Vogelschutz
Was Waldrapp Zoppos Tod für die Überlinger Kolonie bedeutet
Waldrappe sind bizarre Vögel – und sehr selten. Nun wurden zwei Vögel aus der Überlinger Brutkolonie in Norditalien von Wilderern erschossen. Es ist ein Rückschlag für das Wiederansiedlungsprojekt.
So, 9. Nov 2025, 7:00 Uhr
Südwest
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Zoppo und Zaz sind tot, erschossen von einem Wilderer in Norditalien. Die beiden Waldrappe waren gerade auf dem Weg in die Toskana, wo sie dem kalten und unwirtlichen Winter in Mitteleuropa entfliehen wollten. Es ist eine Mitteilung, die quer durch die lokalen Medien für Bestürzung gesorgt hat – was sonst eher nicht der Fall ist, wenn zwei Zugvögel auf ihrer Route zu Tode kommen.
Um die landesweite Bestürzung zu verstehen, muss man wissen, was den Waldrapp so besonders macht. Seine überbordende Schönheit ist es nicht, eher das Gegenteil. Sein Kopf ist fast kahl, ähnlich wie bei einem Geier. Zudem ist sein Gefieder pechschwarz und seine Augen leuchten grellorange. Eine bizarre Erscheinung in der an Schönheiten so reichen Vogelwelt. Doch der Waldrapp ist selten, extrem selten sogar. Eigentlich war er durch starke Bejagung fast ausgestorben, nur in Marokko konnte sich eine kleine Population erhalten. Und in Zoos in Mitteleuropa. Von denen hatten einige Einrichtungen recht erfolgreiche Zuchtprogramme – so erfolgreich, dass man anfangen konnte, ihn wieder auszuwildern. So kommt es, dass es heute in Mitteleuropa vier Brutkolonien gibt, zwei in Österreich und zwei in Deutschland. Letztere liegen in Burghausen in Bayern und in Überlingen am Bodensee. Bis zum Projektende sollen nach den Vorstellungen der Vogelschützer wieder 360 Waldrappe dort leben, außerdem sollen weitere Kolonien in der Schweiz, Kärnten und Norditalien hinzukommen. Das dauerhafte Überleben der Tiere soll auf diese Weise gesichert werden.
Die Kolonie in Überlingen ist bislang aber recht klein, zählte in diesem Jahr nur vier Nester, also acht Elterntiere. Eines davon war Zoppo. Und Zoppo war nicht irgendein Waldrapp. Zoppo war einer der Gründervögel der Überlinger Kolonie – und immer der erste, der es jedes Jahr aus dem italienischen Winterdomizil zurück an den Bodensee schaffte. Der Zug über die Alpen war für ihn kein Problem – und genau das ist nicht bei allen Waldrappen der Fall. Während viele Vogelarten den Flug gen Süden in ihren Genen haben und quasi automatisch aufbrechen, tun sich die Waldrappe schwer. Sie wüssten nicht, wohin sie fliegen müssen, würde kein erfahrenes Tier vorausfliegen und die Richtung vorgeben. In den Anfangsjahren der Auswilderung war das ein Problem, denn erfahrene Leitvögel standen nicht zur Verfügung. Deshalb hat der Mensch geholfen. Mit einem Ultraleichtflugzeug flogen Vogelschützer voraus und gaben den Tieren so die Richtung vor.
"Er war ein sehr guter Leitvogel"
Einer davon ist Johannes Fritz, studierter Biologe und seit langem engagiert bei der Waldrapp-Initiative. Der Österreicher hat persönlich Zoppo bei seinem ersten Flug über die Alpen gelotst, entsprechend groß ist die Trauer. "Er war ein erfahrener Zugvogel und ein sehr guter Leitvogel", sagt Fritz. Er hat die Hoffnung, dass das von den übrigen Vögeln der kleinen Kolonie kompensiert werde, dennoch wiege der Verlust schwer. Zumal neben Zoppo auch Waldrapp Zaz demselben Wilderer zum Opfer fiel. Zaz war ein junges Weibchen, erst in diesem Jahr geschlüpft, aus der Überlinger Kolonie. Es war somit ihr erster Überflug über die Alpen.
Dass Zugvögel in Italien geschossen werden, ist ein altbekanntes Phänomen und ein großes Problem bei der Wiederansiedlung der Waldrappe. Fritz schätzt, dass ein Drittel der Waldrappe auf ihrer Reise in den Süden durch illegale Wilderei getötet werde. Dass in Norditalien auf Vögel geschossen wird, sei bekannt, sagt der Ornithologe Wolfgang Fiedler vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell. Fiedler beschäftigt sich seit Jahren mit dem Vogelzug und weiß, wie gefährlich der Flug über Norditalien für die Tiere ist.
Die Vogeljagd wird als Teil des kulturellen Erbes gesehen
"Die Vogeljagd ist in Italien ein Teil des kulturellen Erbes", sagt Fiedler. Bestimmte Arten sind auch legal zum Abschuss freigegeben – der Waldrapp aber nicht. Kleinere Singvögel würden gegessen, andere würden eher zum Spaß und zur Trophäenjagd geschossen. Für manche Arten sei das bestandsgefährdend, sagt der Ornithologe. "Das steckt einfach derart tief in manchen Bevölkerungsteilen drin, dass man dem nicht Herr wird." Der ganze Norden Italiens sei betroffen, wenngleich die Vogeljagd vorwiegend von der älteren Generation dort ausgeübt werde. Doch auch auf dem Balkan, auf Zypern und Malta sei das Problem groß, auch wenn dies für die Waldrappopulation kein Faktor wäre.
Immerhin: Da Zoppo mit einem GPS-Sender ausgestattet war, konnte der Täter identifiziert werden. Bei einem Tatverdächtigen seien Waffen beschlagnahmt worden. Gegen ihn laufen nun mehrere Verfahren wegen Wildtierkriminalität. Die Behörden würden da auch zunehmend aktiver und würden auch durchgreifen, sagt Fiedler.
6,5 Millionen fließen in den Waldrapp-Schutz
Die Vogelschützer der Waldrapp-Initiative um Johannes Fritz trauen dem aber nicht. Künftig sollen die Vögel eine neue Route gen Süden lernen. Statt in die Toskana soll es in den Wintermonaten nun nach Andalusien in Südspanien gehen. So würde man dem Flug über die Alpen, aber vor allem auch der Gefahr durch die norditalienischen Wilderer entgehen. Was für die Vogelschützer wiederum gleichsam bedeutet, dass sie sich erneut in die Ultraleichtflieger setzen müssen und nun die ungleich weitere Strecke über die Pyrenäen den Vögeln vorgeben müssen. Dennoch sei das notwendig um das Projekt, das immerhin mit 6,5 Millionen Euro budgetiert ist – 60 Prozent davon stammen aus Mitteln der Europäischen Union –, zukunftssicher zu machen.
Ob die neue Route auch der Überlinger Population helfen wird, bleibt abzuwarten. Ebenso, ob und inwiefern sich die Überlinger Kolonie vom Verlust der beiden Tiere und vor allem der Leittierqualitäten Zoppos erholen wird. "Einen Vogel mit dieser Erfahrung kann man nicht so leicht ersetzen", sagt Waldrapp-Schützer Fritz. Immerhin ist er sich in einem Punkt sicher: "Die Überlinger Kolonie wird weiter bestehen, aber es wird weniger Brut geben." Der Waldrappschutz wird weitergehen und die bizarren Vögel sollen bald wieder eine dauerhafte Bleibe in Europa haben.
