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Museen-Geheimtipps (13)

Vitra Design Museum: Zeitreise der Möbelgeschichte

  • Petra Kistler

  • Sa, 25. Februar 2017, 12:25 Uhr
    Weil am Rhein

Wunderkammer des Designs: Das Schaudepot im Vitra Design Museum lädt ein zu einer Zeitreise durch die Möbelgeschichte.

Stühle von Michael Thonet & Kollegen: Regal in der Haupthalle des Schaudepots Foto: Joss Andres
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So schafft man eine Design-Ikone: Als der Starregisseur Billy Wilder eine komfortable Liege für sein Mittagsschläfchen im Büro brauchte, wandte er sich an seine Freunde Charles und Ray Eames. Die beobachteten ihn beim Nickerchen, das nicht länger als 15 Minuten dauern sollte – und entwarfen die Soft Pad Chaise.

Ihre Liegefläche ist so schmal, dass Wilders Arme beim Abgleiten in den Tiefschlaf zu Boden rutschten und ihn weckten. Und weiter ging’s mit der Filmarbeit.

Wo man derlei erfährt? Im Schaudepot im Vitra Design Museum in Weil am Rhein. Dort steht auch die leicht geschwungene Liege – und zwar das Original von Billy Wilder, wie Leonie Samland erzählt, die durch die Sammlung führt.

Die 1968 entworfene Soft Pad Chaise ist eines von 20 000 Objekten des Vitra Design Depots. 400 Schlüsselstücke des Möbeldesigns, präsentiert auf schlichten Glasregalen, werden seit dem Sommer 2016 in der Haupthalle gezeigt.

Möbel, die übrigens weder ästhetisch besonders ansprechend oder gar komfortabel sein müssen. Sie stehen für eine Epoche, für eine revolutionäre Technik, ein neues Material oder eine radikale Formensprache. Mit den Nachlässen bedeutender Designer wie Charles und Ray Eames, Verner Panton und Alexander Girard gehört das Schaudepot zu den weltweit wichtigsten und größten Sammlungen moderner Möbelgestaltung.

"Licht und Sauerstoff sind Gift für die Objekte." Leonie Samland
"Und wo können wir ihre Sammlung sehen?" Diese Frage wurde im Vitra Design Museum immer wieder gestellt. Die korrekte Antwort lautete: "Im Depot." In den viel beachteten Wechselausstellungen war nur für wenige Objekte Platz, der gewaltige Schatz des Hauses blieb verborgen. Bis die Basler Architekten Herzog & de Meuron das Schaudepot bauten.

Das schlichte Gebäude mit seiner fensterlosen Fassade aus gebrochenem Klinker fügt sich nicht nur hervorragend auf dem Areal mit den gebauten Attraktionen von Toparchitekten ein. Es bietet auch ideale Bedingungen, um die kostbaren Stücke zu erhalten. "Licht, Sauerstoff und schwankende Temperaturen sind Gift für die Objekte", erläutert Leonie Samland, die Restauratorin studiert. Für ihre Zunft ist jedes Fenster eines zu viel.

Kompromisse im Untergeschoss

Im Untergeschoss des Schaudepots wurde ein Kompromiss gefunden. Durch vier Glasscheiben können die Besucher in die Herzkammern von Vitra schauen: in das Depot mit den mehr als tausend Leuchten, die Sammlung mit fröhlich-verrücktem italienischen und nüchternem skandinavischen Design, die Regale mit dem Eames-Nachlass.

Der größte Teil des Sammlungsarchivs ist weiter im eigentlichen Depot verborgen. Im Untergeschoss steht auch eine Rekonstruktion des privaten Arbeitszimmers von Charles und Ray Eames, das genauso aufgebaut wurde, wie sie es hinterlassen haben. Betreten darf man es nicht, stattdessen kann man wie in einem Aquarium durch eine große Scheibe in das kleine Zimmer blicken. Nebenan, im Vitra Design Lab, steckt in den Schubladen eine riesige Materialsammlung zu Kunststoffen, Metall oder nachhaltigen Rohstoffen, die zum Teil auch angefasst werden dürfen.

Kein Firmenmuseum, keine PR-Show

Das Schaudepot ist kein Firmenmuseum, keine PR-Show. Im Erdgeschoss werden, streng chronologisch geordnet, die Meilensteine der Möbelgeschichte vorgestellt. Das älteste Objekt ist ein Windsor-Stuhl. Er stammt aus dem England des 18. Jahrhunderts und ist weltweit verbreitet worden. Das jüngste Modell ist gerade mal drei Jahre alt – der Aluminium Gradient Chair von Joris Laarman, ein Stuhl aus dem 3-D-Drucker.

Manches kennt auch der interessierte Laie. Zum Beispiel die Thonet-Stühle. Die Bugholzmöbel des Tischlermeisters Michael Thonet aus Boppard am Rhein waren das Mobiliar für die Kaffeehäuser in aller Welt. Dank der von ihm erfundenen Holzbiegetechniken konnte Thonet Sitzmöbel aus Bugholz leichter, schneller und billiger herstellen. Um die Versandkosten zu senken, wurden, ein schwedisches Möbelhaus lässt grüßen, die Stühle in Einzelteilen verschickt, die Montage fand erst beim Verkäufer statt. Von 1859 bis 1930 wurden weltweit 50 Millionen Stück des Thonets Nr. 14 verkauft. Die unzähligen Kopien sind gar nicht eingerechnet.

