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Insel

Mallorca hält sich aufrecht, mit Mühe

Martin Dahms
  • Do, 30. Juli 2020, 15:33 Uhr
    Ausland

     

"Es ist wie im Oktober an der Ostsee", sagt ein Urlauber auf der Balearen-Insel. "Nix los." Das macht manchen Einheimischen froh – und manche Wirte verzweifelt. Vor dem Virus fürchtet sich kaum jemand.

„Die liegen normalerweise wie die Heringe“, sagt ein Düsseldorfer Urlauber, der seit 1966 jedes Jahr nach Mallorca kommt. Foto: Ulrich Stamm via www.imago-images.de
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Vier Möwen stehen im Sand und schauen aufmerksam wie Rettungsschwimmer aufs Meer hinaus. Eine wirft den Kopf in den Nacken und reißt den Schnabel auf, dass man ihre Zunge sieht. Sie gähnt. Es ist Ende Juli an der Playa de Palma. Ein paar Schritte vom Strand entfernt, in der "Sonnenbäckerei", trinkt René Schlag einen Kaffee und sagt: "Das Schöne ist, wenn du jetzt dort hinten vorbeiläufst: Es stinkt nicht mehr nach Pisse."

"Heute kannst du über die Uferpromenade spazieren. Vor einem Jahr hättest du keinen Schritt tun können." Christian Lafourcade, Gastwirt
Dort hinten, am Balneario 5, auf Höhe des verrammelten Megaparks, fährt ein Streifenwagen der Lokalpolizei vor. Da sitzen ein paar Jungs und trinken mit langen Strohhalmen Sangria aus einem Eimer. Das gibt es noch. Als die Beamten sie dazu auffordern, stehen die jungen Leute auf, ziehen sich ihre Masken über Mund und Nase und schlendern davon, als wäre nichts gewesen. Ihren Eimer dürfen sie mitnehmen.

Was ist an der Playa de Palma anders als im Juli vergangenen Jahres?

"Das ist leicht zu erklären", sagt Christian Lafourcade, der uruguayische Wirt der deutschen Kneipe Zur Krone. "Heute kannst du über die Uferpromenade spazieren. Vor einem Jahr hättest du keinen Schritt tun können, so voll war es."

Nach drei Monaten Stillstand kommen die Gäste wieder

"In einer normalen Saison", sagt der Rezeptionist Eduardo Murillo, der an der Playa de Palma wohnt, "magst du hier nicht vorbeikommen. Mein Sohn wird jetzt älter, und es gibt bestimmte Sachen, von denen ich nicht will, dass er sie sieht. Und ich fahre lieber an einen anderen Strand als an den vor meiner Haustür."

In Magaluf, 30 Kilometer westlich der Playa de Palma, sonst die Hochburg der britischen Partytouristen, findet eine Rückeroberung statt. Der Strand ist weiß und weich, das Meer ist warm und klar. Spanische und portugiesische Familien trollen sich friedlich im Sand und im Wasser. Kein Englisch ist zu hören.

Die Familie Septinus aus Jülich, Großeltern, Eltern und ein Enkelkind, wohnt dieses Jahr nicht am Strand, sondern im Inselinneren, in einem wunderbaren Haus mit Garten und eigenem Schwimmbad im Dorf Caimari. Gebucht hatten sie schon im November, da wussten sie noch nichts von Corona, aber jetzt sind sie froh, weit weg von allem Trubel zu sein. Sie waren gerade am Strand von Alcudia und "echt erschrocken", sagt Mutter Anja Septinus. "Wir haben unheimlich viele Geschäfte geschlossen gesehen und Bars, wo wir letztes Jahr noch waren. Und ich hab’ so gedacht: Ach komm, wir haben zumindest dazu beigetragen, das hier aufrechtzuerhalten – indem wir gekommen sind."

Mallorca hält sich aufrecht, mit Mühe. Drei Monate, von Mitte März bis Mitte Juni, war die Insel für Besucher geschlossen. Jetzt kommen die Menschen wieder. Leute, die die Insel mögen, wie Familie Septinus. Die Treue der Deutschen zu Mallorca ist ein Phänomen. Klaus-Dieter Knode, Düsseldorfer Stammgast in der "Krone" an der Playa de Palma, kommt seit 1966. Dieses Jahr war er mit seiner Frau Jutta schon im Februar hier, danach hatten sie für April und dann wieder für Juni gebucht, anschließend sollte Pause sein bis Ende September, "wegen der Hitze". Jetzt sind sie doch hier, sie haben lieber umgebucht als storniert. Und sind glücklich. "Die Insel ist ja wunderschön. Wunderschön. Jetzt ist sie noch schöner, weil sie ganz leer ist. Is’ ja nix los."

