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Südbadens Wirtschaft mahnt Merz zur Eile: Wo bleiben die Reformen?
Einen "Herbst der Reformen" hat der Kanzler angekündigt. Die ersten Schritte lassen sich schon erkennen. Aber weder Unternehmer noch Gewerkschafter aus der Region sind überzeugt.
Ronny Bürckholdt
So, 12. Okt 2025, 11:30 Uhr
Wirtschaft
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Jetzt geht's los – diese Botschaft versuchten die Spitzen der Bundesregierung in dieser Woche unters Volk zu bringen nach einem mehrstündigen Koalitionsgipfel. Der von Kanzler Friedrich Merz (CDU) angekündigte "Herbst der Reformen" habe nun begonnen, sagte dieser jüngst mehrfach. Beim Bürgergeld etwa sollen schärfere Sanktionen Arbeitsunwillige dazu bringen, einen Job aufzunehmen. Rentner, die freiwillig weiterarbeiten, sollen 2000 Euro im Monat steuerfrei hinzuverdienen dürfen. Außerdem soll genügend Geld in den Ausbau des maroden deutschen Schienen- und auch des Straßennetzes fließen.
Zuvor hatte Schwarz-Rot angekündigt, dass von nun an nicht länger nur von Bürokratieabbau sowie einer Digitalisierung der Verwaltung geredet, sondern gehandelt werde. Sieht so ein großer Wurf aus? Vertreter in Südbadens Wirtschaft zeigen sich alles andere als überzeugt, in Teilen verliert man dort bereits die Geduld mit der Regierung, die noch nicht einmal ein halbes Jahr im Amt ist.
"Der bisherige Reformwille der Bundesregierung bleibt deutlich hinter den Erwartungen zurück."
Iris Tauth ist die Geschäftsführerin des Arbeitgeberverbands Südwestmetall in der Region Freiburg. Er vertritt die Interessen zahlreicher Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie und damit von Schlüsselbranchen der heimischen Wirtschaft. Tauth sagt über Merz' "Herbst der Reformen": "Der Herbst ist jetzt bereits zur Hälfte vorbei. Der bisherige Reformwille der Bundesregierung bleibt deutlich hinter den Erwartungen zurück." Statt zentrale Strukturprobleme der hiesigen Wirtschaft anzugehen, werde etwa beim Rentenpaket oder dem Bundestariftreuegesetz (mit dem die Vergabe öffentlicher Aufträge an zusätzliche Bedingungen geknüpft wird) "mit hoher Geschwindigkeit an Regelungen gearbeitet, die zusätzliche Belastungen und Bürokratie schaffen. Gleichzeitig fehlen entschlossene Schritte in den wirklich drängenden Bereichen. Auch bei der Modernisierung von Staat und Verwaltung, beim Bürokratieabbau und der Digitalisierung sehen wir bislang nur Trippelschritte."
Damit die heimischen Unternehmen wieder an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen, müssten die Lohnnebenkosten sinken – von derzeit fast 45 auf unter 40 Prozent, fordert Tauth. Derzeit sei Arbeit zu teuer. Die derzeitige Rentenpolitik der Regierung mit einem stabilen Rentenniveau, einem unveränderten Renteneintrittsalter sowie geplanten Mehrausgaben etwa bei der Mütterrente gehe in die falsche Richtung. So stiegen die Lohnnebenkosten weiter.
Bisher zu zaghaft?
Ungeduldig angesichts des in Berlin an den Tag gelegten Reformtempos zeigt sich auch die Industriegewerkschaft Metall, Europas größte Einzelgewerkschaft. Maja Reusch, die Geschäftsführerin in der Ortenau, sagt: "Die Bundesregierung hat die Herausforderungen der industriellen Transformation erkannt – das ist positiv. Allerdings bleibt der Reformwille bislang zu zaghaft und oft zu unkonkret." Förderprogramme allein reichten nicht, wenn gleichzeitig Unternehmen wie Bosch in großem Stil Arbeitsplätze abbauen, ohne tragfähige Perspektiven für die Standorte aufzuzeigen.
Die Koalition hat in dieser Woche auch angekündigt, neue Kaufprämien für Elektroautos auf den Weg zu bringen. Reusch hält das für wenig nützlich. Wichtiger wäre es, dass den Unternehmen langfristig zugesagt würde, dass ihre Forschungs- und Innovationsleistung gefördert werde. Reusch sagt: "Was fehlt, ist eine klare industriepolitische Haltung, die Beschäftigung und Wertschöpfung in Deutschland zur Priorität macht." Dazu gehörten gezielte Investitionen in Weiterbildung und Qualifizierung, damit Beschäftigte den Wandel aktiv mitgestalten können. "Ebenso wichtig sind verbindliche Standortverpflichtungen für Unternehmen, die öffentliche Fördermittel erhalten", sagt Reusch.
Einen anderen Aspekt vermisst die Gewerkschaft Verdi in der laufenden Reformdebatte. Deren neuer Geschäftsführer in den Regionen Südbaden und Schwarzwald, Michael Herbstritt, fordert "eine gerechte Steuerpolitik, die starke Schultern mehr belastet". Steuererhöhungen lehnt die Union ab. Nach Ansicht von Herbstritt verhindert dies, dass nötige Investitionen in Bildung, Gesundheit und Pflege gestemmt werden könnten. Wer stattdessen die Kommunen finanziell weiter ausbluten lasse, "fördert in einer schon jetzt angespannten gesellschaftlichen Stimmung weiter nur Spaltung und Zulauf für antidemokratische Parteien", meint Herbstritt.
IHK-Präsident mahnt zu mutigen Reformen
Zu mutigen Reformen mahnt auch Christof Burger, der Präsident der Handwerkskammer Freiburg. "Der Reformwille ist erkennbar, aber bislang zu zögerlich und oft im Klein-Klein stecken geblieben", sagt er. "Viele gute Ansätze – etwa beim Bürokratieabbau oder bei der Fachkräfteeinwanderung – sind auf den Weg gebracht, doch die Umsetzung in der Praxis bleibt schleppend." Das Handwerk brauche jetzt keine weiteren Ankündigungen.
Laut Burger müssten sich die Handwerksbetriebe "wieder stärker auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können. Genehmigungsverfahren, Berichtspflichten und Nachweispflichten müssen vereinfacht oder digitalisiert werden." Um genügend Nachwuchs zu gewinnen, brauche es eine gestärkte Berufsorientierung an den Schulen. Nötig seien zudem eine verlässliche Steuerpolitik sowie Entlastungen bei Energie- und Lohnnebenkosten. Nur so könnten die Handwerksunternehmen genügend investieren. "Wenn der angekündigte ,Herbst der Reformen' mehr sein soll als ein politisches Schlagwort, muss er sich in konkreten Entlastungen widerspiegeln", sagt Burger. Entscheidend sei, "dass die Regierung Geschwindigkeit aufnimmt – und den Worten endlich Taten folgen."
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