Alles andere als verdrossen
Sie wollen nicht nur meckern, sondern mitreden: Vier Nachwuchspolitiker aus Freiburg über ihre Motivation und den Landtagswahlkampf /.
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Bei den Jusos ist Thalke Iggena auch aus familiären Gründen gelandet. Ihre Eltern waren zwar nicht politisch aktiv, dafür aber ihre ältere Schwester. Die hat ihr immer wieder Fragen gestellt, zum Beispiel, ob sie weiß, wer Innenminister ist. "Ich habe schon früh angefangen, Zeitung zu lesen", sagt Iggena, "unsere Regionalzeitung." Das war im niedersächsischen Schortens, von wo aus die 22-Jährige zuerst nach Tübingen und dann nach Freiburg gezogen ist. In ihrer Heimat hat sich Iggena noch nicht politisch engagiert, damit hat sie erst in Tübingen angefangen. Inzwischen ist sie nicht nur eine von zwei Vorsitzenden des Juso-Kreisverbands Freiburg, sondern auch eine der stellvertretenden Landesvorsitzenden. "Ich fand es doof, immer nur zu sagen, ich könnte es besser", sagt die Jura-Studentin, die nebenher im Büro der Landtagsabgeordneten Gabi Rolland jobbt. Die SPD habe das größte Spektrum abgedeckt: "Die CDU war mir zu konservativ, die Grünen zu ökologisch und die Linken zu unrealistisch." Dass sie manchmal anderer Meinung ist als die SPD, unter anderem beim Thema Hartz IV, gehöre bei einer Volkspartei dazu. "Ich will in der Partei den Denkprozess anregen", sagt Iggena und fühlt sich dabei auch ernst genommen. In den Freiburger SPD-Ortsvereinen seien viele Jusos eingebunden. "Die Älteren sind froh, wenn die Jüngeren Verantwortung übernehmen". Das gilt auch im Wahlkampf, den sie als "sehr populistisch" empfindet. An Infoständen trifft sie oft auf "ältere Männer, die nicht sehr freundlich sind", weil sie sich von der SPD enttäuscht fühlen und jetzt AfD wählen wollen. Insgesamt merke man in der SPD, dass viele angesichts der schlechten Umfragewerte gedrückter Stimmung seien. "Das muss für uns Ansporn sein, wir können noch etwas reißen", meint Iggena. Eines ihrer wichtigsten Themen ist die Bildung. Studiengebühren dürfe es nicht wieder geben, Weiterbildung und Kitas müssten kostenfrei sein. Dafür will die 22-Jährige auch noch in der letzten Phase des Wahlkampfs eintreten. Ihre Freunde werden sie in diesen Wochen deshalb wohl eher selten sehen. Ansonsten lässt sie für ein Treffen oder einen Spieleabend auch schon mal eine politische Veranstaltung sausen. "Aber man muss schon strukturiert vorgehen, um alles unterzubringen." Ihre Mitgliedschaft bei der Freiwilligen Feuerwehr hat sie deshalb Ende vergangenen Jahres aufgegeben.
