Bärenpark Bad Rippoldsau-Schapbach
"In diesem Fall wäre die Tötung eigentlich die beste Lösung gewesen": Bärin Gaia und ihr neues Leben
Gaia gilt als Problembärin: Sie hat in ihrer Heimat im Trentino einen Jogger getötet. Nun wurde sie in den Bärenpark in Bad Rippoldsau-Schapbach gebracht. Projektleiter Raoul Schwarze übt im Interview Kritik.
Sa, 9. Aug 2025, 15:30 Uhr
Südwest
Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen
Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.
Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.
AkzeptierenMehr Informationen

BZ: Herr Schwarze, wie kam es eigentlich dazu, dass Sie die Bärin JJ4 alias Gaia aufgenommen haben? Kamen die italienischen Behörden auf Sie zu oder umgekehrt?
Wir arbeiten bereits seit Langem mit der dortigen Forstorganisation im Trentino zusammen, die für das Wildtiermanagement zuständig ist. Dort gibt es eine kleine Auffangstation für verletzte Bären – doch nachdem entschieden wurde, dass das Tier nicht getötet werden darf, war klar, dass das Tier irgendwo verwahrt werden muss. Und die dortige Auffangstation kommt dafür nicht infrage, sie ist einfach zu klein für eine dauerhafte Beherbergung der Bärin. Deshalb sind wir an die italienischen Kollegen herangetreten und haben angeboten, sie aufzunehmen. Wenn sie schon ihr ganzes restliches Leben in Gefangenschaft leben muss, dann wenigstens bei uns, wo sie ein halbwegs vernünftiges Leben führen kann.
"Sie können sich vorstellen, dass sie überhaupt nicht erfreut war, als sie aufgewacht ist und festgestellt hat, wo sie ist."Raoul Schwarze
BZ: Sie sind dann selbst nach Italien gefahren und haben sie abgeholt. Wie war der Transport?
Wir haben da spezielle Quarantäneboxen. In die haben wir sie reingelockt, narkotisiert und erstmal tierärztlich untersucht. Für den Transport selbst musste sie aber wach sein, eine Fahrt mit einem narkotisierten Tier wäre für das Tier zu gefährlich. Und Sie können sich vorstellen, dass sie überhaupt nicht erfreut war, als sie aufgewacht ist und festgestellt hat, wo sie ist. Wir haben dann alle zwei Stunden eine Pause gemacht, geschaut, wie es ihr geht.
BZ: In welchem Zustand ist sie dann angekommen?
Sie war völlig gestresst, hat gegen das Gehege getreten, Scheinangriffe gegen uns begonnen. Das sind alles völlig normale Verhaltensweisen in Anbetracht der Situation. Wir haben Sie dann erst einmal in eine Art Quarantänekäfig gebracht, damit man sie beobachten kann. Sie musste zur Ruhe kommen, sich an uns gewöhnen. Hier ist ein anderes Klima, sie riecht andere Tiere, damit muss sie klarkommen. Wenn wir sie gleich in die Freianlage gelassen hätten, wäre sie unkontrollierbar gewesen. Die hätte versucht, irgendwie durch den Zaun zu brechen. Das hätte sie nicht geschafft – aber sie hätte sich dabei schwer verletzten können.
BZ: Hat sie sich dann mit der Situation arrangiert?
Nein, überhaupt nicht. Sie war ruhig, wenn wir nicht da waren. Aber sobald wir zum Füttern kamen, wurde sie wütend. Sie hat versucht, sich in eine Ecke zurückzuziehen, um dort mehr Schutz zu haben, was nicht einfach war. Das war für uns auch keine schöne Situation und wir waren froh, dass wir sie dann in die Freianlage entlassen konnten. Hier hat sie einen Hektar zur Verfügung und es geht ihr auch den Umständen entsprechend gut. Sie erkundet jetzt das Gelände und hat auch schon Erfahrung mit dem Elektrozaun gemacht. Daran muss sie sich jetzt gewöhnen.

BZ: Wird sie sich in der Freianlage mit ihrem Schicksal abfinden können?
