Account/Login

Interview zur Filmpremiere

"Es lohnt sich, zu vertrauen"

Florian Kech
  • Sa, 25. März 2017
    Freiburg

BZ-INTERVIEW mit den einstigen Weltreisenden Gwen Weisser und Patrick Allgaier über ihre Reisereportage "Weit", die im Kino Friedrichsbau Premiere feiert.

Sohn Bruno wurde auf der Reise geboren.  | Foto: Gwen Weisser
Sohn Bruno wurde auf der Reise geboren. Foto: Gwen Weisser

lücklich erschöpft sehen die beiden aus. Bruno, ihr in Mexiko geborener Sohn, ist an diesem Vormittag in der Kita. Seit Gwen Weisser und Patrick Allgaier im vergangenen August von ihrer Weltreise zurückkehrten, arbeiteten sie fast jede freie Minute an ihrem Film oder an einem Reisemagazin. Am 27. März feiert ihre sehr sehenswerte Reisereportage "Weit – Die Geschichte von einem Weg um die Welt" Kinopremiere im

Friedrichsbau. Darüber sprachen sie mit Florian Kech.

G

BZ: Was war die häufigste Frage, die Ihnen seit der Rückkehr vor acht Monaten gestellt wurde?
Gwen Weisser: Ihr habt bestimmt Fernweh, gell?
Patrick Allgaier: Und, wie ist es wieder zurück zu sein?

BZ: Und wie lautet die Antwort?
Weisser: Fernweh habe ich eher selten. Ich bin eigentlich ganz zufrieden, die Jahreszeiten hier mal wieder mitzukriegen.
Allgaier: Es ist schon auch schön hier.
Weisser: Außerdem haben wir momentan ja einen ziemlich unkonventionellen Alltag.

BZ: Wie sieht der aus?
Weisser: Einer macht was mit Bruno, der andere sitzt am Computer. Abends arbeiten wir dann beide. Wir verbringen momentan super viel Zeit am Projekt.
Allgaier: Wir haben das ein bisschen unterschätzt. Ein halbes Jahr für Film und Magazin war sehr knapp bemessen.

Wir benötigen Ihre Zustimmung um YouTube Video anzuzeigen

Unter Umständen sammelt YouTube Video personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.

Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.

Akzeptieren
Mehr Informationen

BZ: Haben Sie durch die Arbeit am Film einen neuen Blick auf die Reise erhalten?

Allgaier: Wenn ich die Videos sehe, denke ich manchmal: Wahnsinn!, und kann fast nicht glauben, was wir erlebt haben, dass wir beispielsweise zehn Wochen im Iran waren. Vor Ort kam uns alles irgendwann normal vor, weil wir in den Alltag eingetaucht sind. Und weil wir so langsam unterwegs waren und uns an alles gewöhnen konnten.
Weisser: Die Schwierigkeit beim Sichten bestand für mich darin, nicht zu vergessen, was noch alles passiert ist. Man muss schon aufpassen, dass die Erinnerung irgendwann nicht nur noch aus Filmbildern besteht.
Allgaier: Auf der anderen Seite sind mir am Bildschirm Szenen aufgefallen, die ich bis dahin komplett vergessen hatte. Es ist wirklich so unglaublich viel passiert in den dreieinhalb Jahren.
Weisser: Und wir waren so unglaublich jung (lacht).

BZ: Der Film zeigt viele herzliche Begegnungen. Zu wie vielen Menschen haben Sie Kontakt gehalten?
Weisser: Mit rund zehn Freunden aus Pakistan, Iran oder Sibirien chatten wir regelmäßig, oder mit Reisenden, die wir unterwegs kennen lernten. Wir haben sie alle zu unserer Filmpremiere eingeladen.

BZ: Hat jemand zugesagt?
Allgaier: Bei den meisten scheitert es leider am Visum. Selbst Amir aus Iran, der mittlerweile an einer Universität in der Schweiz arbeitet, hat Probleme mit der Einreise. Wir helfen ihm gerade, dass er ein Schengen-Visum bekommt.
Weisser: Es ist natürlich auch eine Geldfrage. Wir haben allen angeboten, sie finanziell zu unterstützen. Zwei haben angenommen: Freunde aus Pakistan und Serbien, die inzwischen in Deutschland leben, werden es zur Premiere schaffen.