Tagsüber berät Christian Gersbacher Privatkunden bei der Volksbank in Neuenburg, abends und am Wochenende wird er seit etwa einem Jahr in Freiburg für die Jungen Liberalen (Julis) aktiv. Der 24-Jährige, dessen Vater mal bei der CDU war, hat sich schon immer für Politik interessiert. Sich zu engagieren, fiel ihm an seinem bisherigen Wohnort Heitersheim aber schwer: "Im ländlichen Raum treffen sich Rentner über 80, da konnte ich mich nicht wiederfinden." Seit sechs Monaten lebt er nun in Freiburg und ist nicht nur in der Stadt, sondern auch schon in der Partei richtig angekommen. Der gelernte Bankkaufmann ist bei den Julis in Freiburg und auch im Kreisverband für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Die Betreuung der Facebook-Seite ist dabei sehr wichtig: "Sie ist unsere Hauptplattform und oft der erste Kontakt zu neuen Mitgliedern." Die Grundwerte der FDP hat Gersbacher schon immer gut gefunden, nur das Personal war teilweise nicht nach seinem Geschmack. "Aber es gab einen starken Wandel, und die neue junge Generation hat mich angesprochen, zum Beispiel Christian Lindner." Insgesamt sieht er für junge Menschen zu wenige Identifikationsmöglichkeiten, weil es kaum junge Politiker gebe. "Ich möchte gerne mehr Junge für Politik begeistern", sagt Gersbacher. Schließlich betreffe sie jeden überall im Alltag, egal ob beim Einkaufen, beim Autofahren, in der Schule oder im Beruf. Wichtig ist ihm dabei, dass "alle die gleichen Chancen haben, unabhängig von ihrer Herkunft – aber sie müssen aus diesen Chancen auch etwas machen". Ein Anliegen ist ihm auch die Verkehrspolitik: "Straßen sind sehr wichtig für die Wirtschaft." Den Kontakt zur FDP vor Ort bezeichnet er als sehr gut. Er fühlt sich ernst genommen: "Wir haben viel Austausch und können unsere Ideen einbringen." Im Wahlkampf hat er die Erfahrung gemacht, dass viele über die Politik der großen Parteien enttäuscht sind, dafür aber auch offener für die kleinen und ihre Lösungsvorschläge. "Ich habe das Gefühl, es ist bei den Leuten angekommen, dass Liberale wichtig sind", sagt Gersbacher. Viel Zeit bleibt ihm neben Job und politischem Engagement nicht. Wenn es doch mal Lücken gibt, geht er joggen, zum Fitnesstraining oder Mountainbikefahren – "das ist mein Ausgleich".
Als Chantal Kopf noch zu Hause in Baden-Baden gewohnt hat, wurde viel über Politik diskutiert, obwohl sich die Eltern in keiner Partei engagiert haben. "Sie haben mir Werte beigebracht wie Hilfsbereitschaft, Weltoffenheit, Toleranz und Verantwortung für das eigene Handeln", erzählt die 20-jährige Politik- und Anglistikstudentin. Sie habe sich schon immer stark mit den Grünen identifiziert, die aber in Baden-Baden keine Jugendorganisation hatten. "Die wurde erst gegründet, als ich weggezogen war." Als sie vor zweieinhalb Jahren nach Freiburg kam, führte sie einer ihrer ersten Wege zur Grünen Jugend (GJ). "Ich wollte noch ein Hobby haben", sagt Kopf. "Ich fühle mich privilegiert, in Deutschland aufgewachsen zu sein und in einer so schönen Stadt wie Freiburg zu leben – da will ich etwas Sinnvolles zurückgeben." Inzwischen ist sie Sprecherin der Freiburger GJ, gehört auch zur Wahlkampfkommission der Grünen, die sich darum kümmert, wie das strategische Konzept des Landesverbands vor Ort umgesetzt wird, und geht dabei auch mal von Tür zu Tür. "Es ist doof, dass der Wahlkampf gerade in die Hausarbeiten-Phase an der Uni fällt." Dafür darf sich Kopf verbale Streicheleinheiten abholen. Freiburg ist für die Grünen ein einfaches Pflaster. "Wir wählen Euch sowieso", bekomme sie oft zu hören. Etwas schwieriger sei das bei manchen Kommilitonen, die zwar hinter den Grünen stünden, sich aber nicht mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann identifizieren könnten, weil er ihnen "zu bürgerlich und zu konservativ" sei. Kopf versucht, ihnen klar zu machen, "dass die Kern-Ideale trotzdem umgesetzt werden". Die Studentin ist trotz der Umfragewerte davon überzeugt, dass Grün-Rot noch möglich ist. Enttäuscht zeigt sie sich von der FDP, weil diese eine Ampel-Koalition ablehnt. Nach Ansicht von Chantal Kopf trägt die Flüchtlingsdebatte zur Politisierung der Jugendlichen bei, was man auch daran sehe, dass bei Podiumsdiskussionen mehr kritische Nachfragen kämen. Aber es gingen auch viele wichtige Themen komplett unter. Neben der Bildung gehört für die junge Grüne dazu auch die Agrarwende. Im vergangenen Jahr hat sie ein mehrwöchiges Praktikum im Ministerium für ländlichen Raum absolviert und festgestellt, dass "viel passiert ist im Naturschutzbereich". Und das ist ihr auch besonders wichtig. Der Leitspruch "Wir erhalten, was uns erhält" sei ein Hauptgrund gewesen, zu den Grünen zu gehen.
