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BZ-Serie (Teil 1)

Fragen und Antworten zum Brexit

Peter Nonnenmacher

Von

Do, 02. Juni 2016

Ausland

BZ-SERIE (TEIL 1):Die Briten sind dazu aufgerufen, über den Verbleib ihres Landes in der Europäischen Union abzustimmen – das Rennen ist völlig offen.

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„Ich möchte die EU verlassen – nicht wahr?“, steht auf diesen Ansteckern Foto: AFP

LONDON. Am 23. Juni entscheiden die Wähler in Großbritannien, ob ihr Land weiter Mitglied der Europäischen Union bleibt. Zum Auftakt einer losen Serie Fragen und Antworten zum Brexit.

Was hat es mit

dem Brexit auf sich?

Beim Brexit – dem "britischen Exit" – geht es darum, "ob das Vereinigte Königreich ein Mitglied der Europäischen Union bleiben oder die Europäische Union verlassen sollte". So lautet die offizielle Frage auf den Stimmzetteln in Großbritannien, bei der historischen Volksabstimmung am 23. Juni dieses Jahres.

Warum wird diese Frage
den Briten jetzt vorgelegt?

Weil Premierminister David Cameron ein EU-Referendum erst seiner Partei und bei den Unterhauswahlen vor einem Jahr auch den Wählern versprochen hat. Cameron selbst sieht keine Notwendigkeit für einen EU-Austritt. Er hat sich aber mit der Einwilligung in ein Referendum dem wachsenden Brexit-Druck in den Reihen seiner Konservativen Partei zu entziehen versucht. Vor allem wollte der Tory-Premier der rechtspopulistischen Unabhängigkeitspartei Ukip das Wasser abgraben, die den Brexit von Anfang an auf ihre Fahnen geschrieben hat. Cameron glaubte, über ein klares Pro-EU-Votum den Streit um Europa in Großbritannien ein für alle Mal "aus der Welt schaffen" zu können. Wie nahe er diesem Ziel gekommen ist, ist schwer zu sagen. Die Umfragen sehen im Augenblick bestenfalls einen knappen Vorsprung des Pro-EU-Lagers voraus. Experten beziffern die realen Chancen noch immer mit 50:50. Die Wettbüros haben mit ihren Quoten zwar von Anfang auf Verbleib gesetzt, aber die meisten ihrer Kunden wetten, dass ein Austritt kommt. Im Grunde weiß niemand, was am 23. Juni passiert.

Wer ist für den Austritt?
Die Partei für die Unabhängigkeit des Vereinigten Königreichs Ukip natürlich, mit ihrem Vorsitzenden Nigel Farage. Aber auch ein Großteil der Konservativen Partei und etwa die Hälfte der Tory-Abgeordneten im Unterhaus. Fünf Kabinettsminister, darunter Justizminister Michael Gove, und der frühere Londoner Bürgermeister Boris Johnson. Auch einzelne Labour-Leute und die Demokratischen Unionisten in Nordirland.

Warum wollen diese Leute
raus aus der EU?

Weil sie "wieder die Kontrolle" über ihr Land zurückverlangen. Weil sie der Auffassung sind, dass die Einwanderung aus Osteuropa nur durch einen Austritt aus der Europäischen Union einzudämmen ist. Weil sie glauben, dass London zu viel Geld nach Brüssel abführt und außerdem unter zu vielen Vorschriften und Bürokratie leidet – und dass ihr Land besser dran wäre als unabhängiger Staat, mit freien Handelsverträgen mit aller Welt.
Wer ist für einen

Verbleib in der EU?

Premier Cameron und 16 seiner Kabinettsmitglieder, darunter der Schatzkanzler, der Außenminister und die Innenministerin vertreten diese Auffassung. Der Großteil der Labour Party, obgleich Parteichef Jeremy Corbyn keine Sympathie hegt für die EU. Die Liberaldemokraten. Die Grünen. Die schottischen und walisischen Nationalisten. Die meisten nordirischen Parteien. Viele Banken und Großunternehmen. Und die wichtigsten Gewerkschaften.

Was sagen die Befürworter
eines Verbleibs?

