... Manfred Voßler, lange Jahre Chef des Schulamts in Freiburg, der ein kurioses "Klassenbuch" verfasst hat

SCHULERINNERUNGEN MIT...: Skurriles aus dem Lehreralltag

Zu den Kommentaren
Mail

Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen

Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.

Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.

Akzeptieren
Mehr Informationen
1/2
Ein ganz besonderes Klassenbuch verfasste Manfred Voßler. Foto: Gerhard Walser
Von außen sieht es genauso aus wie ein normales Klassenbuch: DIN-A4-Format, roter Einband, knapp 100 Seiten. So wie es auch heute noch auf jedem Lehrerpult liegt – gespickt mit den gefürchteten Einträgen, die Generationen von Schülern schon mal den Angstschweiß auf die Stirn treiben konnte. Wenn’s im Unterricht Ärger gab, war der Eintrag unvermeidlich. Manfred Voßler, bis vor drei Jahren Leiter des Staatlichen Schulamts in Freiburg, hat den Spieß einmal umgedreht. Sein "Zeitzeuge" Klassenbuch enthält nicht allein Lehrereinträge, sondern allerlei Klageschriften aus dem Schulalltag: wundersame Entschuldigungen, geharnischte Elternbriefe und phantasievolle Rechtfertigungen – gesammelt in mehr als 40 Jahren Lehrerdasein und Schulamtskarriere. Gerhard Walser hat den in Emmendingen lebenden Pensionär getroffen.

Es hatte ihn immer schon gejuckt, die zwei dicke Aktenordner füllende Sammlung von authentischen Briefen und Beschwerden einmal zu veröffentlichen. Schon als Junglehrer im Raum Offenburg stieß der heute 69-Jährige auf einen bemerkenswerten Ideenreichtum beim Anfertigen von Entschuldigungen oder Beschwerden – Beginn einer unermüdlichen Sammelleidenschaft, die sich über alle Dienstjahre und Karriereschritte fortsetzte. Der Schatz an vielsagenden, zuweilen humorvollen und witzigen, aber auch sarkastischen und skurrilen Äußerungen aus Elternhand und Schülermund lagerte zunächst als Loseblattsammlung im heimischen Büroschrank. Nach der Pensionierung hat er es nun gewagt und sein Klassenbuch unter dem Titel "Tschuldigung, Herr Lehrer" (die Anrede eines notorischen Briefeschreibers) veröffentlicht – im Eigenverlag, selbst abgetippt, finanziert und vertrieben.

"Das war eine Mordsarbeit", sagt er im Nachhinein und blättert versonnen im hochwertig gebundenen Ergebnis, das er nun bei Lesungen in der Region vorstellen möchte. Zunächst war er voller Unerfahrenheit ans Werk gegangen, hatte die Aufzeichnungen chronologisch wiedergeben wollen. Doch wohlmeinende Ratschläge führten zu einer thematischen Struktur und einer Auswahl von einem Drittel der gesammelten Texte, bereichert nun um Karikaturen und Skizzen von Gerhard Deist, Günther Bührer und Harald Heil, die zum Thema passen. Dieter Rutz steuerte zusätzliche Gestaltungsideen bei.

"Vieles wiederholt sich, anderes durfte ich nicht veröffentlichen", sagt Voßler zur Auswahl. Denn Datenschutz ist in Zeiten des Internets von besonderer Bedeutung. Viele der Zitierten, meist ehemalige Schüler, waren geschmeichelt und sagten ja zur Veröffentlichung, andere, insbesondere Angehörige längst Verstorbener, wiegelten ab oder hatten Bedenken und Vorbehalte – die Zitate schienen ihnen immer noch als zu brisant. Voßler anonymisierte daher auf Wunsch die Zitate, änderte Namen von Eltern oder Kollegen, ohne jedoch die originellen Inhalte der Schriftstücke allzu stark zu verfremden.

Und so tauchen sie überaus herzerfrischend im Klassenbuch auf, die Stilblüten, Wutbotschaften und Verteidigungsreden ganzer Generationen von Pennälern. Für Voßler ein "Lehrstück dafür, wozu Kinder in der Lage sind, wenn sich erst mal ihre Seele öffnet". Voßler selbst hatte als Pädagoge und Schulleiter den Anstoß dazu gegeben und von Schülern, die Kollegen zum Nachsitzen verdonnert hatten, anstelle des sturen Abschreibens der Schulordnung schriftliche Rechtfertigungen etwa zu der Frage eingefordert, "warum ich mich ungerecht behandelt fühle". Die ungeschminkten Ergebnisse sind für ihn die wertvollsten Beiträge seines Buchs. Gleich zwei ganze Seiten füllt der köstliche Exkurs eines Schülers zum Thema "Wunder in der Bibel". Er wollte vom Religionslehrer wissen, wie Jesus es nur geschafft habe, übers Wasser zu laufen, wo es doch damals noch keine Surfbretter gegeben habe.

Geradezu ans Herz gewachsen ist Manfred Voßler sein inzwischen verstorbener Riegeler Entschuldigungsautor, der, so Voßler "als einfacher Mann mit Hauptschulabschluss" seine in Schönschrift geschriebenen Zeilen stets in geschliffener Versform und mit "enormem Sprachschatz und Ideenreichtum" verfasste: Der Durchfall, den seine Tochter einige Unterrichtstage außer Gefecht setzte, inspirierte den Vater etwa zu einer ebenso beziehungsreichen wie wortgewaltigen Ode an die "Erlkönigin".

"Ich habe die Eltern immer dazu ermuntert, ihre Kritik ungeschminkt und direkt anzubringen", berichtet der pensionierte Schulamtsdirektor – auch wenn sie hin und wieder arg distanzlos ausfiel. "Ich komme vom Land und kenne den Stammtisch", so Voßler. Oft ging es in den Elternbeschwerden deutlich unter die Gürtellinie, und so mancher Zwist zwischen Lehrkörper und Elternschaft war am Ende sicher nicht immer nur lustig. In der Distanz der Jahre oder Jahrzehnte liest er sich allerdings recht amüsant.

So wie auch der höchstamtliche Briefwechsel zwischen einem Grund- und Hauptschullehrer und dem Schulamtschef Voßler. Der Pädagoge hatte sich verunglimpft und diskriminiert gefühlt, weil der Amtsleiter in einem BZ-Bericht die Kollegen zum Amtsantritt schlicht als seine "neuen Schüler" bezeichnet hatte.

Manfred Voßler, "Tschuldigung, Herr Lehrer". Zeitzeuge Klassenbuch. Erschienen im Eigenverlag (Bestellung über [email protected]).

Buchvorstellung am 10. November, 19.30 Uhr, im Bürgerhaus Alte Schule, Hauptstraße 13 in Riegel.

Artikel verlinken

Wenn Sie auf diesen Artikel von badische-zeitung.de verlinken möchten, können Sie einfach und kostenlos folgenden HTML-Code in Ihre Internetseite einbinden:

© 2024 Badische Zeitung. Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Bitte beachten Sie auch folgende Nutzungshinweise, die Datenschutzerklärung und das Impressum.

Kommentare


Weitere Artikel