Am Walter-Eucken-Gymnasium ist Tobias Trösch die Ausnahme. Der 19-Jährige kennt keine Mitschüler, die sich auch in einer Partei engagieren. Der Zwölftklässler ist schon vor zwei Jahren eingetreten, zunächst in die Junge Union (JU), kurz darauf auch in die CDU. "Mein Interesse hat angefangen, als die Landtagswahl 2011 in der Schule Thema war", sagt Trösch. Seine Mitgliedschaft war allerdings ein "spontaner Entschluss", inspiriert durch eine Flyer-Aktion der JU in der Innenstadt. Auf einem ähnlichen Weg war er als Zehnjähriger schon bei der Freiwilligen Feuerwehr gelandet, bei der er seitdem aktiv ist. Im vergangenen Jahr hat er die Erstausbildung gemacht und ist jetzt regelmäßig bei Übungen und Einsätzen dabei. Im Moment hat er dafür aber nicht so viel Zeit, weil er zum Wahlkampfteam des Freiburger Kandidaten Klaus Schüle gehört. Zusammen mit Valentino Scarvaglieri kümmert er sich um die Terminkoordination, organisiert die Verteilung der Flyer und regelt auch Inhaltliches mit der Werbeagentur. "Herr Schüle lässt uns viel mitreden", freut sich Trösch, "für mich ist das eine tolle und interessante Erfahrung." Trotzdem gebe es in seiner Generation tatsächlich eine Politikverdrossenheit, aber sie sei in vielen Fällen kein wirkliches Desinteresse, denn inhaltlich werde schon diskutiert. "Oft ist es auch eine Unwissenheit über das ganze System. In der Schule wissen zum Beispiel viele nicht, was Föderalismus ist." Die neuesten Wahlumfragen, nach denen die Grünen in Baden-Württemberg mittlerweile vor der CDU liegen, haben den 19-Jährigen "ein bisschen verwundert", trotzdem gibt er sich kämpferisch: "Ich habe noch keine weißen Fähnchen gesehen." Mehr Sorgen macht ihm ohnehin das bestimmende Wahlkampfthema: die Flüchtlingsdebatte und die AfD. "Ich hoffe, viele reden nur über sie, machen ihr Kreuzchen dann aber doch bei den demokratischen Parteien", sagt Trösch. Er würde sich wünschen, dass auch andere Themen mehr diskutiert werden, und nennt dabei die Sicherheitspolitik ("Mein Vater ist Polizist"), die Finanzpolitik, die Infrastruktur und das Thema ländlicher Raum, "auch wenn es mich nicht so direkt betrifft". Aber die Internetversorgung sei teilweise schon in Kappel schwierig, und das gehört mit zu seinem Einzugsgebiet. Trösch ist im Vorstand des CDU-Ortsverbands Littenweiler-Waldsee. Weil dort verschiedene Generationen aufeinandertreffen, "war die Kontaktfreudigkeit anfangs von beiden Seiten nicht so da". Das habe sich aber längst geändert. Für Trösch ist die CDU inzwischen "wie ein großer Verein".
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