Wenn kranke Kinder sterben wollen
Belgien hat als erstes Land die Sterbehilfe ohne jede Altersgrenze legalisiert / Das Gesetz ist heftig umstritten.
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BRÜSSEL. Die katholische Kirche und viele Kinderärzte kritisieren es: Das belgische Parlament hat ein Gesetz beschlossen, das aktive Sterbehilfe für Kinder erlaubt. Und das ohne eine Altersgrenze, wie es sie in den Niederlanden gibt, wo nur Kindern ab zwölf Jahren Sterbehilfe gewährt werden darf.
Neben den Niederlanden ist Belgien erst das zweite Land der Welt, in dem das nun zulässig ist. Anders als in den Niederlanden gibt es in Belgien aber keine Altersgrenze.
Am Donnerstag stimmte das föderale Parlament, die Zweite Kammer, dem Gesetzentwurf zu. Vorangegangen waren hitzige Debatten im Senat, die dazu führten, dass die Anwendung auf körperlich unheilbar Kranke beschränkt wurde – Kinder und Jugendliche mit schweren psychischen Störungen können vor dem 18. Geburtstag keine Sterbehilfe bekommen.
Vor allem die katholische Kirche lehnt das ganze Gesetz ab. Erzbischof André-Joseph Léonard wetterte: "Es ist schon merkwürdig, dass Minderjährige zum Beispiel nicht heiraten dürfen, über ihren Tod aber selber entscheiden sollen." Für den Donnerstagabend hatten viele Gemeinden zu Mahnwachen eingeladen, um die Abgeordneten noch zu beeinflussen. Ohne Erfolg. 84 Abgeordnete stimmten dafür, 44 dagegen, 12 enthielten sich.
Zuvor hatten sich belgische Kinderärzte mit einem offenen Brief in die Debatte eingeschaltet. Unheilbar kranke Kinder seien manchmal besser in der Lage, über Leben und Tod nachzudenken als gesunde Erwachsene, schrieben sie. Die Ärzteschaft ist gespalten. Stellvertretend interviewte das Fernsehen zwei Kinderärztinnen. Sara Debulpaep schloss sich den Briefeschreibern an. "Ich habe Situationen erlebt, wo das Kind nicht mehr leiden wollte. Man versucht natürlich alles, um die Schmerzen und die Angst zu lindern. Trotzdem gibt es Fälle... es wird ja heute schon gemacht, nur eben in einer rechtlichen Grauzone." Ihre Kollegin Christiane Vermylen bestreitet das nicht, sagt aber: "Erst sind es unheilbar kranke Kinder, dann vielleicht Behinderte – man weiß nicht, wo das endet."
Sterbehilfe für Erwachsene wurde in Belgien schon 2002 legalisiert. Ein Jahr später verzeichnete die Statistik 235 Fälle. 2012 waren es knapp 1500 "Todesfälle mit ärztlicher Unterstützung", wie es in der Amtssprache heißt. Darin sehen Befürworter des neuen Gesetzes einen Beleg dafür, dass damit ein in der Gesellschaft vorhandenes Bedürfnis erfüllt wird. Gegner lesen daraus ab, dass durch die Legalisierung immer mehr Fälle als ausweglos definiert werden. Der Kinderarzt und Krebsspezialist Eric Sariban sieht keinen Bedarf für eine gesetzliche Regelung. Er habe Kollegen gefragt, wie oft sie schon von Kindern gebeten worden seien, deren Leben zu beenden. "Niemals", sei die einhellige Antwort gewesen, schreibt er in der Tageszeitung Le Soir.
Sariban folgt der Argumentation, die auch in Deutschland von Gegnern der Sterbehilfe angeführt wird: Die Palliativmedizin sei heute so weit fortgeschritten, dass niemand mehr unwürdig und unter unerträglichen Schmerzen seinem Ende entgegen vegetieren müsse. Thomas Sitte, Vorsitzender der Deutschen Palliativstiftung, kritisierte die Entscheidung im Nachbarland. Er fürchtet, dass nun auch in Deutschland eine Debatte um Sterbehilfe für Kinder losgetreten werde.
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