Babymilchpulver

WHO kritisiert Marketing der Babynahrungs-Industrie

dpa

Von dpa

Mi, 08. Februar 2023 um 22:09 Uhr

Gesundheit & Ernährung

Stillen oder Fläschchen? Mit Marketing-Tricks versuche die Babymilchpulver-Industrie, Mütter zu beeinflussen, sagen Gesundheitsexperten. Sie verlangen hartes Durchgreifen.

Mit umstrittenen Marketingtricks bringen Babymilchpulver-Firmen Mütter nach Überzeugung von Gesundheitsexperten vom Stillen ab. Das müsse gestoppt werden, verlangen sie in der Fachzeitschrift The Lancet.

Laut den Autorinnen und Autoren erweckten Hersteller den Eindruck, dass Babys, die nicht durchschlafen oder Koliken haben, mit künstlicher Babynahrung (Formula-Milch) besser versorgt würden als mit Muttermilch. Dabei könnten solche Probleme oft mit Unterstützung durch Fachpersonal gelöst werden.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt, sechs Monate ausschließlich zu stillen. Danach sollte es auch andere Nahrung geben, aber mindestens bis zum zweiten Geburtstag weiter gestillt werden. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte empfiehlt, vier bis sechs Monate voll zu stillen. Deren Sprecher Jakob Maske betont jedoch auch, dass das Stillen nicht bei allen funktioniert. Auch die freie Entscheidung, nicht zu stillen, werde nicht verurteilt.

"Das ganze Wunderwerk Muttermilch ist nicht nachahmbar", sagt Mathilde Kersting, Leiterin des Forschungsdepartments Kinderernährung an der Universität Bochum. Zwar könnten Babys mit Formula-Milch sicher ernährt werden, es gelinge aber nicht, die bioaktiven Substanzen der Muttermilch, die bei der Prägung des Immunsystems helfen, nachzubilden.

WHO kritisiert Einflussnahme von Herstellern

Die WHO prangert die Marketingpraktiken von Herstellern an und nennt einen Umsatz von weltweit rund 55 Milliarden Dollar im Jahr. Auch nähmen Mitarbeiterinnen an Gruppen für Mütter in sozialen Medien teil. Sie schürten dort Ängste, priesen Muttermilchersatzprodukte und böten kostenlose Proben an, ohne zu sagen, dass sie dafür bezahlt werden.

Die Schweizer Firma Nestlé weist solche Machenschaften von sich. Sie ist mit rund 16 Prozent Weltmarktanteil der größte Produzent von Babymilchpulver. "Wir unterstützen die WHO-Empfehlung, Babys in den ersten sechs Lebensmonaten ausschließlich zu stillen", teilt die Firma mit.

Der WHO-Kodex zur Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten von 1981 funktioniere nicht, schreiben die Gesundheitsexperten. Danach soll für solche Produkte nicht öffentlich geworben werden und es sollen keine kostenlosen Proben verteilt werden. Unter dem Druck von Industrie-Lobbyisten hätten fast 100 Länder den Kodex nicht umgesetzt.

Frauen müssten beim Stillen stärker unterstützt werden, etwa durch ausreichend Mutterschaftsurlaub, heißt es in The Lancet. Zudem müsse mehr Personal geschult werden, um Frauen bei Still-Problemen zu unterstützen. Die Zeitschrift betont, dass manche Frauen nicht stillen können und auf Milchpulver angewiesen sind. Zudem könne jede Frau frei entscheiden, wie sie ihr Baby ernährt. Es müsse aber sichergestellt werden, dass die Mütter korrekte und unabhängige Informationen erhalten, "frei vom Einfluss der Industrie".