magnetfeld des Fahrdrahts, bremste er abrupt ab. Dann musste er wieder auf den Draht gerollt werden. Trotzdem: Es war der "erste Automat, der hier fuhr", sagt der ehemalige Conti-Ingenieur Klaus Weber (81). Und Conti-Chef Elmar Degenhart betont: "Wir ziehen den Hut vor den Ideen und dem Pioniergeist unserer Ingenieure, die schon vor fünf Jahrzehnten ein fahrerloses Auto entwickelt haben."
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