BZ-Aktion Weihnachtswunsch

Hanna Orthmann vom Deutschen Roten Kreuz: "Armut führt oft zu Rückzug"

Bei der Aktion Weihnachtswunsch arbeitet die BZ mit Partnern vor Ort wie dem Deutschen Roten Kreuz in Emmendingen zusammen. Hanna Orthmann erklärt im Interview, was Armut bedeutet und wie die Hilfe aussieht.  

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Gemeinsam gegen Armut: Spenderinnen un...irekt und unbürokratisch unterstützen.  | Foto: Davide Angelini (stock.adobe.com)
Gemeinsam gegen Armut: Spenderinnen und Spender der Aktion Weihnachtswunsch können bedürftige Menschen direkt und unbürokratisch unterstützen. Foto: Davide Angelini (stock.adobe.com)

BZ: 15 bis 20 Prozent der Menschen hierzulande gelten als arm. Wer ist besonders betroffen, Frau Orthmann?

Sehr betroffen sind ältere, alleinstehende Frauen – also Witwen oder Frauen, die sich früh von ihrem Partner getrennt haben. Dann gibt es die große Gruppe der alleinerziehenden Frauen, häufig mit gebrochener Erwerbsbiografie. Zudem sind Familien mit mehreren Kindern betroffen, insbesondere wenn nur ein Elternteil erwerbstätig ist und der andere die Kinder versorgt. Hinzu kommt eine große Gruppe von Menschen mit Migrationshintergrund.

"Es gibt auch Menschen, die gar nicht wissen, welche Leistungen ihnen zustehen. Wieder andere schämen sich, Hilfe in Anspruch zu nehmen."Hanna Orthmann

BZ: Entwickelt sich Armut nach und nach, wird sie vererbt oder entsteht sie plötzlich durch ein Unglück?

Das ist unterschiedlich. Es gibt immer wieder Menschen, die sagen: Auch meine Mutter oder mein Vater war arm und hat Sozialleistungen bezogen. Für sie ist es oft schwer, sich eine Erwerbsbiografie aufzubauen und einen Weg heraus aus der Armut zu finden. Andere geraten plötzlich in eine Schuldenfalle. Ein Beispiel: Eine Mutter arbeitet, doch ihr Verdienst reicht nicht, daher beantragt sie zusätzlich Wohngeld. Die Bearbeitung verzögert sich. Ihre Kinder hätten Anspruch auf Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket, doch solange die Bewilligung des Wohngelds fehlt, können sie die Leistungen nicht erhalten, Nachhilfe etwa oder Unterstützung bei Klassenfahrten, und müssen das Schulessen voll bezahlen. Wenn sich die Mutter nun Geld leiht, kann es sein, dass sie es nur schwer zurückzahlen kann. Und dann gibt es Menschen, die gar nicht wissen, welche Leistungen ihnen zustehen. Wieder andere schämen sich, Hilfe in Anspruch zu nehmen.

BZ: Wie zeigt sich Armut konkret im Alltag der Betroffenen?

Manche Menschen können am Monatsende schlicht nichts mehr kaufen, weil kein Geld mehr da ist – keine Lebensmittel, keine Babywindeln. Ihnen bleibt nur die Hoffnung auf Vorräte oder dass ihnen Nachbarn etwas geben. An ein Geburtstagsgeschenk oder einen Kinobesuch ist da nicht mehr zu denken. Bei älteren Menschen sehe ich oft abgelaufenes Schuhwerk. Und Armut kostet Zeit: Ich muss dort einkaufen, wo es Angebote gibt oder reduzierte Lebensmittel.

BZ: Verzichten viele im Winter aufs Heizen?

Ja. Bei allem, was mit Wohnen zu tun hat, erleben wir in unserer Region eine starke Bedürftigkeit. Der angespannte Wohnungsmarkt und die hohen Mieten sind hier das zentrale soziale Problem. Viele Menschen zahlen teils bis zu 50 Prozent ihres Einkommens für Miete – das ist zu viel. Angemessen wäre etwa ein Drittel.

"Wer arm ist, kann an vielen Ereignissen nicht teilnehmen."Hanna Orthmann

BZ: Welche physischen, psychischen und sozialen Auswirkungen hat Armut?

Armut führt oft zu Rückzug. Wer arm ist, kann an vielen Ereignissen nicht teilnehmen. Geburtstagsfeiern, Schulausflüge, Theaterabende, Cafébesuche – all das fällt weg. Dies wiederum kann psychisch sehr belastend sein und zu Einsamkeit führen.

BZ: Seit der Pandemie haben sich Nahrungsmittel um mehr als 30 Prozent verteuert, Energiepreise um 40 Prozent. Was raten Sie Menschen in dieser Situation?

Die meisten reagieren selbst, indem sie deutlich zurückhaltender einkaufen. Wer früher auf dem Markt gekauft hat, geht inzwischen zu Discountern. Statt frischer Brötchen gibt es Aufbackware. Wir weisen natürlich auf gemeinnützige Ladengeschäfte etwa der Wabe in Waldkirch hin, auf Kindersachen-Flohmärkte und die Tafeln, und wir machen aufmerksam, dass es oft gute Angebote bei eBay-Kleinanzeigen gibt.

BZ: In der politischen Debatte ist der Ton gegenüber den Armen deutlich rauer geworden. Wie erleben das die Betroffenen?

Ich bin mit Betroffenen darüber bisher nicht ins Gespräch gekommen. Ich kann mir aber vorstellen, dass dieser Vorwurf manche sehr trifft. Denn es gibt zum Beispiel viele ältere Menschen, die arbeiten, um ihre Rente aufzubessern – und das gerne. Viele können das aber körperlich nicht mehr oder sind den Anforderungen, etwa dem Arbeitstempo oder der Digitalisierung, nicht gewachsen.

