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Schockanrufer nutzen Todesanzeige - Neustädterin vor Beerdigung ihres Mannes bedrängt

Eine Neustädterin bekommt einen makabren Schockanruf. Die Täter benutzen dafür Angaben aus der Todesanzeige des verstorbenen Ehemanns. Ein finanzieller Schaden entsteht nicht – aber ein emotionaler.  

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Einen besonders makabren Schockanruf h...ne Neustädterin bekommen (Symbolfoto).  | Foto: Karl-Josef Hildenbrand (dpa)
Einen besonders makabren Schockanruf hat eine Neustädterin bekommen (Symbolfoto). Foto: Karl-Josef Hildenbrand (dpa)

Es ist 17.15 Uhr als bei Karin Tummescheit in Neustadt das Telefon klingelt. "Es war das Festnetz und auf dem Display stand anonym", sagt die 68-Jährige. Sie nimmt ab, es meldet sich ein angeblicher Hauptkommissar der Verkehrspolizei aus Freiburg. Sein Name sei Gerhard Maier, seine Dienstnummer die 7228. Er müsse leider mitteilen, dass ihr Sohn Volker – wie Tummescheits Sohn tatsächlich heißt – der Verursacher eines schweren Verkehrsunfalls gewesen sei. Er habe eine rote Ampel übersehen und eine 29-jährige Frau totgefahren. "Mein Sohn habe gesagt, so der Anrufer, er sei durch den Tod seines Vaters im Straßenverkehr nicht bei der Sache gewesen", berichtet Tummescheit.

Eine makabre Bemerkung, denn Ehemann und Vater Werner Tummescheit ist am 20. Juni gestorben. Dementsprechend angefasst ist Karin Tummescheit, als der mutmaßliche Beamte sie zwei Tage vor der Beerdigung kontaktiert. "Dieser Anruf hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen."

Eine schluchzende Männerstimme ist zu hören

Auch, weil der Polizist sie fragt, ob sie ihren Sohn sprechen wolle. Sie will. Und bekommt einen schluchzenden Mann zu hören, der immer wieder sagt, dass eine junge Frau nun seinetwegen tot sei. "Diese Stimme – das hätte mein Sohn sein können." Dann übernimmt der angebliche Beamte das Gespräch wieder. "Er hat mir gesagt, dass Volker in sehr schlechter Verfassung sei und Beruhigungsmittel bekommen habe. Ich war total geschockt." Noch geschmackloser wird es, als der Anrufer im Gespräch die Namen der Kinder von Tummenscheits Sohn nennt. "Ich dachte, auch meinen Enkeln sei vielleicht was passiert."

Der Anrufer zitiert etliche Paragrafen und lässt Tummescheit wissen, dass ein Staatsanwalt namens Jacobi die Ermittlungen leite. Ihr Sohn werde jetzt dem Haftrichter vorgeführt. "Das klang alles total real", sagt die 68-Jährige. Sie könne helfen, indem sie eine Kaution bezahle. Diese bewege sich bei solch schweren Verkehrsdelikten zwischen 40.000 und 45.000 Euro. Das Geld solle sie noch am Abend bei der Polizei in Freiburg, Dienststelle 2, abgeben. "Und bitte den Personalausweis mitbringen – das hat er noch gesagt", so Tummescheit. Ob sie so viel Geld zusammenbringe, müsse sie erst mit ihrer Bank klären, lässt sie den Anrufer wissen. Er antwortet ihr, da die Bankfiliale ja nun geschlossen habe, solle sie das an Bargeld mitbringen, was sie zu Hause habe – auch Schmuck oder Münzen könnten als Pfand hinterlegt werden.

Da wird Tummescheit stutzig. Sie kontaktiert mit ihrem auf Freisprechen gestellten Handy ihre Schwiegertochter, die Mailbox geht dran. "Er hat das mitbekommen und mich gefragt, wen ich denn jetzt da anrufe", sagt die Rentnerin. Als sie ihm vorschlägt, sich mit ihrer Familie zu besprechen und ihn in einer Viertelstunde zurückzurufen, legt der angebliche Polizist auf.