BZ: Wie viele Stunden Filmmaterial mussten Sie insgesamt auswerten?
Allgaier: Es dürften mindestens 500 Stunden gewesen sein. Bis wir mit dem ganzen Material durch waren, sind zwei Monate vergangen. Durch die Videoserie, die wir für die BZ produziert hatten, gab es bereits eine grobe Vorauswahl. Das war sehr hilfreich.

Wir benötigen Ihre Zustimmung um YouTube Video anzuzeigen

Unter Umständen sammelt YouTube Video personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.

Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.

Akzeptieren
Mehr Informationen

BZ: Wie soll Ihr Film draußen ankommen?

Allgaier: Wir würden dem Kinozuschauer gerne das Gefühl geben, das wir selber hatten in dem Moment der Reise. So haben wir Dialoge nur dann übersetzt, wenn auch wir sie verstanden haben. Ansonsten wäre die Situation verfälscht.
Weisser: Bloß keine Inszenierung. Wir sind ja auch nicht losgezogen, um einen Film zu machen. Das ist keine klassische Dokumentation, sondern eher eine Reisereportage, die nebenher entstanden ist.

Allgaier: Einmal stellte ich die Kamera in der kasachischen Steppe auf, als plötzlich zwei Männer ins Bild laufen und uns über unsere Reise ausfragen, ohne dass ihre Köpfe zu sehen sind. Eine meiner absoluten Lieblingsszenen.

Weisser: Wir haben in den dreieinhalb Jahren Reise erleben dürfen, dass es sich lohnt zu vertrauen. Wenn das am Schluss hängen bleibt, hätte der Film viel erreicht.
BZ: Sie werden im Film auch philosophisch. Nach dem Pakistan-Kapitel sagen Sie: "Wir hatten kein Glück, sondern einfach kein Pech." Mit wie viel Naivität sind Sie losgezogen?
Allgaier: Naiv würde ich nicht sagen. Wir hatten ein Urvertrauen und waren neugierig. Und wir hatten einfach große Lust, die Welt nah und direkt zu erleben. Negative Gedanken ließen wir erst gar nicht aufkommen.
Weisser: Natürlich hätte uns nachts im Zelt auch mal jemand überfallen und ausrauben können, aber darüber haben wir nicht nachgedacht. Mit Bruno hat sich mein Angstgefühl dann aber verändert. Man trägt als Eltern einfach eine viel größere Verantwortung.

BZ: Hat Ihr Film eine politische Botschaft?
Weisser: Als es zu Beginn der Reise in unserem Blog einige Diskussionen im Gästebuch gab, hat eine Bekannte gemeint: Ihr seid ja nicht losgezogen, um die Welt zu retten. Wir hatten nie die Absicht, ein politisches Thema draus zu machen.
Allgaier: Der Film ist nicht politisch, er ist persönlich.

BZ: Ganz sicher?
Allgaier: Wir waren meistens zu nah dran an den Menschen, um von Politik etwas mitzubekommen. Was wir aber feststellten: Der Alltag in Tokio, Pakistan oder Freiburg sieht zwar anders aus, aber das Grundgefühl von Heimat ist fast überall auf der Welt sehr ähnlich.

BZ: Mein Eindruck nach den 120 Minuten war ja: Da spaziert ein Paar um die Welt, zeigt, wie spielerisch und heiter sich kulturelle Unterschiede überwinden lassen, während gleichzeitig Grenzen dicht gemacht werden und sogar über neue Mauern diskutiert wird. Ich finde, da steckt schon eine politische Botschaft drin.
Weisser: Vielleicht wirkt das so, da Politik plötzlich so greifbar ist, auch in Freiburg. Wir begegnen dem Schicksal von Geflüchteten jeden Tag im Bus. Der Film geht im Prinzip den umgekehrten Weg. Wir gehen raus in andere Länder, zu den Menschen. Und dadurch wirkt es irgendwie politisch, wo es doch nur ums Miteinander geht.
Allgaier: Dieses Gefühl des Miteinanders hat vor allem auch das Trampen mit sich gebracht. Das war eine wahnsinnig starke Kulturerfahrung. Du steigst ein und sofort beginnt Kommunikation – mal auf Englisch, mal mit Händen und Füßen; mal führt man tiefe philosophische Gespräche, mal scheitert man schon beim Namen; und manchmal lacht man einfach nur und hat wahrscheinlich eine halbe Stunde aneinander vorbeigeredet. Es ist einfach cool, wie offen die Leute sind und von sich erzählen. Gleichzeitig habe auch ich noch nie so viel über meine Heimat erzählt wie auf der Reise.