Hanna Orthmann  | Foto: Armin Stiegler
Hanna Orthmann Foto: Armin Stiegler

BZ: Dieses Jahr wurden die Regeln beim Bürgergeld verschärft, ab 2026 soll es "Neue Grundsicherung" heißen und mit weiteren Sanktionen einhergehen. Wer seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt, soll sogar die Übernahme der Miete verlieren können. Mit welchen Folgen rechnen Sie?

Wenn die Mieten nicht mehr gezahlt würden, wäre das eine Katastrophe. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es so weit kommt, auch wenn ich den Ansatz verstehe, Menschen in Erwerbsbiografien zu bringen. Oft hat es jedoch auch Gründe, warum jemand es nicht schafft, eine Arbeit aufzunehmen oder seine Termine bei Behörden pünktlich wahrzunehmen.

BZ: Welche Gründe sind das?

Meist sind es psychische Erkrankungen wie Depressionen, Ängste, Zwangsstörungen, die es schwer machen, morgens aufzustehen, die Wohnung zu verlassen und seinen Tag zu strukturieren. Menschen in einer depressiven Phase sind oft tagelang oder wochenlang nicht in der Lage, Alltagsanforderungen zu bewältigen.

BZ: Wie kann eine kleine Spende der Aktion Weihnachtswunsch in der angespannten Lage helfen?

Manchmal reicht es, jemandem ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern: Weil endlich die Brille repariert wird, weil ein Weihnachtsbaum gekauft werden kann, weil ein kleines Geschenk unter dem Baum liegen kann oder die dringende Waschmaschinenreparatur möglich wird. Die Spenden der Aktion Weihnachtswunsch lösen die geschilderten Probleme nicht, aber sie sind eine wichtige Unterstützung. Unsere Mitarbeitenden nehmen die Anträge auf, besprechen sie, entscheiden, ob der Bedarf wirklich besteht, und bewilligen dann kleine Summen. Die Spenden signalisieren, dass andere an einen denken und man nicht vergessen ist. Für die Spenderinnen und Spender ist es eine Möglichkeit, ganz direkt zu helfen. Das ist doch Weihnachten!

Hanna Orthmann (56) leitet die Abteilung Sozialarbeit und Servicedienste beim Kreisverband Emmendingen des Deutschen Roten Kreuzes mit rund 90 Mitarbeitenden.

BZ-Aktion Weihnachtswunsch 2025

Seit 1961 gibt es die "Aktion Weihnachtswunsch" der Badischen Zeitung, um bedürftige Menschen direkt und unbürokratisch zu unterstützen. Ausgehend von der Stadtredaktion in Freiburg kamen im Lauf der Jahre weitere Lokalredaktionen dazu, so dass sich die Aktion heute an acht Standorten im Verbreitungsgebiet der BZ etabliert hat. Jedes Jahr kommen etwas über eine Million Euro zusammen. In Zusammenarbeit mit Partnern wie dem Deutschen Roten Kreuz, Caritas, Diakonie und weiteren Organisationen in der Region wird das von Leserinnen und Lesern gespendete Geld an Menschen in Not und gemeinnützige Projekte verteilt. Vorsitzender des Vereins, der die Aktion trägt, ist BZ-Verleger Wolfgang Poppen, BZ-Chefredakteurin Carolin Buchheim ist stellvertretende Vorsitzende.

Spenden sind als Überweisung oder bar in jeder BZ-Geschäftsstelle willkommen. Online-Überweisung über: bz-medien.shop/aww.html. Weitere Spendenkonten:

Freiburg: Sparkasse Freiburg-Nördlicher Breisgau IBAN: DE77 6805 0101 0002 3995 06

Bad Krozingen: Sparkasse Staufen-Breisach IBAN: DE56 6805 2328 0009 4220 07

Volksbank Staufen IBAN: DE85 6809 2300 0000 1994 00

Volksbank Breisgau-Markgräflerland IBAN: DE81 6806 1505 0030 3759 04

Kreis Emmendingen: Sparkasse Freiburg-Nördlicher Breisgau IBAN: DE02 6805 0101 0020 0401 12

Volksbank Breisgau Nord IBAN: DE61 6809 2000 0000 5550 02

Lahr: Sparkasse Offenburg/Ortenau IBAN: DE85 6645 0050 0076 0005 55

Volksbank Lahr IBAN: DE72 6829 0000 0001 2222 01

Bad Säckingen: Sparkasse Hochrhein IBAN: DE 91 684 522 90 0026 011999

Volksbank Hochrhein IBAN: DE 57 684 922 00 0002 099713

Volksbank Rhein-Wehra (Kontoinhaber: Caritas) IBAN: DE 30 684 900 00 0000 413208

Lörrach: Sparkasse Lörrach-Rheinfelden IBAN: DE25 6835 0048 0001 0088 20

Volksbank Dreiländereck IBAN: DE95 6839 0000 0000 003131

Müllheim: Sparkasse Markgräflerland IBAN : DE42 6835 1865 0008 0244 40

Volksbank Breisgau-Markgräflerland IBAN: DE06 6806 1505 0000 1441 00

Titisee-Neustadt: Sparkasse Hochschwarzwald IBAN: DE28 6805 1004 0004 0100 88

Volksbank Freiburg IBAN: DE21 6809 0000 0018 0981 05

Verwendungszweck: BZ-Weihnachtsaktion


sir
Schlagworte: Hanna Orthmann, Carolin Buchheim
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