Die Strände sind voll, aber nicht überlastet

"Nix los", das muss man im Falle Mallorcas näher definieren. Die Strände sind voll, die Playa de Palma ebenso wie der Strand von Magaluf oder die kleine malerische Bucht Sant Joan in der Nähe von Alcudia, in der sich fast nur Einheimische tummeln. Doch brechend voll sind die Strände diesmal nicht, überall ist noch Platz, und man fühlt sich von niemandem bedrängt. "Die liegen normalerweise wie die Heringe", sagt Knode. Eine Gruppe junger Leute aus Berlin und Hamburg diskutiert die Lage. "Es ist wie im Oktober an der Ostsee", sagt einer. Bei deutlich höheren Temperaturen.

Vor dem Virus fürchtet sich niemand hier. Die anderen sind in Deutschland geblieben. Gefährdet ist man hier "genau wie zuhause", sagt Knode. So denken die meisten und die bisherigen Zahlen geben ihnen recht. Die Zahl der Neuinfektionen auf 100 000 Einwohner lag in den vergangenen zwei Wochen auf den Balearen mit 8,3 so hoch wie in Deutschland. Woanders sieht es schlimmer aus, etwa in Katalonien mit – mindestens – 61,7 oder in Luxemburg mit 218 Fällen pro 100 000 Einwohner.

Für alle Fälle herrscht auf den Balearen Maskenpflicht. Ob man sie trägt oder nicht, ist offenbar eine Charakterfrage. Manche sind gewissenhaft oder fürchten die Bußgelder, viele andere haben die Maske zum Kinn geschoben oder übers Handgelenk gezogen. Familie Septinus gehört zur ersten Gruppe. "Wir achten auf Distanz, auf die Maskenpflicht", sagt Großmutter Roswitha. "Wir verhalten uns zuhause auch so. Ich seh’ da keine große Einschränkung."

Ballermann-Touristen feiern, als gäbe es kein Corona

Andere offenbar schon. Sie benehmen sich, "als wenn kein Corona wär’", sagt Jutta Knode mit einem feinen Lächeln. Gemeint sind "diese Ballermann-Touristen", wie sie Torsten Nix nennt, der Ehemann von Anja Septinus. Diese Touristen haben am Freitag vor zwei Wochen in der sogenannten Bierstraße, nicht weit vom Balneario 6 – dem berühmten Ballermann – entfernt, gefeiert; gar nicht besonders ausschweifend, aber eben ohne Masken und Abstand zu Nebenmann und Nebenfrau. Ein deutscher Journalist hat das gefilmt – und fertig war der Skandal. "Da habe ich mich schon maßlos aufgeregt", sagt Torsten Nix. "Gerade dass die aus unserem Land kommen, das fand ich unangenehm. Wo die Spanier so schwer getroffen sind von Corona. Und dann kommen da so ein paar Idioten, die alles missachten – und damit im Grunde alle Anstrengungen der Spanier missachten."

Über jenes freitägliche Bierstraßenvergnügen redet auf Mallorca immer noch alle Welt. Vor allem, weil es Konsequenzen hatte: Am Mittwoch darauf erklärte die Balearen-Regierung die Bierstraße und die Schinkenstraße an der Playa de Palma sowie die Straße Punta Ballena in Magaluf für geschlossen. Über die Motive für diese vorerst zweimonatige Schließung gibt es einige Theorien. "Was wir hier hören, ist, dass es einen Anruf aus Deutschland beim spanischen Gesundheitsminister gab", sagt Eugenia Cusí, Sprecherin des Verbandes der kleinen Restaurationsbetriebe auf Mallorca. "Und der Minister hat in Mallorca angerufen: Wir müssen einen guten Eindruck in Deutschland machen, sonst drehen die uns den Tourismus ab. So sind die Gerüchte."

"Die Regierung hier möchte den Sauftourismus nicht mehr haben." Peter Berghoff, Geschäftsmann
Am Samstag nach der Freitagsparty zog Polizei in der Bierstraße auf, so war die Ordnung schnell wiederhergestellt. Drastischere Maßnahmen waren überflüssig. Dass die Regionalregierung sie trotzdem traf, ist "aus meiner bescheidenen Sicht der Dinge eine Werbeaktion für die Sicherheit auf der Insel", sagt Christian Lafourcade von der "Krone". Eine Demonstration der Entschlossenheit im Kampf gegen das Virus. Oder noch mehr. "Die Regierung hier möchte den Sauftourismus nicht mehr haben", glaubt der nahe der Playa de Palma lebende deutsche Geschäftsmann Peter Berghoff. Corona sei bloß der Vorwand für eine ohnehin geplante Politik gegen das schrankenlose Vergnügen. Darüber wird auf Mallorca seit Jahren geredet, ohne dass sich die Dinge bisher fundamental geändert hätten. Für einen Sommer nun auf einmal doch, dem Virus sei Dank.

