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Hamsterkäufe

Die Erfolgsgeschichte des Klopapiers

  • Di, 24. März 2020, 11:19 Uhr
    Panorama

Das muss man erst mal hinkriegen: vom 0815-Produkt zum begehrtesten Artikel in wenigen Tage. Da staunt sogar der Hersteller. Aber warum nutzen wir überhaupt das Faserpapier für den Allerwertesten?

Da ist was in Gang geraten: Mit der Verschärfung der Corona-Krise entdeckten die Deutschen das Klopapier als ihre begehrteste Hamsterware. Foto: Rene Traut (dpa)
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Dass dem Klopapier dieses Kunststück gelungen ist, versetzt sogar Volker Jung in Erstaunen. Der Geschäftsführende Gesellschafter der Hakle GmbH verwendet allerdings lieber die Bezeichnung Toilettenpapier – das sei ein wenig vornehmer, sagt er und lacht. Warum die Deutschen sich in Krisenzeiten ausgerechnet auf die tolle Rolle stürzen, dafür hat auch Jung keine Erklärung. Immerhin kann er beruhigen: Niemand wird toilettentechnisch Not leiden müssen.

Wie luxuriös es ist, sich mit weichen Blättern aus Holzfasern den Allerwertesten putzen zu können, zeigt ein kurzer Blick in die Geschichte. Der Mensch ist im Laufe seiner Evolution auf allerlei Ideen für diesen zwangsläufig notwendigen Reinigungsprozess verfallen: Moos, Pflanzenblätter, Stroh, Wollbällchen oder Stoffreste mussten dafür schon herhalten, und ja, ab und an auch lebendes Federvieh. Die Kombination aus linker Hand und Wasser, heute noch in weiten Teilen der Welt verbreitet, war auch in hiesigen Gefilden eine gebräuchliche Variante, bis das Papier aufkam. Zeitungsseiten wurden nach dem Lesen so einer überaus nützlichen Zweitverwertung zugeführt.

Früher gab’s Moos, Stroh, Zeitungspapier und Federvieh

Dann wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Wasserklosett populär – und die Abwasserleitungen nahmen Zeitungspapier extrem übel. Das war die Geburtsstunde des Toilettenpapiers, wie wir es heute kennen. Bereits frühe Varianten kamen als Rolle und mit Perforationen, die das Abreißen erleichtern, einige waren mit hautpflegendem Aloe-Extrakt getränkt.
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Der Komfortgedanke hat sich bis heute gehalten: "In unserem Kulturkreis ist die Weichheit des Toilettenpapiers besonders wichtig", sagt Volker Jung, Geschäftsführender Gesellschafter der Hakle GmbH. Aber: Wir Deutschen mögen es lieber etwas härter als die Toilettennutzer in unseren Nachbarländern. Ein anerkanntes Messverfahren für Weichheit gibt es übrigens bislang nicht, daher behilft sich die Forschungsabteilung bei Hakle mit einem Blindverfühlen: Die Tester bekommen verschiedene Toilettenpapiere in die Hand und geben an, welches sich subjektiv für sie am besten anfühlt. "Weil das jeder anders empfindet, können wir mit unseren Produkten auch nur ungefähr eine Weichheit erreichen, die möglichst viele als angenehm empfinden", sagt Jung, "das eine Toilettenpapier, mit dem jeder sich wohl fühlt, gibt es daher nicht – aber ich hoffe, wir sind nah dran."

Zweilagiges Papier gibt’s nur noch in Behörden und der Bahn

Während die Reißfestigkeit bei einem Küchenpapier essentiell ist, spielt dieser Aspekt beim Toilettenpapier keine so große Rolle. Für ein sauberes Ergebnis ist hingegen die sogenannte Durchstoßfestigkeit entscheidend. "Mit einer Lage ist das eine ziemliche Herausforderung", sagt Jung. Zweilagiges Toilettenpapier habe er 2007 zum letzten Mal verkauft, heute findet man solche Exoten allenfalls noch auf den stillen Örtchen bei Behörden oder in der Bundesbahn.

Der deutsche Verbraucher verwendet am liebsten dreilagiges Toilettenpapier, Menschen, die besonders sanfte Hygiene bevorzugen, greifen durchaus auch zur vier- oder gar fünflagigen Variante. Nötig ist das für eine sichere Verwendung nicht: "Bei den klassischen drei Lagen brauchen Sie sich keine Sorgen machen", versichert Jung.

"Mit der Hand oder einem Waschlappen und Wasser erreicht man eine Reinigungsleistung von nahezu 100 Prozent" Proktologe Bernd Strittmatter
Etwa 30 bis 35 Rollen Klopapier, schätzen Experten, verbraucht jeder Deutsche pro Jahr. Und die kommen ganz unterschiedlich zum Einsatz, wenn man einer repräsentativen Umfrage von Zewa Soft glauben möchte. Demnach falten rund 70 Prozent der Nutzer ihr Klopapier vorm Einsatz. Die restlichen knüllen, wickeln es sich um die Hand, stückeln und stapeln es oder achten sorgsam darauf, nur ein Blatt zu verwenden. Nur 0,1 Prozent der Toilettennutzer in Deutschland spült nach dem großen Geschäft kein Papier hinunter – sie verzichten ganz darauf.

Und das, sagt der Freiburger Mediziner Bernd Strittmatter, ist die gesündeste Option. "Mit der Hand oder einem Waschlappen und Wasser erreicht man eine Reinigungsleistung von nahezu 100 Prozent, gleichzeitig ist diese Variante für die Haut am schonendsten", sagt der Proktologe, der in Freiburg gemeinsam mit anderen Enddarmspezialisten die Praxis "Die Koloproktologen" betreibt.

Der Haken am trockenen Papier: Man wischt sich das Zeug nur in die Hautfalten rein. Das ist keine schöne Vorstellung und auch ästhetisch fragwürdig, aber dennoch kein Hygieneproblem. Denn die Bakterien, die sich im Stuhl tummeln, entstammen dem körpereigenen Mikrobiom und fügen uns so in der Regel keine Infektionen zu. "Allerdings sollten rund um den After keine Verletzungen sein, in die Bakterien eindringen können", sagt Strittmatter.

Auf der gesunden Haut können Bakterien keinen Schaden anrichten, diese natürliche Schutzbarriere ist für sie undurchdringbar. Wer sich nicht mit der Wasserreinigung anfreunden kann, sollte darauf achten, weiches und vor allem reizfreies Toilettenpapier zu verwenden. Heißt: kein farbiges oder bedrucktes oder gar mit Duft- oder Konservierungsstoffen versehenes. Aus dem gleichen Grund sollte Strittmatter zufolge feuchtes Toilettenpapier tabu sein: "Wer unbedingt für unterwegs welches braucht, sollte auf Babyfeuchttücher zurückgreifen, die sind frei von schädlichen Stoffen. Ansonsten gilt: Trockenes Papier und Wasser funktionieren genauso gut."

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Ressort: Panorama

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Di, 24. März 2020: PDF-Version herunterladen

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