Ukraine-Krieg

Protokoll einer Fahrt in die Sicherheit: Helfer bringen Flüchtlinge nach Freiburg

Im Bus herrscht Stille, es fließen Tränen: Die Badische Zeitung unterstützt eine Initiative, die Kriegsflüchtlinge aus dem ukrainisch-polnischen Grenzgebiet nach Südbaden bringt. Michael Saurer hat den Konvoi begleitet.  

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Irina Lukiianets nimmt auf einem Rastplatz bei Karlsruhe ihre Mutter aus Kiew in Empfang. Foto: Michael Saurer
Täglich stranden Tausende ukrainischer Kriegsflüchtlinge an den westlichen Grenzen des Landes und versuchen, eine sichere Unterkunft in einem anderen Staat zu finden. Viele wollen zu Verwandten oder Freunden in Polen, der Slowakei, Deutschland oder Frankreich. Nur wie sollen sie dorthin kommen? Viele sind auf Fahrdienste Freiwilliger angewiesen, die sie von den Aufnahmelagern an der Grenze abholen und sie in ihre Wunschländer fahren. Die BZ-Stadtredaktion hat gewonnenes Preisgeld gespendet und so die Initiative unterstützt. Freiwilligen haben dabei einen Transport auf die Beine gestellt. BZ-Redakteur Michael Saurer hat ihn begleitet.

Mittwoch, 20.30 Uhr

Eine überraschende Wende. Am Nachmittag war die Anfrage gekommen, ob die BZ einen Reporter für den Transport bereitstellen könnte – doch zwischenzeitlich sah es so aus, als ob man kein drittes Fahrzeug bekommt. Bislang hatten der SC Freiburg und die Grüne Flotte sich bereiterklärt, je einen Neunsitzerbus zu stellen. Am Abend dann die Nachricht: Der Eishockeyclub EHC Freiburg stellt auch einen Bus zu Verfügung – am nächsten Tag kann es losgehen. Details würden während der Fahrt geklärt. Es gehört etwas Vertrauen und Improvisationsbereitschaft dazu, sich auf eine solche Aktion einzulassen. In der jetzigen Situation geht es aber nicht anders, das ist auch dem Reporter klar.

Donnerstag, 9 Uhr

Der Parkplatz vor dem Stadion des EHC. Der Bus, ein moderner Ford Transit, rundum mit den Logos des Vereins und diverser Sponsoren beklebt, steht auf dem Gelände. Die beiden anderen Busse sind derweil schon früher losgefahren – auf der Autobahn will man zusammentreffen. Bereits viel früher losgefahren ist ein großer Reisebus eines Reiseunternehmens aus Königsfeld im Schwarzwald. Er transportiert eine größere Menge an Hilfsgütern für die Flüchtlinge. Organisiert hat das David Bayer aus Königsfeld, der auch den Kontakt zu dem Flüchtlingslager und einigen Helfern hergestellt hat.

Donnerstag, 18.30 Uhr

Der Konvoi ist in Polen angekommen. Die Fahrer versuchen auf einer Raststätte herauszufinden, wie und wo man die Autobahnmaut in Polen bezahlen kann. Plötzlich ein vertrauter Akzent – eine Gruppe von Männern spricht die Helfer an und fragt, ob sie auch an die ukrainische Grenze unterwegs sind. Hinter ihnen ein Feuerwehrbus der Freiwilligen Feuerwehr aus Mahlberg im Ortenaukreis. Die hat spontan einen 40-Tonner-Lkw mit Hilfsgütern organisiert und will nun mit dem Feuerwehrbus Flüchtlinge zurück nach Südbaden nehmen. Bereits auf der Autobahn vor Nürnberg ist ein Kleinbus mit Emmendinger Kennzeichen aufgefallen, auf dessen Heckscheibe eine ukrainische Flagge aufgeklebt war. Womöglich mit gleichem Ziel. Die Hilfsbereitschaft in Südbaden scheint groß zu sein.

Freitag, 2.30 Uhr

Die drei Freiburger Busse sind in einem Dorf in der Nähe der Grenze angekommen. Hinter ihnen liegen fast 18 Stunden Fahrtzeit und 1500 Kilometer. Für die Übernachtung wurde eine kleine Holzhütte organisiert. Zwei Betten für sechs Personen – aber die Nacht wird ohnehin kurz. Um sieben Uhr muss die Gruppe zum Lager an der Grenze aufbrechen. Immerhin ist es warm, denn der Vermieter heizt den Holzofen an. Das Thermometer zeigt eine Außentemperatur von minus zwölf Grad. Tanja aus dem Freiburger Helfer-Team sieht müde, aber zufrieden aus. "Heute lief ja alles gut, morgen wird es emotionaler", sagt sie.

Freitag, 7.30 Uhr

Nach einer kurzen Nacht haben die drei Busse mit ihren fünf Helfern das Flüchtlingslager in Mlyny erreicht, gute zwei Kilometer von der polnischen-ukrainischen Grenze und gute 70 Kilometer von Lviv entfernt. Ein großer rechteckiger Bau – ein riesiges Einkaufszentrum. Beim Blick in das Innere zeigt sich den Beobachtern aber das ganze Ausmaß der Tragödie. Hunderte, eher Tausende Menschen liegen dort auf einfachen Feldbetten, ihr verbliebenes Hab und Gut in kleinen Koffern, Plastiktüten und Taschen neben den Liegen – es riecht nach Schweiß und Verzweiflung. Viele Kinder schlafen dort, klammern sich an ihre Kuscheltiere. Manche haben Hunde oder Katzen dabei, etwa Klawdiya, eine junge Frau aus Irpin, einem Vorort von Kiew, der seit Tagen von russischen Truppen zerbombt wird.