Zur Sicherheit ein Messer aufs Nachtschränkchen gelegt

20 Minuten hat der Anruf gedauert, der Schock wirkt nach. "Ich habe am ganzen Körper gezittert, war fix und fertig", sagt Tummescheit. Sie telefoniert mit ihrem Sohn, informiert ihre anderen Kinder und erstattet Anzeige bei der Polizei. Tummescheit hat Angst, die Täter könnten sie in der Nacht aufsuchen. "Ich habe alles mehrfach abgeschlossen und hab mir ein Messer aufs Nachtschränkchen gelegt."

Natürlich hat Karin Tummescheit schon von Schockanrufen gehört und Warnungen gelesen. Doch die Informationen über den Tod ihren Mannes, die richtigen Namen von Sohn und Enkeln und das Nennen weiterer Verwandter haben sie zunächst glauben lassen, der geschilderte Unfall sei tatsächlich passiert. Woher die Täter diese Informationen haben? "Wir denken aus der Todesanzeige", sagt Tummescheit. Hier waren die Hinterbliebenen mit Namen aufgelistet, wer von ihnen wer ist – leicht nachzuvollziehen.

Es komme immer wieder vor, dass Täter Todesanzeigen auswerten, um ihre Schockanrufe glaubwürdiger zu gestalten, sagt Polizeisprecher Özkan Cira. "Sie nutzen die darin enthaltenen Namen, familiären Verbindungen und Wohnorte, um gezielt Vertrauen zu erschleichen." Das erhöhe die emotionale Wirkung des Anrufs und senke die Wahrscheinlichkeit, dass das Opfer misstrauisch wird.

Die durch Schockanrufe entstandenen Schäden sind hoch

Im gesamten Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Freiburg komme es nahezu täglich zu betrügerischen Anrufen. Für den Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald wurden vor fünf Jahren 275 solcher Fälle erfasst, 2022 waren es 102, im vergangenen Jahr 43. Und das seien nur die Anrufe, bei denen Täterhandeln im Inland nachgewiesen werden konnte. Die Gesamtzahl liege um einiges höher.

Häufig bleibe es laut Cira beim Versuch, an Geld zu kommen, "doch leider kommt es auch immer wieder zu vollendeten Taten". Der Schaden sei erheblich: Im Jahr 2021 lag er bei mehr als 400.000 Euro, 2022 und 2023 waren es weit mehr als 300.000 Euro im Landkreis.

Was sind das für Täter? "Sie agieren hochprofessionell und oft arbeitsteilig im Rahmen organisierter Strukturen", weiß Cira. Häufig geschehe das aus dem Ausland, insbesondere aus der Türkei und Osteuropa. In Deutschland seien meist Mittäter aktiv, die Bargeld und Wertgegenstände abholen. Die Aufklärungsquote sei in der Regel gering, da die Täter meist keine oder nur wenige Spuren hinterlassen.

Die Polizeit fragt nie nach Geld und Wertsachen

Deshalb wird die Polizei nicht müde zu warnen. "Polizei, Ärzte, Bankinstitute, Gerichte oder Staatsanwälte fragen nie nach Wertsachen oder Geldbeträgen", macht Cira deutlich. Man sollte sich am Telefon, egal mit welcher Geschichte, nicht unter Druck setzen lassen. Einfach auflegen und beim geringsten Verdacht die Polizei kontaktieren, lautet der Rat.

"Viele Opfer leiden noch lange unter dem Erlebten und empfinden Scham darüber, den Tätern vertraut zu haben", sagt Cira. Karin Tummescheit hat ihre Geschichte erzählt – um andere zu schützen. "Das, was da gemacht wurde, wird ewig in mir sein. Jetzt weiß ich, was der Begriff Schockanruf bedeutet – man ist wie paralysiert."

Schlagworte: Karin Tummescheit, Tummenscheits Sohn, Özkan Cira

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