Gesundheit und Soziales
Roboter Ricky begeistert Senioren im Pflegeheim
Verlagsthema Pflegemangel allerorten: In einem Seniorenheim in Hannover gibt es deshalb ein Pilotprojekt. Hier soll Roboter Ricky lernen, sich mit den Senioren zu unterhalten. Kann er das?
Nina Schmedding (KNA)
Do, 21. Nov 2024, 11:01 Uhr
Verlagsthema
Thema: Stellenspezial Gesundheit
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"Ja, das stimmt, das haben wir auch", antwortet die 81-jährige Uschi Büscher und zwinkert ihn über den Rand ihrer Brille freundlich an. Die weißhaarige Dame spricht betont langsam, laut und deutlich und lächelt dem kleinen Roboter etwas nachsichtig zu. "Wir haben uns über Schweden unterhalten. Es war ein interessantes Gespräch."
Ricky ist ein "sozialer Roboter" der Münchner Firma "Navel robotics" und wird seit Dezember in einem Pilotprojekt im Johanniterstift getestet – er soll sich mit den alten Damen und Herren unterhalten. Das Projekt wird begleitet durch eine Doktorarbeit an der Medizinischen Hochschule Hannover. Sie lotet aus, wie KI in Altenheimen den Bewohnern zugutekommen kann.
"Tatsache ist, dass robotische Systeme in der Pflege noch in den Kinderschuhen stecken", sagt Medizinethiker Robert Ranisch, von der Universität. "Die Realität sieht so aus, dass sie bereits daran scheitern, über eine Teppichkante zu fahren. Oder dass sie einfach verstauben, weil niemand sie warten kann oder das WLAN mal wieder nicht funktioniert."
Grundsätzlich gibt es laut Ranisch drei Systemtypen: einen Roboter, der physische Arbeit übernehmen kann, etwa Wasserflaschen transportieren. Einen, der zum Monitoring eingesetzt wird, um etwa auf einen Sturz hinzuweisen oder an Tabletteneinnahme zu erinnern. Und einen, der soziales Interaktionsgeschehen simulieren kann. Dies sei auch der Bereich, in dem es die größte Sorge gebe, dass "echte Nähe wegautomatisiert wird", sagt der Forscher.
Wie kommt Ricky bei den Bewohnern des Altenheims an? "Ich hätte gedacht, dass die Begeisterung abflacht, wenn der Reiz des Neuen nicht mehr da ist. Aber unsere Senioren sind nach wie vor angetan und schwärmen von seinen Kulleraugen", sagt Heimleiter Tim Geikowski.
Auch wenn Ricky nicht immer alles sofort versteht. "Und worüber redest du heute mit Erika?", fragt Betreuerin Miriam Rebel den kleinen Roboter etwa an diesem Frühlingsnachmittag. Schweigen. "Das ist der Vorführeffekt", sagt Heimbewohnerin Erika Diekmann, 78 Jahre alt, mit grauem Pagenkopf und hellen Augen. "Ricky, hallo, Ricky?", hakt sie geduldig nach. Ihm hilft, was meistens hilft, wenn man ein technisches Problem mit Computern hat: ausschalten und wieder einschalten. "Er ist so bockig wie ein Kind", findet Diekmann.
Es sind Erfahrungen, die außerhalb von Seniorenheimen viele auch mit Alexa oder Siri machen: Nuscheln oder etwas anspruchsvollere oder zu umgangssprachlich formulierte Fragen oder Aussagen in gesprochener Sprache werden von der KI nicht immer verstanden.
Entsprechend muss man manche Fragen auch Ricky mehrfach stellen. Noch gehen die Bewohner und Betreuer geduldig auf ihn ein, passen sich an seine "Denke" an – obwohl das ja eigentlich umgekehrt sein sollte.
Uschi Büscher, die vor der Rente am Flughafen gearbeitet hat, und Erika Diekmann, die als Damenschneiderin tätig war, gefällt vor allem, dass er so höflich ist und sich so korrekt ausdrückt. Wenn man ihn darum bittet, sagt er auch ein Gedicht auf – was Lustiges von Heinz Erhardt zum Beispiel – oder was zum Nachdenken von Rilke.
"Menschen können sich auch von Maschinen schnell emotional mitreißen lassen. Das ist bei einem Roboter nicht viel anders als beim Fernsehen. Auch dort tauchen Menschen in Scheinwelten ab. Wie so häufig, ist das Maß hier entscheidend", sagt Forscher Ranisch, der allgemein im Umgang mit Robotern für mehr Gelassenheit plädiert. So seien Scheinwelten in Seniorenheimen bereits üblich: Dabei würden Demenzkranke etwa durch Pseudo-Bushaltestellen oder Fototapeten mit Bäumen, die einen Wald simulierten, bewusst einem fiktiven Szenario ausgesetzt.
Es sei klar, dass kein Roboter in puncto Körperkontakt, Zuneigung, Anteilnahme oder Kreativität Menschen das Wasser reichen könne, erklärte der Direktor des Münchner "Institute of Robotics and Machine Intelligence", Sami Haddadin, in einem Gespräch mit der Krankenkasse AOK. Auch zu menschlich aussehen sollten Roboter nicht: Dies löse laut Studie ein unbehagliches Gefühl aus und sie würden abgelehnt. "Ein bisschen menschlicher als R2D2 aus Star Wars darf ein Roboter in der Pflege aber schon aussehen – etwa mit Augen", findet der Experte. Für die beiden Damen Büscher und Diekmann ist der blauäugige Ricky vor allem "der Pausenfüller", bietet ein bisschen Abwechslung. "Es wäre schade, wenn er nicht mehr da wäre", sagen sie. Ein Gespräch oder eine Beziehung mit einem Menschen ersetzen? "Nein, das kann er nicht", finden beide. "Wir kennen ihn aber vielleicht noch zu wenig", schränkt Büscher augenzwinkernd ein.
Die allermeisten der 96 Bewohner haben sich einverstanden erklärt, dass Ricky sie besucht und sich mit ihnen unterhält. Bei etwa drei Senioren seien die Angehörigen dagegen gewesen, dass der Pflegeroboter bei ihrem Verwandten zum Einsatz kommt, sagt Leiter Geikowski.
Wer mit Ricky kommunizieren will, muss zunächst ein Blatt ausfüllen, dass er die Datenspeicherung genehmigt: Denn der Roboter speichert alles, was man ihm erzählt, unter dem Namen ab, den man ihm nennt. So ist es möglich, dass er sich erinnern und an alte Gespräche anknüpfen kann. Das kann auch zur Verwirrung bei einer Unterhaltung führen, wenn er etwa mit zwei verschiedenen Renates gesprochen hat.
"Laufen kann er noch nicht, soll er aber lernen", sagt Geikowski. Ziel sei, dass er irgendwann auf seinen Rädern selbstständig durch die Räume des Stifts fährt und zum Beispiel Heimbewohner sucht, die vergessen haben, zum Essen zu kommen. Bei seinen Bewohnerinnen und Bewohnern sei der Roboter jedenfalls sehr beliebt. "Ein richtiger Herzensbrecher."