Im Inneren der Insel ist es noch stiller als sonst

Die Berlin-Hamburger Freundesgruppe am Strand findet das "schade, das Nachtleben fehlt schon". Aber anderseits sei nun "alles schön ruhig", und sowieso gehe es ihnen hauptsächlich darum, mal wieder zehn Tage gemeinsam zu verbringen. Jetzt bummeln sie abends über die Strandpromenade der Playa de Palma, an der fast alle Läden und Kneipen geöffnet haben. Gepflegte Entspannung. Nur die Sau kann man hier gerade nicht rauslassen.

Im Inselinneren weiß man von den Enthemmungen an der Playa de Palma und in Magaluf sowieso nur aus den Medien. Jetzt ist es noch stiller als sonst. Auf dem Parkplatz beim Santuari de Lluch, einer Klosteranlage im Tramuntana-Gebirge, steht ein Dutzend Autos, "sonst ist der voll", sagt die Ticketverkäuferin. Es gibt aber auch Ecken, die nie vom Massentourismus berührt waren, so wie das Landschafts- und Kunstmuseum Sa Bassa Blanca auf einer Halbinsel im Nordosten. Den Besuchern wird vor dem Zutritt Fieber gemessen. Es sind nur eine Handvoll. So wie immer, sagt die Frau am Eingang.

In der Krisenzeit erlebt der Urlaub auf einer Finca einen Boom

Es ist ein schönes Gefühl, die Insel für sich zu haben. Aber wovon leben die Mallorquiner? Alle sind voller Hoffnung, dass es irgendwie weiter und wieder aufwärts geht. Pedro Pascual und seine nepalesische Frau Doma Sherpa haben gerade das "Petit Caimari" eröffnet, ein Achtzimmer-Landhotel. "Fürs nächste Jahr hoffen wir, dass es einen Impfstoff gibt und Covid vergessen ist", sagt Pascual. Die Restaurantgruppe Tast, der Eugenia Cusí vorsteht, eröffnet an diesem Mittwoch ein neues Lokal am zentralen Platz von Sóller mit großer Terrasse. "Ich werde auf nichts verzichten, was ein gutes Geschäft sein kann", sagt Cusí.

Peter Berghoff hat das deutsche Ärztezentrum, das er an der Playa de Palma betrieb, wegen der Corona-Krise geschlossen. Sein neues Geschäft ist der Immobilienservice "Wohnung und Haus Mallorca". "Was im Moment wahnsinnig boomt, ist Finca-Urlaub. Die Fincas gehen weg wie sonst was", sagt er. Und auch Anett Köhler, die Betreiberin der "Sonnenbäckerei", die hier im Winter Dresdner Stollen verkauft, ist unverzagt. "Also wir sind noch hier in einem Jahr", sagt sie fröhlich. "Wir strukturieren halt um. Und machen andere Sachen, die vielleicht besser funktionieren." So schnell ist Mallorca nicht unterzukriegen.
Der aktuelle Stand in Spanien

Wegen des starken Anstiegs der Corona-Infektionen in Spanien rät das Auswärtige Amt von touristischen Reisen in mehrere Regionen des beliebtesten Urlaubslands der Deutschen ab. Betroffen sind Katalonien mit der Touristenmetropole Barcelona und den Stränden der Costa Brava sowie die Regionen Aragón und Navarra. Die Balearen mit der beliebten Ferieninsel Mallorca und die Kanaren bleiben verschont. Die Zahl der registrierten Neuinfektionen ist von gut elf Fällen pro 100 000 Einwohner innerhalb von zwei Wochen Ende Juni auf gut 50 Fälle Ende Juli angestiegen. Großbritannien hatte am Sonntag mit einer deutlich drastischeren Maßnahme auf die Infektionswelle reagiert und eine zweiwöchige Quarantänepflicht für Rückkehrer aus ganz Spanien verhängt. Versuche der Regierung in Madrid, die Balearen und Kanaren davon auszunehmen, scheiterten: London blieb hart und legte auch noch eine Reisewarnung für ganz Spanien nach. Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez sprach von einer "unangemessenen Entscheidung" der Briten. Die Tourismusbranche kommt sonst für zwölf Prozent des spanischen Bruttoinlandsprodukts auf.

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