Drei Dutzend Eier für einen Sessel

Der Consumsessel von Thonet war kein Luxusgut. Bei seiner Markteinführung kostete das Modell drei Gulden, was dem Wert von drei Dutzend Eiern entsprach.

Ganz anders die Entwürfe des schottischen Architekten, Designers und Künstlers Charles Rennie Mackintosh. Sie waren nicht für den Massenmarkt und die serielle Fertigung gedacht, sondern wurden für einen bestimmten Raum entworfen. So wie der Stuhl mit der überhohen Rückenlehne, der in den Argyle Street Tea Rooms in Glasgow stand.

Nicht jeder Stuhl war als bequeme Sitzgelegenheit gedacht. Mit dem berühmten rot-blauen Stuhl wollte der niederländische Architekt und Tischler Gerrit Thomas Rietveld, Mitglied der Künstlergruppe De Stijl, aus flachen, rechteckigen Hölzern ein Möbel erschaffen, das viel Raum einnimmt. Zur Ikone des Designs wurde der Stuhl aber erst hundert Jahre später. Auch die Stahlrohrmöbel von Mies van der Rohe fanden seine Zeitgenossen einfach nur grässlich. Heute sind die Freischwinger Kult.

Ein Sessel, der 70 Kilogramm wiegt

Das wohl meistkopierte Objekt ist der kleine Beistelltisch von Eileen Grey. Die irische Malerin, Designerin und Architektin soll den Tisch für ihre Schwester Thora entworfen haben, damit sie im Bett frühstücken konnte. Bis 1930 wurden nur wenige Exemplare gefertigt. Erst 1970 ging der Tisch in Serie. Eines der schwersten Objekte der Sammlung wirkt übrigens ganz leicht: Miss Blanche von Shiro Kuramata. 70 Kilogramm wiegt der Sessel aus Acrylglas mit den perfekt eingegossenen roten Kunstrosen.

Das Schaudepot kommt ohne kluge Texte aus. Woher der Besucher diese Fakten und Anekdoten erfährt? Die Objektnummern, die man auf zur Verfügung gestellten iPads in einem digitalen Katalog eingeben kann, führen zur vorbildlichen digitalen Sammlung. Oder man bucht eine der empfehlenswerten Führungen. Dann erfährt der Besucher noch nebenbei, welche Sorgen die Designobjekte aus den 50er-, 60er- und 70er-Jahren den Restauratoren machen. Viele Kunststoffobjekte werden langsam mürbe, brüchig und lösen sich in feinen, gelben Staub auf.

"Für die Ewigkeit ist er wohl nicht gedacht" Leonie Samland

Wie lange werden die jüngsten Exponate aus dem 3-D-Drucker wohl halten? Der Chubby Chair von Dirk Vander Kooij sieht aus, als wäre er aus gewaltigen Lakritzstangen zusammengebaut worden. Für den Kunststoff, aus dem der Stuhl gemacht ist, zerhäckselte der niederländische Designer alten Kunststoff. Die Schnipsel wurden geschmolzen und vom Roboter Schicht für Schicht aufgetragen. "Für die Ewigkeit ist er wohl nicht gedacht", sagt Leonie Samland. "Wer das möchte, sollte Marmor oder Holz verwenden."

Den Kampf gegen die Altersschäden von Polyurethan und Polyesterharz kennt die angehende Restauratorin aus dem Effeff. Kunstvolles Handwerk? Leonie Samland schüttelt den Kopf: "Vor allem chemische Formeln."
Vitra Schaudepot

Adresse
Charles-Eames-Str. 2, 79576 Weil am Rhein, Tel. 07621/702 3500 www.design-museum.de

Öffnungszeiten
Montag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr.
Eintritt: Schaudepot 8 Euro, ermäßigt 6 Euro, Kinder bis 12 Jahre frei.

Programm
Das Vitra Design Museum bietet zahlreiche Führungen (Architektur, Hinter den Kulissen, Highlights aus der Sammlung, Konservatorische Herausforderungen, Produktion), Workshops für Kinder und Erwachsene sowie Veranstaltungen an.

Für wen?
Für alle, die sich für Design interessieren.

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Einen kleinen Umweg wert
Der fünf Kilometer lange Rehberger-Weg führt vom Vitra Campus zur Fondation Beyeler in Riehen. Er verknüpft zwei Länder, zwei Orte, zwei Museen – und "24 Stops" von Tobias Rehberger.

Geheimtipp
Genug von modernem Design? Im Café Inka in Ötlingen kann eine Tapete aus dem Jahr 1819 bewundert werden.

Ressort: Weil am Rhein

Dossier: Museen-Geheimtipps

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Sa, 25. Februar 2017: PDF-Version herunterladen

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