BZ: Und vermutlich gelernt.
Weisser: Mehr als zuhause.
Allgaier: Zu Beginn der Reise hatten wir die Länder oft mit der Heimat verglichen. Irgendwann merkt man, dass diese Bewertungen nach schlechter, schöner, leckerer überhaupt keinen Sinn machen.

BZ: Und irgendwann schmeckt dann auch Haferschleim mit kasachischem Schafskäse.
Allgaier (lacht): Das schmeckt besser, als es klingt.

BZ: Sie haben Ihren Film und das Magazin vorfinanziert durch Crowdfunding. Wie lief das ab?
Allgaier: Als wir zurückkamen, haben wir zunächst einmal überlegt: Interessiert das überhaupt jemanden. Von daher war Crowdfunding nicht nur finanziell wichtig, sondern auch als Feedback.
Weisser: Die Kampagne lief phantastisch mit Unterstützern aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz. So kam weit mehr Geld zusammen, als ursprünglich geplant. Aber wir hatten das Budget auch viel zu knapp bemessen und brauchten von den 32 000 Euro jeden Cent.

BZ: Am 27. März hat Ihr Film Premiere im Freiburger Friedrichsbau. Wie haben Sie Ihre anschließende Tour organisiert?
Weisser: Normalerweise regelt das der Filmverleih für einen. Wir dagegen haben einfach um die sechzig E-Mails an Kinos verschickt und angeboten, dass wir jeweils zur Filmvorführung dazukommen, um danach Fragen aus dem Publikum beantworten zu können.
Allgaier: Der Film macht jetzt seine eigene Reise. Mal gucken, wo es hingeht.

BZ: Was kommt nach der Tour?
Weisser: Vielleicht reisen wir nochmal nach Georgien oder nach Mexiko, bevor Bruno in die Schule kommt. Wir würden uns freuen, wenn wir ein Jahr lang von dem Film leben könnten.
Allgaier: Ich will unbedingt mal wieder eine Woche zelten gehen. Wir haben so intensiv in der Natur gelebt. Jetzt sitze ich manchmal am PC, schaue aus dem Fenster und denke: Ah, es regnet schon seit ein paar Stunden. Auf der Reise haben wir das schon beim ersten Tropfen gespürt.

Der Film

Fudder verlost Tickets für die
(ausverkaufte) Premiere des Films
am Montag, 27. März, sowie für eine weitere Vorführung am Sonntag,
2. April, im Friedrichsbau unter
http://fudr.fr/filmverlosung

Der Film wird vom 27. März bis 5. April im Friedrichsbau Freiburg gezeigt,
einige Vorstellungen sind bereits
ausverkauft. Auskunft unter
Tel. 0761/36031

ZUR PERSON: Patrick Allgaier und Gwen Weisser

Patrick Allgaier ist 33 Jahre alt und hat vor der Weltreise in Freiburg als freier Kameramann gearbeitet, zuerst bei TV Südbaden und dann für verschiedene Produktionsfirmen.
Gwen Weisser ist 24 Jahre alt, hat Abitur an der Waldorfschule in Freiburg-St. Georgen gemacht und vor der Weltreise gejobbt. In Mexiko kam im Mai 2015 Sohn Bruno auf die Welt.

Ressort: Freiburg

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Sa, 25. März 2017: PDF-Version herunterladen

Artikel verlinken

Wenn Sie auf diesen Artikel von badische-zeitung.de verlinken möchten, können Sie einfach und kostenlos folgenden HTML-Code in Ihre Internetseite einbinden:

© 2024 Badische Zeitung. Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Bitte beachten Sie auch folgende Nutzungshinweise, die Datenschutzerklärung und das Impressum.

Kommentare


Weitere Artikel