Leserbrief: Eine gewachsene Landschaft verschwindet

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FLURBEREINIGUNG OBERROTWEIL
Zum BZ-Artikel "Neue Parzellen am Lerchenberg bereit für den Weinbau" am 23. Mai erreichte uns diese Zuschrift:
Die BZ zitiert in dem Bericht den Chef der planenden Behörde, Landrat Christian Ante, er sei total überrascht, wie schnell solche Vorhaben in Vogtsburg umgesetzt werden. Ist das feine Ironie?

Der Lerchenberg ist vor 50 Jahren als dritte und abschließende Großflurbereinigung in Oberrotweil in den 70er-Jahren geplant worden (Geo, Heft 10/1979), nach den Planien Kunzenbuck (1968 bis 69) und Badenberg (1972 bis 73). Das deutschlandweite mediale Echo auf die totale Zerstörung alter Kulturlandschaft war ein Schock (Geo: "Der hässliche Weinberg", Zeit: "Ein Berg wird rasiert").

Franz Keller sprach damals von "dieser landschaftsschändenden Flurbereinigung am Kaiserstuhl", und "nur noch Masse sei die Devise, der Wein verkomme zur charakterlosen Flüssigkeit". Franz Keller habe "Angst um den Ruf des Kaiserstühler Weins, dessen industrialisierte Massenherstellung und (…) Anbiederung an den Geschmack einer Supermarkt-Kundschaft (...)" lese er als Menetekel. In der Oberrotweiler Chronik aus dem Jahr 2000 ist auf Seite 306 zu lesen "In den Jahren 1979/80 war eine Flurbereinigung in den Gewannen Trotte, Lerchenberg und Roggenberg vorgesehen. Bei den vorbereitenden Informationsveranstaltungen scheiterte dieses Vorhaben infolge zu vieler Gegner. (…) Der Verzicht auf eine Flurbereinigung in diesen Gewannen hat sich sehr positiv auf das gewachsene Landschaftsbild und damit auf die vorhandene Flora und Fauna ausgewirkt.(...) Die vertraute Naturlandschaft verblieb in einem völlig intakten Zustand." Zeitzeugen berichten mir, der damalige Geschäftsführer der örtlichen Raiffeisenbank habe 1979/80 in der Informationsveranstaltung darum gebeten, mit der Flurbereinigung Lerchenberg zu warten, bis er in Rente sei, er wolle nicht mehr erleben, dass Leute zu ihm kommen und nicht wissen, wie sie die Sache bezahlen sollen.

In der Befragung 2018 war zum zweiten Mal eine Mehrheit der 276 Eigentümer gegen die Flurbereinigung Lerchenberg. Daraufhin ist das Verfahrensgebiet in drei Prioritätszonen eingeteilt worden, so dass die Behörde endlich eine Zustimmung von etwas mehr als der Hälfte der jetzt 178 Eigentümer der Prioritätszone 1 behaupten konnte. Genaue Zahlen wurden nicht veröffentlicht. Die Prioritätszone 2 (Burg, Lairen, Roggenberg) und die Prioritätszone 3 (Trotte, Panthaleon) sind mangels Zustimmung vom Verfahrensgebiet abgetrennt worden.

Es ist tragisch, dass die verzweifelten Entscheider von heute nur die 50 Jahre alte Antwort aus Zeiten eines damals wachsenden Weinmarktes finden: Großflurbereinigung für Vollernter und Billigwein. Das Ergebnis ist eine Winzerbereinigung, von 178 Eigentümern sind laut aktuellem BZ-Bericht nur noch 117 da.

Das Ergebnis sind Grundstückspreise und Pachterlöse, die gegen Null gehen. Das Ergebnis ist das Verschwinden einer gewachsenen Weinbau-Kulturlandschaft mit alten Bäumen, kleinen Hohlwegpassagen, vielen Graswegen, Standlösssteilwänden, kleinen Terrassen, Trockenmauer und malerischen Böschungen. Entstanden ist eine Weinbaumonokulturwüste mit wuchtigen 45 Grad-Böschungen, Großterrassen und überdimensionierten Wegen, die mit Asphalt, Gitterbeton oder Schotter befestigt werden.

Heute, in einem langfristig schrumpfenden Weinmarkt, sind Handarbeit, Hightech und höchste Qualität die richtige Antwort. Großflurbereinigung für Billigwein, das können andere besser.

Tillmann Hesse, Oberrotweil
Schlagworte: Franz Keller, Tillmann Hesse, Christian Ante
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