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Warum wir uns vor Spinnen ekeln

Sebastian Krüger
  • Sa, 09. Juni 2018
    Umwelt & Natur

Die Angst vor den Tieren ist irrational – dennoch leiden etwa fünf Prozent der Deutschen an einer Phobie.

Keine Spinne da. Spinnenphobiker lässt das Bild dennoch erschauern.  | Foto: Fotolia.com/lassedesignen
Keine Spinne da. Spinnenphobiker lässt das Bild dennoch erschauern. Foto: Fotolia.com/lassedesignen

FREIBURG. Spinnen nerven. Zumindest in der Wohnung. Die unbeliebten Achtbeiner können einen ganz schön erschrecken, wenn sie plötzlich unter dem Sofa zum Vorschein kommen oder die Wand entlang krabbeln. Manche Menschen bekommen richtige Panikattacken, andere ekeln sich einfach nur. Aber warum eigentlich?

Die meisten Spinnen in der Wohnung sind Männchen, die sich auf ihrer Suche nach einer Partnerin, in der Wohnung verirrt haben, erklärt Spinnenexperte Peter Jäger, Leiter der Sektion Arachnologie am Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum in Frankfurt. Die gängigen Erklärungsversuche, warum sich Menschen vor Spinnen ekeln, lässt er nicht gelten: unvorhersehbare Bewegungen? "Gibt es bei Stubenfliegen auch." Die Angst, dass sie unter die Klamotten kriechen? "Das ist Quatsch. Der erste Instinkt der Spinne ist weglaufen. Der zweite totstellen." Die Angst vor einem Biss? "Unbegründet."

In Deutschland lebten etwa 1000 der weltweit 47 000 bekannten Spinnenarten. Die Hälfte sei so klein sei, dass man sie kaum sehe. Einzig Kreuz- und Hauswinkelspinnen würden es schaffen, durch die menschliche Haut zu kommen. Doch auch das ist selten. "Wahrscheinlicher ist, dass man sie beim Versuch zu provozieren zerquetscht," so Jäger, der sich zu wissenschaftlichen Zwecken schon von vielen Spinnen hat beißen lassen. "Bei einer Kreuzspinne tut es in etwa so weh, wie wenn man sich mit einer feinen Nadel in den Finger pikst – nichts im Vergleich zu einem Wespenstich."

Die Angst vor Spinnen ist meist gut therapierbar

Im Gegensatz zu Skorpionen oder Schlangen gebe es bei Spinnen kaum ernsthafte Unfälle. In Brasilien und Australien, wo mit der brasilianischen Wanderspinne und der Sydney-Trichternetzspinne die beiden giftigsten Spinnenarten der Welt leben, sind in den vergangenen fünfzig Jahren jeweils zehn Menschen durch einen Biss gestorben, sagt Jäger. Die Abneigung sei irrational – und ein europäisches Phänomen. In Kambodscha habe kein Mensch Angst vor Spinnen. Obwohl es dort größere gebe – und solche bei denen ein Biss richtig schmerzhaft sei.

"Angst und Ekel sind komplexe Grundemotionen", sagt Jörg Angenendt, Angstforscher an der Uniklinik für Psychiatrie in Freiburg. "Die äußern sich auf einer körperlichen, einer gefühlsmäßigen, einer mentalen und der Verhaltensebene." Der plötzlich Anblick einer Spinne könne bei den einen ein unangenehmes Gefühl der Bedrohung hervorrufen, bei anderen Fluchtgedanken. "Das ist häufig verbunden mit dem Gefühl, dieser Reaktion hilflos ausgeliefert zu sein." Also zu wissen, dass Spinnen harmlos sind und dennoch keinen klaren Gedanken mehr fassen zu können. Solche Menschen empfänden Spinnen auch dann als bedrohlich, wenn diese in einem geschlossenem Terrarium sitzen. Bisweilen ekelten sie sich sogar vor Fotos von Spinnen.

"Wenn die Intensität der Angst in einem Missverhältnis zur tatsächlichen Bedrohung steht, sprechen wir von einer Phobie", sagt Angenendt. Herzrasen, Schweißausbrüche, Schwindelanfälle und Atemnot können einsetzen. In Deutschland leide etwa jeder Zehnte an einer Tierphobie. Rund die Hälfte von ihnen könnten Spinnenphobiker sei, vermutet er. Sollte der Leidensdruck so hoch sein, dass es den Alltag der Menschen behindere, rät er zur Therapie. Angenendt hat schon Menschen behandelt, die nicht mehr in den Keller gegangen sind, weil sie fürchteten, dort auf eine Spinne zu stoßen. Oder die Grillpartys abgesagt haben aus Angst vor Spinnen im Garten. Viele Menschen hätten aber weniger Angst vor Spinnen, wenn sie ihnen im Freien begegnen. "In einem geschlossenen Raum haben viele wohl eher das Gefühl, dass die Spinne etwas von einem will und man ihr nicht entweichen kann."

Spinnenphobien sind gut behandelbar. "In der Therapie lernen die Betreffenden ihre Angst zu verstehen. Anschließend werden sie mit Bildern, später mit toten Spinnen konfrontiert – bis man sich langsam lebenden annähert", sagt Angenendt. Spinnenforscher Jäger bietet ebenfalls Kurse an, bei denen Teilnehmer Spinnen über ihren Körper krabbeln lassen. "Frauen buchen die Kurse viel häufiger als Männer", sagt er. Aber haben sie deswegen mehr Angst vor Spinnen? "Vermutlich nicht. Sie stellen sich aber eher ihren Ängsten als es Männer tun."

Doch woher kommen überhaupt Angst und Ekel? "Vielleicht gibt es noch Verknüpfungen bei uns im Hirn, weil kleine, bewegliche Tiere in der Wildnis zu Urzeiten mal eine Gefahr dargestellt haben", vermutet Angenendt. Spinnenforscher Jäger ist mit dieser Erklärung nicht zufrieden. Eine angeborene Urangst gebe es nicht. "Dann hätten zu irgendeiner Zeit Giftspinnen die menschliche Population derart bedrohen müssen, dass nur überlebt hätte, wer Angst oder Ekel vor ihnen entwickelt hätte."

Vielmehr – hier sind sich Jäger und Angenendt einig – seien Angst und Ekel anerzogen. Jäger spricht von tradiertem Wissen: Kinder schauen sich Verhaltensmuster bei den Eltern ab. Er erzählt von einem Kindergeburtstag, zu dem er eine Vogelsspinne mitgebracht hat, auf die die Kinder sehr neugierig gewesen seien. Als er den Karton mit der Riesenspinne öffnete, schrie eine Mutter plötzlich laut auf. "Sofort entfernten sich alle Kinder vom Tisch und näherten sich diesem die nächste Stunde auch nicht mehr", so Jäger. Und das obwohl Kleinkinder keine Berührungsängste mit Spinnen hätten. "Zumindest bis sie in die Schule gehen und irgendwelche Horrormärchen, von Spinnenbissen aufschnappen."

Ressort: Umwelt & Natur

Dossier: Nosferatu-Spinne

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Sa, 09. Juni 2018: PDF-Version herunterladen

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