Südbaden
Innenstädte wieder mit Leben füllen – wie kann das gelingen?
In Südbadens Ortskernen sind viele Ladenflächen verwaist. Praktiker sagen trotzdem: Die Innenstadt habe eine Zukunft – wenn man das richtig angehe.
So, 16. Nov 2025, 9:30 Uhr
Südwest
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Vernagelte Fenster und leerstehende Geschäftsräume hier, die immergleichen Imbissläden und Billigmodeketten dort – in zahlreichen Stadtkernen Südbadens macht sich Tristesse breit. "Viele Innenstädte sind notleidend", sagt Thomas Kaiser, der die Szene so gut kennt wie kaum ein anderer. Er ist Innenstadtberater bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Südlicher Oberrhein. Trotzdem hat Kaiser seinen Optimismus nicht verloren. Es gebe eine Menge Möglichkeiten, die Städte mit neuem Leben zu erfüllen.
Wie das konkret gehen kann, diskutierten in dieser Woche auf Einladung der IHK Fachleute in Lahr, wo von 343 Ladenflächen 43 leer stehen. Man zeigte sich einig: Leerstand muss nicht ewiger Stillstand sein. Stattdessen bieten verwaiste Geschäfte Raum für neue Konzepte. Klar sei: Die Innenstadt der Zukunft könne sich nicht mehr allein als Einkaufsort verstehen. Gefragt seien Mischkonzepte: Shoppen, eine hochwertige Gastronomie, Kultur und soziale Begegnungsräume, Reparaturcafés, Orte zum gemeinsamen Arbeiten (Co-Working-Spaces) und Pop-up Stores zur Zwischennutzung für junge Unternehmensgründerinnen und -gründer – das alles gehöre zusammen und nur so werde die Innenstadt der Zukunft vital sein.
Beispiel Malterdingen: In der 3500-Einwohner-Gemeinde im Kreis Emmendingen wünschten sich laut einer Umfrage viele Bürger einen Begegnungsort im Stadtkern. Gleichzeitig platzte die Bibliothek aus allen Nähten, die im Rathaus untergebracht war, während eine Apotheke in der City nach einer Geschäftsaufgabe leer stand. Die Gemeinde kaufte das Gebäude. Dorthin zog die Bibliothek um, hatte nun mehr Platz. Mit rein kam ein Begegnungsort, "der gesellschaftliche Teilhabe für alle Generationen ermöglicht", wie die Macherinnen Inge Streblow und Elke Fellmann sagen. Heute kommen in diesen Dorftreff namens KaffeeSatz mehr als 12.000 Besucher im Jahr. Fast 90 Veranstaltungen finden dort statt; es gibt Musik, Theater, einen Stricktreff, einen Stammtisch für Trauernde und einen Cego-Treff. Im Bürgercafé gebe es Verpflegung zu "sehr sozialen Preise", man könne aber auch eigenes Vesper mitbringen. "Wir sind das öffentliche Wohnzimmer von Malterdingen", sagen die Chefinnen. 800.000 Euro habe das alles gekostet, 500.000 Euro habe die Gemeinde aufgebracht, der Rest stamme aus diversen Fördertöpfen. Aus Leerstand wurde neues Leben.
Aus Leerstand kann Leben werden
Ein anderes Beispiel aus dem Kreis Emmendingen: Dort führt Patrick Krezdorn die Beschäftigungsgesellschaft "48 Grad Süd" und damit Second-Hand-Kaufhäuser in bester Lage. In Emmendingen finden 85 sogenannte Ein-Euro-Jobber, deren Integration in den ungeförderten Arbeitsmarkt nicht so einfach gelingt, eine sinnvolle Beschäftigung. Gespendete Kleider aus der Bevölkerung werden aufgehübscht und verkauft. Es gibt auch eine Kfz-Werkstatt und Angebote für die Landschafts- und Gartenpflege; zur Hälfte bezahlt von den Kommunen des Kreisen und zur Hälfte von der Caritas. Weiter ging's in Endingen; dort entstand ein Second-Hand-Kaufhaus direkt am Marktplatz. Möglich, so Krezdorn, habe das ein Vermieter gemacht, der der sozialen Einrichtung "günstige Konditionen bietet". Dies ist laut Experten längst nicht überall so; für die Leerstände machen sie mitunter auch überzogene Renditeerwartungen der Immobilieneigentümer verantwortlich. Im Fall von "48 Grad Süd" lief das anders. In Herbolzheim entstand in einem leerstehenden Toto-Lotto-Geschäft (der Inhaber hatte aus Altersgründen aufgehört) das nächste soziale Kaufhaus in bester Lage. Mittlerweile sind es insgesamt sechs im Kreis; eines davon in Denzlingen, wo Geflüchtete betreut werden.
Solche sozialen Projekte allein werden die Innenstädte nicht retten, so die Experten, sie können aber Leerstände minimieren helfen und mehr Menschen in Zeiten von Online-Shopping und einer konjunkturbedingten Kaufzurückhaltung dazu bringen, die Stadtkerne zu frequentieren. Das Einkaufen bleibe laut IHK-Experte Kaiser zwar laut einer Umfrage unter 14.000 Menschen der wichtigste Grund, dorthin zu kommen. "Aber Shopping und Gastro allein reichen nicht mehr", sagt er.
Das sieht auch Willi Sutter so, ein Immobilienfachmann und Projektentwickler, der heute eine Baugenossenschaft leitet. Mehr als 100 denkmalgeschützte Gebäude hat er saniert. Viele von ihnen waren einst die Schmuckstücke der Stadt, standen dann aber leer und wurden so zum Sinnbild für den Niedergang der Ortszentren. Statt Abriss setzt Sutter auf Umwidmung – mit dem überraschenden Ergebnis, dass dies für die Stadtkasse wegen diverser Förderprogramme in vielen Fällen günstiger ist.
Umwidmung statt Abriss
In St. Märgen halfen acht Bürger mit ihren Investitionen, dass aus den trostlosen Überresten der "Goldenen Krone" ein Landfrauencafé, ein Einkaufsladen und ein Bürgertreff wurde. In Umkirch kombiniert das sanierte "Areal Gutshofscheune" Gastro, einen Veranstaltungssaal etwa für Hochzeiten, Handel, Arztpraxen und Mietwohnungen.
In Sulzburg, so berichtet Sutter, schloss der Einkaufsladen in der Innenstadt, das Schreibwarengeschäft stand vor einer unsicheren Zukunft und aus der Metzgerei sollte ein Dönerladen werden. Sutter schuf attraktive Ferienwohnungen mit Wellnessangeboten, präsentierte das Bergbaumuseum – passend – unterirdisch, schuf einen großen Begegnungsraum.
In St. Georgen im Schwarzwald wurde das alte, klotzige Rathaus aus den 70ern doch nicht abgerissen; Sutter und seine Leute schufen moderne Räume mit Solarfassade etwa für die örtliche Mediathek und sozial geförderte Mietwohnungen. Laut Sutter sparte die Stadt damit Millionen – und es kehrte neues Leben ein in den Kern der Gemeinde.
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