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Ein Ex-Skinhead auf dem Weg vom Saulus zum Paulus

  • Fr, 23. November 2012
    Freiburg

     

LEUTE IN DER STADT: Johannes Kneifel bewegte sich als Jugendlicher in der rechten Szene, tötete einen Menschen und will jetzt Pfarrer werden.

Johannes Kneifel  | Foto: Schneider
Johannes Kneifel Foto: Schneider
Es ist schwer vorstellbar, dass dieser Mann einen Menschen getötet hat. 13 Jahre ist das her. Jetzt sitzt Johannes Kneifel, 30 Jahre alt, still auf dem Sofa in einem kleinen Nebenraum des Paulussaals. Dunkles Hemd, verbindlicher Blick, freundlich und doch zurückhaltend.

Ein wenig müde wirkt er. Am Vormittag war Kneifel bereits in der Freien Christlichen Schule zu Gast und gleich beginnt schon die nächste Veranstaltung. Aber es ist ihm wichtig, dass möglichst viele Menschen seine Geschichte hören. Das Medienecho zu seinem Buch "Vom Saulus zum Paulus" ist gewaltig und auch in Freiburg kommen viele, vor allem junge Leute zu seiner Lesung, die die evangelische Stadtmission organisiert hat.

Seine Geschichte ist sicher nicht alltäglich. Mit 13 Jahren gerät Kneifel in seinem Heimatort Eschede in die rechte Szene. Ausländerhass, Gewalt und Alkohol bestimmen von da an sein Leben. "Der Grund dafür waren Ohnmachtsgefühle und Scham", sagt Kneifel heute. Er schämte sich für die Armut seiner Eltern, die beide behindert sind und nicht arbeiten können. Bei den Rechten konnte er endlich einmal stolz sein, und sei es auch nur auf seine deutsche Herkunft.

Mit 17 Jahren kam dann der Wendepunkt in seinem Leben. Im Rausch verprügelte er einen Mann derart, dass dieser an den Folgen starb. Kneifel kam ins Gefängnis. Die Erfahrungen dort haben sein Leben verändert. Er lernte Ausländer kennen, die seine Freunde wurden. "Ich stellte fest, dass sie letztlich aus den gleichen Gründen gewalttätig geworden waren wie ich", sagt er. Im Gefängnis fand er dann auch zum Glauben. Schwere Vorwürfe richtet Kneifel allerdings nach wie vor gegen den Strafvollzug selbst. Die Beamten dort hätten ihn immer nur auf seine Straftat reduziert; die richterliche Weisung im Urteil, man sollte Kneifel im Vollzug das Abitur ermöglichen wurde von den Abteilungsleitern im Gefängnis ignoriert. Heute fordert Kneifel die Abschaffung des Strafvollzugs. Das System sei nicht reformierbar, sagt er. Die Menschen würden dort so entmündigt, dass die meisten nach ihrer Freilassung mit der Selbstverantwortung überfordert seien. Der Knast als Parallelgesellschaft – die einzige Provokation, die Kneifel sich an diesem Abend leistet.

Nach seiner Freilassung findet er Anschluss in einer freikirchlichen Gemeinde. Dort beginnt er mit Jugendarbeit. "Obwohl alle wussten, was ich gemacht habe, vertrauten sie mir ihre Kinder an", erzählt Kneifel, "das war für mich eine wunderbare Erfahrung." Inzwischen steht er kurz vor dem Abschluss seines Theologiestudiums. Danach will er eine Pastorenstelle antreten. Ihn interessieren auch soziologische Fragestellungen.

Eines seiner großen Anliegen ist, Kirche und Gesellschaft einander wieder näher zu bringen. "Vielleicht schreibe ich irgendwann mal ein Buch über dieses Thema", sagt er. Er will aber auch weiterhin unterwegs sein und Jugendlichen mit seiner Geschichte zeigen, welche Auswirkung Gewalt auf ihr Leben haben kann.

– Johannes Kneifel und Jörg Erb. Vom Saulus zum Paulus: Skinhead, Gewalttäter, Pastor – meine drei Leben. Wunderlich Verlag. 18,95 Euro.

Ressort: Freiburg

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