Kunst und Krankheit

Annette Hoffmann

Von Annette Hoffmann

Mi, 17. Mai 2023

Literatur & Vorträge

Simon Froehling ist in Freiburg zu Gast mit seinem Roman "Dürrst", der über eine schwierige Identitätsfindung eines schwulen, bipolaren Künstlers erzählt.

Die Zürcher Goldküste hat literarisch gesehen keinen guten Leumund. Als zu verkniffen, nicht eben großzügig, trotz oder gar wegen des vielen Geldes, emotional zu kalt gelten ihre Bewohnerinnen und Bewohner. Die ganze Gegend eine toxische Fallstudie. Dennoch hat Simon Froehling, Jahrgang 1978, mit seinem 2022 erschienenen Roman "Dürrst" nicht etwa Fritz Zorns "Mars" von 1977 aktualisiert. Seine psychische Konstitution ist nicht hausgemacht und doch ist ihr das Elternhaus nicht gerade zuträglich. "Aber ihre Seelen – fette Durrer-Maden, die sich laben am gammelig gewordenen Stützli-Fleisch", so beschreibt der Sohn die Verbindung der beiden Familien, den Binnenreim geradezu auskostend.

Andreas Durrer, genannt Dürrst, macht sich frei, er frequentiert die Cruising-Zonen, sucht sich Liebhaber, mit jungen Künstlern besetzt er ein Werkgelände, das ironischerweise einmal seiner Familie gehörte, und richtet sich dort ein Atelier ein. Den Abschluss an der Kunsthochschule verpatzt er, dennoch wird ihm ein bemerkenswerter Karrierestart gelingen. Doch wenn man manisch-depressiv ist, kann die Kunstszene genauso schädlich sein wie ein liebloses Elternhaus. Eine seiner ersten Arbeiten wird die Nachbildung des Zimmers aus James Baldwins 1956 publiziertem Roman "Giovanni’s Room" sein. Das Werk findet sofort einen Käufer. Auch spätere Installationen und Fotos imitieren Wirklichkeit.

Simon Froehling selbst geht es weniger um Hyperrealismus, auch wenn "Dürrst" biografische Züge trägt. Stattdessen findet er beeindruckend poetische Bilder für einen Zustand von Schutzlosigkeit und Verletzbarkeit. Von Baldwin, der hier in seiner Bedeutung für queeres Leben und als traditionsbildende Literatur herangezogen wird, leiht er sich das Thema der Scham, das 67 Jahre später noch immer mit Homosexualität verbunden ist sowie die gedämpfte Atmosphäre einer Unterwasserwelt. Das mag den Hormonen geschuldet sein, Dürrst reist viel und wechselt die Betten, doch der Mix aus Antidepressiva, Stimmungsstabilisatoren, Schilddrüsenhormonen und Schlafmitteln tut das seine. Froehling erzählt "Dürrst" in ständigen Rückblicken, die etwas von der psychischen Instabilität des Protagonisten vermitteln und die mit den Rückfällen seiner Krankheit korrespondieren. Seine Wahlfamilie aus Freunden sorgt für ihn und drängt ihn notfalls zur Selbsteinweisung in die Psychiatrie, der er sogleich wieder entkommen will.

Mit seiner zweiten Publikation, die auf der Shortlist des Schweizer Buchpreises stand, hat der Zürcher Autor einen Entwicklungs- und Künstlerroman geschrieben, der am Ende vom dialogischen Du zu einem Ich im Konjunktiv übergeht. Die Verbindung von Kunst und Krankheit ist nicht neu, insbesondere das 19. Jahrhundert kennt hier viele Beispiele romantisierter Erkrankungen. Bei Dürrst klingt das abgeklärter: "Deine manisch-depressive Störung hat dich einiges gelehrt über das Menschsein, von dem manch anderer Enddreißiger keine Ahnung hat. Ja, ja, belächelt dich dein innerer Spötter, sogar deine Bipolarität hat eine gute Seite, die ‚Krankheit der Kreativen’, van Gogh, und Picasso wird sie nachgesagt, Woolf und Plath, Mel Gibson und Maria Carey."

Die Kunstszene hängt an dieser Störung wie ein Vampir am Hals des Opfers. Entgegen gängiger Vorstellungen, so Dürrst, ist die Kunst als Profession ein Hochleistungssport und ein Feld, in dem Galerien, Kunstinstitutionen, Presse sowie Sammelnde ihre festen Rollen haben. In Zürich lässt sich das besonders gut beobachten und Froehling kennt den Jargon. Nichts, nicht mal die kleinste subversive Geste wird nicht begrüßt oder affirmativ einverleibt. Als die Saisoneröffnung auf dem okkupierten Werksgelände gefeiert werden soll, spricht eine Tageszeitung von einer "Renaissance der Besetzungen", schließlich haben sich die heute Arrivierten auch einmal ihre Räume genommen. Bei Dürrst hinterlässt dies das Gefühl, ein Scharlatan, ein Strohfeuer, ein Shootingstar zu sein: Das System verheizt seine Lieblinge.

Simon Froehling: Dürrst. Bilgerverlag, Zürich 2022. 266 Seiten, 24 Euro. Lesung: Mittwoch, 17. Mai im Literaturhaus Freiburg, 19.30 Uhr.