Nein, das wird sie niemals tun. Sie ist ein Wildtier, hat fast 20 Jahre in der Wildnis gelebt und das merkt man ihr auch an. Man sieht das an ihrem Gesicht, an ihren Augen, dass sie fix und fertig ist. Sie ist traurig, sie ist völlig gestresst – und egal wie groß die Freianlage bei uns ist, sie wird niemals ihr natürliches Habitat ersetzen können. Für sie ist die jetzige Lösung die denkbar schlechteste.
BZ: Was wäre denn die beste Lösung gewesen?
Die beste Lösung wäre natürlich die Freiheit gewesen. Aber da muss die Bevölkerung mitspielen. Und nachdem sie den Jogger getötet hat und auch sonst öfter den Menschen zu nahe kam, war die Akzeptanz einfach nicht mehr da – und das kann ich auch verstehen. In diesem Fall wäre die Tötung eigentlich die beste Lösung gewesen.
"Wir haben etwa den Zaun unterirdisch erweitert, damit sie sich nicht drunter durchgraben kann."Raoul Schwarze
BZ: Warum hat man das nicht einfach gemacht?
Das wollte man in Italien ja tun. Aber Tierschützer hatten damals dagegen geklagt – und vor dem Berufungsgericht dann auch Recht bekommen. Ab da war klar, dass sie am Leben gehalten werden muss. Wir finden das nicht gut, aber wir müssen das Beste daraus machen.
BZ: Nun müssen Sie sich damit arrangieren, mussten erst einmal das Gehege für rund eine Million Euro sichern.
Zum Glück war der Umbau ohnehin geplant. Wir haben etwa den Zaun unterirdisch erweitert, damit sie sich nicht drunter durchgraben kann. Das alles waren Umbauten, die wir ohnehin machen wollten. Nun wurde das eben etwas schneller gemacht. Mittlerweile ist alles fertig, JJ4 konnte also einziehen, als sie soweit war.
Gaia ist die Tochter der Bärin Jurka, die in Slowenien eingefangen und für ein Auswilderungsprojekt in Italien ausgesetzt wurde. Aufgrund der räumlichen Nähe zu Menschen und mutmaßlichen Anfütterungen verlor die ganze Familie ihre Scheu vor Menschen. Dazu zählt auch JJ1, der als Problembär Bruno in Deutschland bekannt und 2006 in Bayern erschossen wurde. Auch Gaia lebte in der Nähe menschlicher Siedlungen. Als sie dann aber 2023 zwei Junge hatte und ein Jogger auf sie zugerannt kam, wurde sie aggressiv und tötete den Mann. Daraufhin wurde sie eingefangen und sollte eigentlich getötet werden. Doch Tierschützer klagten und bekamen am Ende recht, Bärin Gaia musste weiterleben. Doch was tun? In die Freiheit zurücklassen konnte man sie nicht. Am Ende war es der Alternative Wolfs- und Bärenpark in Bad Ripplodsau-Schapbach, der sie aufnahm. Dort kam sie vor zwei Wochen an, lebte zunächst in einem provisorischen Gehege und einer Überwachung und wurde dann in das gut einen Hektar große Freigelände entlassen.
msr
BZ: Haben Sie von den italienischen Behörden Zuschüsse bekommen?
Nein, wir mussten alles aus eigener Tasche finanzieren. Wir kriegen Spenden, wir haben Einnahmen durch die Besucher des Parks und wir vermitteln Tierpatenschaften.
BZ: Nun lebt ihre Mutter auch in ihrem Park. Glauben Sie, dass sie sie wittern und vielleicht auch erkennen kann?
Ich glaube, das ist die am häufigsten gestellte Frage, aber das ist ein zu menschlicher Gedanke. Sie wird ihre Mutter wittern, vielleicht auch einen ihr bekannten Geruch in der Nase haben, aber sie wird nicht erkennen, dass das ihre Mutter ist. In der Natur gehen die Tiere ja auch getrennte Wege und haben dann nichts mehr miteinander zu tun.
Raoul Schwarze ist studierter Bauingenieur und seit sechs Monaten Projektleiter der Stiftung für Bären-, Wildtier- und Artenschutz im Alternativen Wolf- und Bärenpark Schwarzwald in Bad Rippoldsau-Schapbach.