Sie sagen, dass Großbritannien nur innerhalb der Europäischen Union Einfluss, Geltung und Exportchancen habe. Dass ein Austritt eine wirtschaftliche Katastrophe für die Insel bedeuten und die City of London, das Finanzzentrum Großbritanniens, ins Wanken bringen könnte. Dass sich ihr Land gefährlich isolieren würde. Und dass die Migranten trotzdem kommen würden. Sonst würde ja auch den Briten auf dem Kontinent permanenter Aufenthalt verwehrt.

Wer sind die typischen
Pro- und Anti-EU-Wähler?

Ein typischer Pro-EU-Wähler wäre vermutlich jung, relativ gut gebildet und vielleicht in London oder in Schottland ansässig. Angeblich wollen über 60 Prozent der Schotten und der Londoner den Verbleib in der EU. Ein typischer Brexit-Wähler wäre eher älter – eventuell im Rentenalter – und in englischen Regionen wie East Anglia, den Midlands oder Yorkshire zu Hause.

Ist jemals ein EU-Staat
aus der EU ausgetreten?

Grönland ist im Jahr 1982 ausgetreten. Aber Grönland war kein Vollmitglied. Es ist ein Überseeterritorium Dänemarks. Übrigens haben 1975 die Briten selbst schon einmal darüber abgestimmt, ob sie im europäischen Verbund – damals noch der EWG – verbleiben sollten. Das war zwei Jahre nach dem Beitrittsbeschluss Londons. Premierminister war damals der Labour-Politiker Harold Wilson, der ebenfalls Probleme mit seiner Partei in Sachen Europa hatte. Zwei Drittel der Briten sprachen sich bei dieser Abstimmung 1975 für Verbleib aus.

Was wären die direkten
Folgen des Brexits?

Eine Regierungskrise wäre wohl unvermeidlich. Zwar hat David Cameron erklärt, er wolle auch im Brexit-Falle erst einmal Regierungschef bleiben, doch das nehmen nur wenige ernst. Viele Konservative sind sogar so empört über Camerons Manöver in dieser Referendumskampagne, dass sie ihn in jedem Fall gern loswerden möchten.

Wie würde sich das Vereinigte
Königreich aus der EU lösen?

Die Regierung müsste den Rest der Europäischen Union über die britische Austrittsabsicht informieren. Die Möglichkeit zum Austritt gibt ihnen Paragraf 50 des Lissabonner Vertrags – ein Paragraf, der übrigens erst seit 2009 existiert und der damals auf Betreiben Londons hin zustande kam. Danach gibt es einen Zeitraum von zwei Jahren, in dem Großbritannien noch EU-Mitglied ist, während Verhandlungen über die Modalitäten des Austritts stattfinden. Kommt keine Einigung zustande, scheiden die Briten nach Ablauf der Zweijahresfrist automatisch aus. Ansonsten kann die Frist auch verlängert werden. Oder Britannien kann, wenn es sich anders besinnt, seine Ankündigung jederzeit zurück nehmen und EU-Mitglied bleiben.

Falls es zu einer Mehrheit für Brexit
käme – wäre dies das letzte Wort?

Nicht unbedingt. Das Referendum ist rechtlich nicht bindend. Erst einmal muss das Parlament der Kündigung des EU-Vertrags zustimmen. Später muss Westminster außerdem Ja sagen zu den ausgehandelten Austrittsbedingungen, zum eigentlichen Austrittsvertrag. Beide Male könnte eine Mehrheit von Pro-EU-Abgeordneten den Austritt theoretisch blockieren. Wahrscheinlich wäre das freilich nicht nach einer Volksabstimmung.

Wären auch Neuwahlen denkbar?
Ja. Und dass sich eine Partei zum Beispiel bei Neuwahlen für einen britischen EU-Verbleib ein frisches Mandat holt. Oder, dass während schon laufender Austrittsverhandlungen eine Regierung ihrem Land in erneuten EU-Verhandlungen noch etwas mehr Rechte verschaffen würde – und es zu einem zweiten Referendum käme, bei dem die Bevölkerung dann dem Verbleib zustimmen würde.

Ressort: Ausland

  • Veröffentlicht in der gedruckten Ausgabe der BZ vom Do, 02. Juni 2016:
  • Zeitungsartikel im Zeitungslayout: PDF-Version herunterladen

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