Sommerlesetipp
Der Junge und der Dr. Freud
Alexander Dick aus der Kulturredaktion empfiehlt "Der Trafikant" von Robert Seethaler.
Alexander Dick & Redaktion Kultur
Fr, 25. Jul 2025, 18:30 Uhr
Literatur & Vorträge
Thema: Lesetipp
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2018 landete Robert Seethalers "Der Trafikant" in den Kinos, vier Jahre später spielte das Theater Freiburg eine veritable Bühnenfassung von Stefanie Carp. Nirgendwo freilich vermittelt sich der Stoff so eindringlich und atmosphärisch dicht wie im Roman. Zumal die Sprache des Wiener Literaten den Ton vorgibt – ihren ganz eigenen Ton. "Der Trafikant" ist nämlich eine Mischung aus Entwicklungs- und Schelmenroman, der junge "Held" Franz aus dem Salzkammergut ein moderner Simplicius Simplicissimus. Er verlässt die Idylle am Attersee, um in der Metropole Wien nicht nur seinen bescheidenen Unterhalt zu verdienen, sondern um zu erfahren und lernen, was Leben heißt.
Die marode Republik an der Schwelle zur Vereinnahmung durch Hitler-Deutschland
Dazu gehört nicht nur die erste Liebe des jungen Mannes. Es sind die Zeitumstände, Österreich zwischen 1937 und 1938, die marode Republik an der Schwelle zur Vereinnahmung durch Hitler-Deutschland. Dass Franz in der Trafik einen prominenten Kunden, den Dr. Sigmund Freud, kennenlernt und sich mit ihm auf eine besondere Art anfreundet, wirkt in der Anlage zunächst aufgesetzt, ja kitschig. Doch so wie Seethaler diese Freundschaft dramaturgisch entwickelt, hat sie etwas extrem Nachvollziehbares, Glaubwürdiges. Da der distinguierte Intellektuelle, der zunehmend Interesse an dem Zeitungs- und Tabakverkäufer entwickelt, gepaart mit echter Sympathie. Dort der naive, aber nicht einfältige Junge aus der Provinz, der das Unrecht spürt, das sich im Land ausbreitet, und das ihn auch mehr und mehr tangieren wird.
Seethalers Roman steht in der Tradition der späten Schriftsteller des alten Österreichs, Heimito von Doderer ist nicht fern und auch Joseph Roth. Der lakonische Erzählstil ist voller versteckter Melancholie, und trotzdem hat man das Gefühl, dass der Autor in erster Linie einer Chronistenpflicht nachkommen will. Eine Sommerlektüre, die an den Herbst denken lässt – im eigentlichen, wie im übertragenen Sinn.
Robert Seethaler: Der Trafikant. Roman. Kein & Aber Verlag, Zürich/Berlin 2013-2021. 250 Seiten, 14 Euro.