Jugend und Beruf
Telefonieren tabu
Verlagsthema Chatten, fotografieren, E-Mails checken: Warum Jüngere immer seltener telefonieren – selbst wenn es im Job wichtig ist.
Julia Ruhnau
Mi, 4. Mai 2022, 9:41 Uhr
Verlagsthema
Thema: Jugend und Beruf
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Selbst Bekannte müssen manchmal immer noch mehrmals durchklingeln, bis er sich durchringt, abzuheben. Und sogar im Job lässt er Anrufer teils links liegen und wartet lieber auf eine E-Mail. "Es reißt mich aus dem heraus, was ich gerade mache, ich muss mich auf einen Menschen einlassen", erklärt Tobias Lang seinen Unwillen. "Da habe ich manchmal einfach keine Lust dazu."
Lang ist nicht der Einzige, der Telefonieren eher zu den unangenehmen Tätigkeiten im Leben zählt. Manche entwickeln sogar regelrechte Panikattacken, wenn ein Anruf bevorsteht. Und gerade jungen Menschen fehlt offenbar schlicht und ergreifend die Übung.
Denn um mit Freunden Kontakt zu halten, nutzen mehr als drei Viertel der Jugendlichen Messenger oder SMS, wie eine Studie des IT-Branchenverbands Bitkom aus dem Jahr 2017 zeigt. Auf dem zweiten Platz folgt das persönliche Gespräch, Telefonate waren nur bei gut einem Drittel der Befragten das Mittel der Wahl. "Junge Leute haben tatsächlich mehr Probleme als früher", meint Uschi Schöllhammer. Sie ist Telefontrainerin, über ihr Institut in Bamberg gibt sie Kurse für Mitarbeiter in Telefonzentralen, im Kundenservice oder für Azubis. Die Diplom-Psychologin erklärt die Telefonscheu so: "Die Situation ist für viele schwierig, weil sie absolute mentale Präsenz erfordert."
Bei schriftlichem Austausch sei das anders. E-Mails, Text- oder Chat-Nachrichten kann man noch einmal lesen, sich mit der Antwort Zeit lassen. Am Telefon muss man sofort reagieren. Dazu kommt, dass Anrufer den Menschen am anderen Ende der Leitung nicht sehen. Wenn der Gesprächspartner nicht antwortet, sieht man nicht, ob er genervt, unaufmerksam, abgelenkt ist – oder einfach nicht verstanden hat. Die gute Nachricht: Telefonieren lässt sich trainieren. Sogar dann, wenn hinter der Angst vor Anrufen tiefere Gründe stecken.
Christine Rummel-Kluge hat immer wieder mit Menschen zu tun, für die Telefonate ein echtes Problem sind. "Kalter Schweiß, Herzklopfen, trockener Mund – Symptome wie bei einer Panikattacke", beschreibt die Ärztin, die an der Uniklinik in Leipzig eine Spezialambulanz für Angststörungen leitet, die Probleme der Patienten. Solche Fälle seien keine Seltenheit, meist träten sie im Rahmen von Sozialphobien auf, so Rummel-Kluge. Es tauchten zwar immer auch Begriffe wie Telefon- oder Telefonier-Phobie auf, das sei aber keine eigene Erkrankung.
Im Prinzip geht es darum, dass direkte Kommunikation Betroffene viel Überwindung kostet. Viele Menschen schrieben dann lieber eine E-Mail oder ließen Bekannte den Anruf übernehmen. Das verschlimmert die Situation auf Dauer aber nur. "Die Hürde verkleinert sich nur, wenn man übt", sagt Christine Rummel-Kluge. Kliniken bieten dafür etwa Trainings für soziale Kompetenz an. In Rollenspielen können kritische Situationen durchgespielt werden. Und auch Freunde, Angehörige oder Kollegen sollten lieber Hilfe anbieten, als dem anderen alles abzunehmen, rät die Ärztin.
Das kann durch Ermutigen passieren, indem man schwierige Gespräche übt, in die Rolle des wütenden Kunden schlüpft und im Anschluss konstruktives Feedback gibt. Vielen ist aber schon geholfen, wenn man sie einfach ernst nimmt. "Was Chefs manchmal falsch machen: Sie melden Mitarbeiter zu Telefontrainings an, ohne sie vorher zu informieren", so Psychologin Schöllhammer. Damit erreiche man eine Krankmeldung am betreffenden Tag.
Wenn die Aufregung vor einem Anruf steigt, kann man sich mit Papier und Stift vorbereiten, so Schöllhammer. Wichtige Botschaften sollte man sich vorher aufschreiben, ebenso den Namen des Gesprächspartners oder das eigene Anliegen. In schwierigen Situationen sind vorformulierte Antworten ein Rettungsanker, etwa: "Ich mache mich kundig und rufe zurück." Wichtig: Dabei dürfen ruhig auch Fehler passieren, nicht jedes Telefonat muss perfekt laufen, beruhigt Schöllhammer.
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