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"Das Gespräch mit der Klasse suchen"

Johannes Tran
  • Fr, 04. Mai 2018
    Freiburg

BZ-INTERVIEW mit Monika Gessat von der GEW zu Abschiebungen im Schulunterricht.

Monika Gessat  | Foto: Privat
Monika Gessat Foto: Privat

FREIBURG. Was tun, wenn Flüchtlinge vor der Abschiebung stehen? Mit dieser Frage beschäftigt sich in den kommenden Wochen eine Veranstaltungsreihe des "Freiburger Forum aktiv gegen Ausgrenzung". Den Auftakt bildet ein Vortrag von Monika Gessat, Vorstandsmitglied in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Baden-Württemberg. Im Gespräch mit Johannes Tran spricht sie über Lehrer geflüchteter Kinder und Abschiebungen aus Schulen.

BZ: In Ihrem Vortrag in Freiburg geht es um Abschiebungen von geflüchteten Kindern aus der Schule. Wie oft gibt es Abschiebungen im Klassenzimmer?

Gessat: Es gab da einige prominente Fälle. In Nürnberg wurde ein Berufsschüler aus Afghanistan aus dem Unterricht von der Polizei mitgenommen, woraufhin seine Mitschüler mit Gewalt versucht haben, das zu verhindern. In der Praxis aber kommen solche Abschiebungen in der Schule nur sehr selten vor. Meistens kommen die Polizisten nachts und holen die Leute aus der Wohnung, weil sie sie dann sicher antreffen. Mittlerweile gibt es auch vom baden-württembergischen Innenministerium die Zusage, aus dem Unterricht nicht mehr abzuschieben.

BZ: Sie haben in Ihrer Arbeit viel mit Lehrerinnen und Lehrern von geflüchteten Kindern zu tun, denen die Abschiebung droht. Wie erleben Sie die Situation in den Schulklassen, wenn feststeht, dass eine Schülerin oder ein Schüler bald abgeschoben werden soll?

Gessat: Die Abschiebungsdrohung hängt wie ein Damoklesschwert über den Familien und den Schulklassen. Viele Geflüchtete wissen gar nicht, an welchem Punkt ihr Asylverfahren ist. Diese Unsicherheit überträgt sich auch auf die Kinder. Lehrkräfte berichten mir, dass die Kinder unkonzentriert sind, dass sie nicht mehr lernen können. Manchmal kommen dann auch Traumata aus dem Herkunftsland wieder hoch.

BZ: Wie sollten sich Lehrerinnen und Lehrer gegenüber Kindern verhalten, denen die Abschiebung bevorsteht?

Gessat: Das Wichtigste ist, dafür zu sorgen, dass das Kind weiter in die Schule geht. Schule kann dem Kind eine Stütze sein. Man sollte als Lehrer aber aufpassen, dass man sich nicht zum Berater macht und versucht, einen Anwalt zu ersetzen – das kann nur schiefgehen.

BZ: Nehmen wir an, ein Kind wurde mit seiner Familie abgeschoben und erscheint deshalb nicht zum Unterricht. Wie kann eine Lehrkraft diese Situation mit der Schulklasse aufarbeiten?

Gessat: Eine Lehrkraft sollte das Gespräch mit der Klasse suchen. Das erfordert sehr viel Fingerspitzengefühl und hängt stark von der individuellen Situation und vom Alter der Kinder ab. Grundschülern sollte man Raum lassen, ihre Gefühle zu äußern. Mit älteren Schülern kann man zum Beispiel über Fluchtursachen oder die Asylgesetze reden. Wenn möglich, sollten die Lehrer auch den Schulpsychologen oder die Eltern miteinbeziehen.

Monika Gessat 68, ist pensionierte Gymnasiallehrerin und wohnt in Wiesloch in Nordbaden. Sie ist Mitglied im Bundesausschuss Migration, Diversity, Antidiskriminierung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Außerdem ist sie im Landesvorstand der GEW für Grundsatzfragen zuständig.

Vorträge: Dienstag, 8. Mai, 18 Uhr, Pädagogischen Hochschule (Raum 103, Kollegiengebäude 5): Vortrag von Monika Gessat. Donnerstag, 7. Juni, 20 Uhr, Hörsaal 1221, Kollegiengebäude I der Uni: Sebastian Muy (Sozialarbeiter und Autor): "Abschiebungen und Soziale Arbeit". Mittwoch, 4 Juli, 20 Uhr, Weingut Dilger, Urachstraße 3: Ernst-Ludwig Iskenius (Arzt): "Verhalten von Ärzten, Pflegern und Therapeuten in Abschiebesituationen."

Ressort: Freiburg

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 04. Mai 2018: PDF-Version herunterladen

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