Arbeitszeit

Beschäftigte im Kreis Lörrach schieben 2,7 Millionen Überstunden – viele davon zum Nulltarif

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten warnt vor einer Neuregelung der Arbeitszeit. Schon jetzt sei die Zahl der Überstunden und damit die Belastung für Beschäftigte hoch – auch im Kreis Lörrach.  

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Gestretchte Arbeitszeit: Die Stunden i...ierung den Acht-Stunden-Tag abschafft.  | Foto: NGG/Tobias Seifert
Gestretchte Arbeitszeit: Die Stunden im Job lassen sich nicht wie ein Gummiband ziehen, sagt die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Die NGG Schwarzwald-Hochrhein will verhindern, dass die Bundesregierung den Acht-Stunden-Tag abschafft. Foto: NGG/Tobias Seifert

Der Kreis Lörrach schiebt ordentlich Überstunden: Rund 2,7 Millionen Stunden haben Beschäftigte im vergangenen Jahr im Landkreis Lörrach zusätzlich gearbeitet. Davon rund 1,4 Millionen Überstunden zum Nulltarif – ohne Bezahlung. Das geht aus dem "Arbeitszeit-Monitor" hervor, den das Pestel-Institut im Auftrag der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) gemacht hat.

Allein in Hotels und Gaststätten im Landkreis Lörrach leisteten demnach Köche, Kellnerinnen, Barkeeper und andere Beschäftigte im vergangenen Jahr rund 68.000 Überstunden. Das hat das Pestel-Institut nach Angaben der NGG auf Basis einer Auswertung der Bundesagentur für Arbeit ermittelt. Die Wissenschaftler hätten dabei für den Kreis Lörrach bundesweite Durchschnittswerte von Arbeitszeiten in der Gastronomie herangezogen. Demnach seien 53 Prozent aller im Landkreis Lörrach geleisteten Überstunden in Hotels, Restaurants, Gaststätten und Biergärten unbezahlt gewesen.

Die Gewerkschaft NGG warnt vor einer Abschaffung des Acht-Stunden-Tages

In ihrer Pressemitteilung warnt die Gewerkschaft: Der Überstundenberg im Kreis Lörrach dürfte demnächst noch größer werden. Grund seien Pläne der Bundesregierung, die Arbeitszeit neu zu regeln: "Schwarz-Rot will eine wöchentliche Höchstarbeitszeit und den Acht-Stunden-Tag abschaffen", wird Burkhard Siebert von der NGG Schwarzwald-Hochrhein in der Mitteilung zitiert. "Betriebe könnten von ihren Beschäftigten dann verlangen, auch zehn, elf oder in der Spitze sogar zwölf Stunden und 15 Minuten pro Tag zu arbeiten."

Nach Angaben der NGG beträgt die maximale Arbeitszeit schon jetzt 48 Stunden pro Woche. In der Spitze seien sogar 60-Stunden-Wochen möglich. "Das sind Extrem-Arbeitswochen. Selbst wenn so ‚Hammer-Wochen‘ innerhalb eines Vierteljahres ausgeglichen werden müssen", so Burkhard Siebert. Wenn die Bundesregierung tatsächlich den Acht-Stunden-Tag kippe, werde es noch schlimmer: "Dann würde nämlich nur noch das europäische Recht ein Wochen-Limit für die Arbeitszeit setzen", so Siebert. "Und das wäre brutal: Arbeitgeber könnten ihre Beschäftigten dann sogar zu 73,5-Stunden-Wochen verdonnern – nämlich zu sechs Tagen à zwölf Stunden und 15 Minuten im Job. Das wäre fast das doppelte Wochen-Pensum von heute – und damit Arbeitszeit-Stretching pur."

"XXL-Arbeitstage bedeuten auf Dauer eine Belastung für den Körper und für die Psyche."Burkhard Siebert, Geschäftsführer der NGG Schwarzwald-Hochrhein

In der Pressemitteilung macht der Geschäftsführer der NGG Schwarzwald-Hochrhein seinem Ärger Luft: "Viele Arbeitgeber im Kreis Lörrach würden das hemmungslos ausnutzen. Es drohen dann völlig überladene Arbeitswochen, bei denen man die Stunden, in denen man nicht schläft, fast komplett im Job oder auf dem Weg zur Arbeit verbringt", so Siebert. Zudem würde dabei ein Berg an Überstunden auflaufen. "Und ans Abfeiern der Überstunden ist sowieso nicht zu denken – bei dem Fachkräftemangel, der eigentlich überall herrscht."

Siebert habe die Gesundheit der Beschäftigten im Blick, aber auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf: "Nach acht Stunden Arbeitszeit steigt die Gefahr von Arbeitsunfällen rasant an", wird er zitiert. "XXL-Arbeitstage bedeuten auf Dauer eine Belastung für den Körper und für die Psyche: von Herz-Kreislauf- und Stoffwechsel-Erkrankungen bis zum Burnout."

Arbeitszeiten müssen laut NGG auch zu den Kinderbetreuungszeiten passen

Wer die Familie, den Beruf und die Pflege von Angehörigen unter einen Hut bringen müsse, brauche laut NGG vor allem eines: planbare und verlässliche Arbeitszeiten. Und die müssten auch zu den Betreuungszeiten von Kita und Hort passen.

Die geplante Aufweichung des Acht-Stunden-Tages gehe in die falsche Richtung. Schon heute jonglierten Familien zwischen Job, Kinderbetreuung oder der Pflege von Angehörigen, schreibt die NGG. "Längere Arbeitstage verschärfen die Probleme und verhindern eine gerechte Verteilung von Erwerbsarbeit, Kinderbetreuung und Pflege. Denn obwohl sich viele Väter wünschen, mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, wird durch noch längere tägliche Arbeitszeiten das Alleinverdienermodell gestärkt", warnt Burkhard Siebert. Anstatt das Fachkräftepotenzial von Frauen zu nutzen, verhinderten XXL-Schichten eine echte Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Laut NGG machen Frauen derzeit 65 Prozent aller Teilzeitjobs im Kreis Lörrach

Die NGG Schwarzwald-Hochrhein nennt auch Zahlen dazu: So würden aktuell 65 Prozent aller Teilzeitjobs im Landkreis Lörrach von Frauen gemacht. Die Gewerkschaft beruft sich dabei auf Angaben der Arbeitsagentur. Siebert appelliert daher an die Bundestagsabgeordneten aus dem Kreis Lörrach und der Region, dem "Herumschrauben am Arbeitszeitgesetz in Berlin einen Riegel vorzuschieben". Schon jetzt seien flexible Arbeitszeiten im Rahmen des Arbeitszeitgesetzes und durch Tarifverträge, die die NGG abgeschlossen habe, für viele Beschäftigte Alltag. "Noch mehr Flexibilität ist gar nicht nötig", meint Siebert.

Außerdem ersetzten Zehn- oder Zwölf-Stunden-Tage keine fehlenden Fachkräfte. "Gute Arbeitsbedingungen, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, systematische Qualifizierung und mehr Ausbildung. Das sind die richtigen Hebel für mehr Fachkräfte", so Siebert. "Verschiebereien bei der Arbeitszeit sind nichts anderes als das Löcherstopfen bei einer zu dünnen Personaldecke."

Schlagworte: Burkhard Siebert
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