Ihre beiden Hunde liegen mit ihr auf der Liege, springen immer wieder auf, sie versucht sie zu beruhigen. Sie habe gerade noch rechtzeitig aus ihrer Wohnung fliehen können, danach seien alle Gebäude in der Straße bei Raketenangriffen zerstört worden, sagt sie mit feuchten Augen. Nun sitzt sie mit dem Wenigen, das ihr geblieben ist, auf dem Feldbett. "Ich hatte die Wahl – entweder ich versuche, meinen Besitz zu retten oder mein Leben." Nun wartet sie auf einen Bekannten, der sie nach Waldshut bringen will.

Freitag, 10 Uhr

Seit zwei Stunden versuchen die Helfer aus Südbaden, Menschen zu finden, die nach Freiburg mitfahren wollen – auf Wunsch auch mit Stopps in Dresden, Nürnberg oder Stuttgart. Auf einige wartete das Team bereits – sie hatten schon vorab Kontakt mit den Organisatoren. Die Mehrzahl muss aber erst gefunden werden. Markus Schillberg aus dem Team läuft mit einem Pappschild durch das Lager, auf dem in kyrillischen Buchstaben die Städtenamen Dresden, Nürnberg und Freiburg geschrieben stehen.

Freitag, 11 Uhr

Ein Teil der Gruppe möchte sich die Situation an der Grenze ansehen. Doch man kommt nicht weit, Schranken versperren den Weg – ohne Erlaubnis der polnischen Behörden darf man nicht weiterfahren. Auf dem Parkplatz stehen Reisebusse, die die Ankommenden zum Lager bringen.
Spenden

Für die kommenden Konvois sind noch Spenden willkommen unter: Urbanes Freiburg e.V.
IBAN DE92 6805 0101 0013 9188 59
Stichwort "Direkthilfe Ukraine". E-Mail-Kontakt: [email protected]

Freitag, 12 Uhr

Die Busse sind voll und setzen sich in Bewegung. Der Reisebus aus Königsfeld ist bereits losgefahren, auch für die Kleinbusse haben sich Mitfahrer gefunden. Frauen mit kleinen Kindern, Senioren – auch ein Hund ist dabei: Aleks, ein Chihuahua. Keiner spricht Englisch, die Verständigung läuft über Hände, Mimik und den Google-Translator der Smartphones. Aber es wird klar: Die Flüchtlinge wissen nicht, was das für Menschen sind, die sie in eine unklare Zukunft fahren wollen. Es gibt Gerüchte, dass zwielichtige Gestalten Mitfahrgelegenheiten nur für junge, gutaussehende Ukrainerinnen anbieten. Um wenigstens etwas Sicherheit zu gewährleisten, müssen sich alle Transporte mit ihren Passagieren bei der Polizei vor Ort registrieren. Während der Fahrt herrscht weitgehende Stille. Die Anspannung ist den Passagieren anzumerken.

Freitag, 23 Uhr

Kurzfristige Planänderung. Eigentlich wollten die Helfer die Nacht durchfahren. Aber viele sind an ihre Grenzen gelangt, die lange Fahrt am Vortag, der kurze Schlaf fordern ihren Tribut. Das Organisationsteam im Hintergrund um den Freiburger Altstadtrat Simon Waldenspuhl hat für alle 25 ein Hotel in Dresden organisiert. Alle sind erleichtert, auch die Flüchtlinge. Eine Familie sagt, es sei seit fünf Nächten ihre erste Nacht in einem Bett.

Samstag, 14.45 Uhr

Gegen 9 Uhr ging es in Dresden los, nun hat der Konvoi eine Autobahnraststätte bei Karlsruhe erreicht. Irina Lukiianets wartet dort auf ihre Familie. Seit 15 Jahren lebt sie in Deutschland. Nun haben die Helfer ihre Familie zu ihr gebracht. Mutter, Vater, Schwester und deren Sohn fallen sich um den Hals, es fließen Tränen.

Samstag, 17 Uhr

Die drei Busse sind in Freiburg angekommen. Müde, aber erleichtert steigen Helfer wie Passagiere aus. Der Stress ist allen anzumerken. Vier der Mitfahrer müssen zum Bahnhof, sie fahren weiter nach Lugano in der Schweiz. Für andere wurden Übernachtungsmöglichkeiten in Freiburg und Umgebung organisiert. Nun steht bereits der nächste Transport an: Ende der Woche soll es losgehen. Es gibt noch viel zu tun. "Wir sind noch ganz am Anfang der Fluchtbewegung", glaubt Markus Schillberg. Derweil belagert die russische Armee die Millionenstadt Odessa. Viele sitzen wohl auf gepackten Koffern.
Unterstützer

Finanziert wurde der Konvoi durch verschiedene Unterstützer, wie z.B. dem Verein AMICA e.V. – für Frauen in Krisenregionen. Die BZ beteiligte sich mit einer Spende über 3000 Euro, die Bahnhofsmission organisierte Obst und Müsliriegel. Die Busse wurden vom SC Freiburg und dem EHC sowie der Carsharingfirma Grüne Flotte zur Verfügung gestellt. Auch der Freiburger Musik- und Kulturverein Multicore beteiligte sich an den Fahrtkosten. Organisiert hatte die Aktion David Bayer. Er wandte sich an den Freiburger Altstadtrat Simon Waldenspuhl. Schnell hat sich ein breites Netzwerk gebildet. Die Deutsch-Ukrainische Gesellschaft kümmerte sich um die Hilfsgüter, die mit dem Reisebus transportiert wurden.

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