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Die Geburt des Panikrockers

  • Britta Schmeis

  • Do, 16. Januar 2020
    Kino

FILMBIOGRAFIE: "Lindenberg! Mach dein Ding" von Hermine Huntgeburth.

Rotzig, verletzlich, großartig: Jan Bülow als junger Udo Lindenberg    | Foto: Gordon Timpen (dpa)
Rotzig, verletzlich, großartig: Jan Bülow als junger Udo Lindenberg Foto: Gordon Timpen (dpa)
Viel fehlte ohnehin nicht mehr zur endgültigen Mythenbildung: Ein Udo-Lindenberg-Musical gibt es bereits, ein Museum auch, er gilt als der vielleicht bedeutendste Rockmusiker Deutschlands, der deutsche Texte wagte, als diese noch dem Schlager vorbehalten waren, und früh den Irrsinn der Teilung Deutschlands thematisierte. Udo Lindenberg (ein Interview mit dem 73-Jährigen lesen Sie in der BZ vom Dienstag) hat lange schon Kultstatus erreicht.

Mit Hermine Huntgeburths Biopic "Lindenberg! Mach Dein Ding" dürfte dieser eine weitere Stufe erreichen. Es zeigt einen jungen, verletzlichen und zugleich großmäuligen Udo, der es aus der westfälischen Provinz ganz nach oben schaffte und sich auf seinem Weg nie beirren ließ. Die Filmbiografie setzt in den frühen 1970er Jahren ein, als Lindenberg (Jan Bülow) nach Hamburg kam, auf St. Pauli in verschiedenen Etablissements als Schlagzeuger auftrat und erste Erfahrungen mit den Frauen, den Drogen und den verlogenen Seiten des Musikbusiness machte, meist mit dem Bassisten Steffi Stephan (Max von der Groeben) an seiner Seite.

In Rückblenden – und da entwickelt der Film seinen größten Charme – zeichnet Huntgeburth Lindenbergs Kindheit im westfälischen Gronau nach, mit einer liebevollen Mutter (Julia Jentsch) und einem frustrierten Vater (Charly Hübner), dem Udo es zeit seines Lebens beweisen wollte, dass die Lindenbergs nicht auf ewig dazu bestimmt sind, als Installateure in der Scheiße zu wühlen.

Der Film erzählt von der ersten Schwärmerei für ein älteres Mädchen, dem Lindenberg später den Song "Cello" ("Du spieltest Cello / Ich saß immer in der ersten Reihe / Du warst eine Göttin für mich") widmen wird, von der abgebrochenen Kellnerlehre in Düsseldorf, seinem Einsatz als Schlagzeuger auf einem US-Stützpunkt in Libyen, der ihn, so deutet Huntgeburth an, nicht nur als jungen Mann, sondern auch als Musiker schwer traumatisierte.

Filmisch sind sie eine dankbare Zeit, die 70er. Huntgeburth schwelgt in den Kulissen und Kostümen, im Sound und wilden Leben auf St. Pauli – und untermalt ihren Bilderbogen mit der Musik der Zeit, nicht nur, aber auch den Lindenberg-Songs wie "Mädchen aus Ostberlin", "Andrea Doria", "Hoch im Norden". Detailverliebt stattet die vielfach ausgezeichnete deutsche Film- und Fernsehregisseurin ("Bibi Blocksberg", "Die weiße Massai", "Tom Sawyer", "Huck Finn", "Männertreu") ihr Biopic aus. Sie lässt sich die Zeit, den Weg des Jungen aus der Provinz bis zu seinem Durchbruch zu erzählen.

Dass das trotz einiger Längen über weite Strecken so großartig gelingt, ist freilich vor allem Jan Bülow zu verdanken. Der 1996 geborene Schauspieler, der bereits während seines Studiums an der Berliner Hochschule Ernst Busch am Schauspielhaus Zürich den Hamlet spielte und einem größeren Publikum durch seine Rolle in der Netflix-Serie "Dogs of Berlin" bekannt wurde, spielt den schlaksigen Lindenberg bravourös: mal mit linkischer Scheu, mal mit jugendlicher Verletzlichkeit oder schnoddriger Großmäuligkeit; das Kinn leicht nach vorn, die rechte Oberlippe nach oben gezogen, meist mit der Fluppe im Mund, zum Schluss fast immer mit der Schnapsflasche in der Hand oder am Hals.

Die Lieder hat Jan Bülow selbst eingesungen – und ist dabei nicht der Versuchung erlegen, das Nuscheln Lindenbergs nachzuahmen. Das hat Udo Lindenberg ohnehin erst sehr viel später kultiviert. Hermine Huntgeburths Biopic gewährt einen etwas anderen Blick auf einen Künstler, den viele so wohl noch nicht kennen und der selbst Nichtfans für Lindenberg einnehmen dürfte. Im Übrigen ist mit "Lindenberg! Mach dein Ding" der Fundus ja noch nicht ganz erschöpft: Der Film endet im Jahr 1973 – und auch danach gäbe es aus dem Leben des Panikrockers noch so einiges zu erzählen.

"Lindenberg! Mach dein Ding" (Regie: Hermine Huntgeburth) läuft flächendeckend. Ab 12 Jahren.

Ressort: Kino

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 16. Januar 2020: PDF-Version herunterladen

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