Neuerscheinungen

Zwei Kinderbücher über den Zauber des Alltags

Das Leben spielt sich im Schwimmbad und im Linienbus ab: Will Gmehling und Thilo Reffert widmen sich in ihren Büchern dem aufregenden Alltag.

Jürgen Reuß
Di, 26. Mär 2019, 19:30 Uhr
Literatur & Vorträge

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Das Schwimmbad – für die unters...Menschen ein gemeinsames Abkühlbecken. | Foto: dpa — Das Schwimmbad – für die unterschiedlichsten Menschen ein gemeinsames Abkühlbecken. Foto: dpa

In tollen Kinderbüchern müssen nicht zwangsläufig wilde Piraten, Mädchen, die Pferde stemmen, sprechende Tiere oder andere phantastische Dinge vorkommen. Seit Astrid Lindgren ist bekannt, dass auch Alltagsgeschichten aus einem südschwedischen Winzdorf Welterfolg haben können. So sieht das auch Kinderbuchautor Will Gmehling, der sich neuerdings rein realistischen Szenarien widmet. Sein aktuelles Buch spielt also nicht nur da, wo er sich besonders gut auskennt und von Kindheit an einen Großteil seiner Freizeit verbringt: im Freibad. Er hat es sogar dort geschrieben.

Diese Nähe zum Geschehen merkt man der Geschichte im besten Sinne an. Man hat fast selbst diese Mischung aus Chlorduft, Sonnencreme und Bratenfett in der Nase, während man einen ganzen Sommer lang mit den drei Bukowski-Geschwistern auf dem Badetuch liegt. Eigentlich hat die Geringverdiener-Familie Bukowski kein Geld, um dem zehnjährigen Alf, der achtjährigen Katinka und dem siebenjährigen Robbie den täglichen Freibadbesuch zu finanzieren. Aber Alf und Katinka hatten im Hallenbad ein Baby vorm Ertrinken gerettet und wurden dafür mit Freikarten für die gesamte Freibadsaison belohnt. Kein Wetter kann sie davon abhalten, diese Belohnung jeden Tag auszukosten.

Es passiert nichts Spektakuläres: Alf möchte vom 10-er springen können, Katinka Französisch lernen und 20 Bahnen schwimmen, Robbie fünf Bahnen. Trotzdem folgt man den drei Geschwistern gerne, wie sie Tag für Tag ihren Zielen näher rücken, mal ein bisschen Verliebtsein, mal ein bisschen Stress ins Spiel kommen, und das Schwimmbad einen Sommer lang dem Melting Pot der unterschiedlichsten Menschen ein gemeinsames Abkühlbecken bereitstellt.

Thilo Reffert sieht das mit der Beschränkung aufs Alltägliche noch enger. Sein Buch beginnt, wenn Busfahrer Enno morgens seinen 912er um 7.30 Uhr Richtung Haltestelle "Poststraße" lenkt, wo Punkt 7.31 Uhr Leon einsteigt, und endet, wenn Nuno um 8 Uhr an der Haltestelle "Simonstraße" aussteigt. Am Ende der Geschichte wissen wir, dass Leon Geburtstag hat, Tami einen Fahrradplatten, Nuno auf eine andere Schule als die anderen geht, ein Baby Lust auf Süßes bekommt, Uland lieber den Planeten wechseln würde und einiges mehr. Zehn alltägliche Lebenswege, die sich in der Buslinie 912 morgens für eine halbe Stunde treffen, sich berühren, irgendwie beeinflussen und wieder auseinanderlaufen.

Das aufregendste, das passiert, sind eine Vollbremsung und durch die Luft fliegende Muffins, und trotzdem oder gerade deswegen liest man diese Geschichten mit wachsendem Vergnügen. Und für Leserinnen mit detektivischer Spürnase gibt es nicht nur einladende Geschichten, sondern auch zehn versteckte Bedeutungen der Zahl 912. Zwei Bücher, zwei gelungene Gegenbeweise, dass Alltag langweilig ist.

Will Gmehling: Freibad. Ein ganzer Sommer unter dem Himmel. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2019. 156 Seiten, 14 Euro. Ab 10 Jahre. Thilo Reffert: Linie 912. Klett Kinderbuchverlag, Leipzig 2019. 112 Seiten, 13 Euro. Ab 8.

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