Senioren

Wenn das Sozialamt Pflegekosten nicht übernimmt, kann das Sozialgericht helfen

Die Kosten für Pflegeheime steigen immer weiter. Wer damit überfordert ist, kann sich ans Sozialamt wenden. Das aber zahlt nicht immer. Was bleibt, ist der Gang vors Sozialgericht.  

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Wer in einem Pflegeheim betreut wird, ...afür einen hohen Eigenanteil bezahlen.  | Foto: Tom Weller (dpa)
Wer in einem Pflegeheim betreut wird, muss dafür einen hohen Eigenanteil bezahlen. Foto: Tom Weller (dpa)

Wenn jemand in ein Pflegeheim geht, wird das teuer. Die Pflegeversicherung übernimmt nicht alle Kosten, es bleibt ein Eigenanteil zu zahlen. Wenn dann die Rente nicht ausreicht, müssen Angehörige einspringen. Können auch sie nicht bezahlen, bleibt der Gang zum Sozialamt. Das aber prüft erst einmal die Bedürftigkeit – und das kann dauern. So häufen sich bei manchen Heimbewohnern Schulden gegenüber der Pflegeeinrichtung auf, bisweilen droht gar eine Räumungsklage. In solchen Fällen ist eine Klage vor dem Sozialgericht der Ausweg.

Die Badische Zeitung berichtete kürzlich über den Fall einer 73-Jährigen, die in einem Pflegeheim im Rems-Murr-Kreis untergebracht ist. Weil sie dement ist, übernimmt eine gesetzliche Betreuerin für sie die Kommunikation – und den Streit – mit den Behörden. Rente und Vermögen der Frau genügten nicht, um den Eigenanteil zu bezahlen.

In Baden-Württemberg ist der durchschnittliche Eigenanteil recht hoch, das Land belegt Rang vier der teuersten Bundesländer. Im Juli lag hier der Eigenanteil während des ersten Jahres im Heim bei 3400 Euro im Monat. Wegen Zuschüssen, die mit den Jahren steigen, sinkt der Eigenanteil im zweiten Jahr im Heim um rund 250 Euro, im dritten Jahr noch einmal um rund 500 Euro. Aber auch dann überfordert der Eigenanteil viele Bewohner oder ihre Angehörigen.

43 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner beantragen Sozialhilfe

In solchen Fällen soll eigentlich das Sozialamt helfen. Laut einer bundesweiten Umfrage des Verbandes katholischer Altenhilfe in Deutschland (VKAD) und des Deutschen Evangelischen Verbandes für Altenarbeit und Pflege (DEVAP) beantragen fast die Hälfte, 43 Prozent, der Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen Sozialhilfe.

Im Fall der 73-Jährigen war das auch geschehen. Das Sozialamt aber hatte fast zwei Jahre lang nichts gezahlt. Es haben sich deshalb bei ihr Schulden von fast 70.000 Euro angehäuft.

Was tun in einem solchen Fall? Klage beim zuständigen Sozialgericht einreichen. Tore Bergmann ist Richter am Sozialgericht Freiburg, das für fast ganz Südbaden zuständig ist. "Hat das zuständige Sozialamt über den Antrag auf die sogenannte Hilfe zur Pflege mindestens sechs Monate lang nicht entschieden, kann eine Untätigkeitsklage erhoben werden", sagte er in einem Interview mit der Badischen Zeitung. Wenn es eiliger ist, weil schon die Kündigung des Heimplatzes droht, sei auch schon vor Ablauf der sechs Monate ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung möglich. Was dem Freiburger Richter wichtig ist: Eine solche Klage vor dem Sozialgericht ist stets kostenfrei, auch wenn die Klage abgewiesen werden sollte.

Der Jurist kann durchaus nachvollziehen, warum Sozialämter sich schwertun. Sie sind verpflichtet, genau hinzuschauen, ob der Antrag auf Sozialhilfe berechtigt ist. "Es muss nicht nur die gesamte aktuelle Einkommens- und Vermögenssituation aufgeklärt und geprüft werden", so Bergmann, "sondern es können rechtlich auch Vorgänge eine Rolle spielen, die Jahre zurückliegen, zum Beispiel Übertragungen von Immobilien im Wege vorweggenommener Erbfolge, Schenkungen, der Verbrauch früheren Vermögens und einiges mehr".

Vermögensverhältnisse werden unter die Lupe genommen

Die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen sind ihrerseits verpflichtet, bei der Aufklärung der Verhältnisse mitzuhelfen. Sie müssen Kontoauszüge oder Dokumente vorweisen. Vor Gericht geht es dann oft darum, wieweit diese Mitwirkungspflicht reicht, wie viele Jahre zurück und bis in welche Bereiche der persönlichen Verhältnisse.

Es gebe Fälle, sagt der Richter stellvertretend auch für seine Kollegen, "in denen der Sozialhilfeträger nach unserem Eindruck die Anforderungen etwas überspannt, und auch eher fernliegende Erklärungen und Nachweise verlangt". Er gibt ein Beispiel: "Wenn vor zehn Jahren ein kleiner Lottogewinn erzielt wurde und nicht geglaubt wird, dass das Geld verbraucht wurde, dann sagt das Gericht vielleicht: Das waren 10.000 Euro, und wenn die Betroffenen erklären, sie hätten sich neue Haushaltsgeräte gekauft und seien ein paar Mal in Urlaub gefahren, dann kann das plausibel sein." Andererseits gibt es auch Angehörige, die Vermögen vertuschen, damit sie die Heimkosten nicht übernehmen müssen und das Sozialamt zahlt.

Im Fall der 73-Jährigen lagen die Dinge sehr kompliziert. Ihr Ehemann war verstorben, der Stiefsohn konnte keine Generalvollmacht vorweisen, ihr leiblicher Sohn, Eigentümer des Wohnhauses der Familie, war unbekannt verzogen. Eine ihr zustehende Witwenrente bezog die Frau nicht, weil der Rentenversicherung die Geburtsurkunde des Sohnes fehlte. Und dann sollte es noch ein Ferienhaus gegeben haben, das aber möglicherweise zwangsversteigert wurde. Zwei Jahre dauerte es, bis das zuständige Sozialamt den Eigenanteil der Frau an ihren Heimkosten übernahm.

Nicht selten einigen sich Kläger und Sozialamt ohne Urteil

Gehen Betroffene in solchen Fällen vor Gericht, dann muss dieses regelrechte Detektivarbeit leisten. "Beim Sozialgericht", sagt der Freiburger Richter Bergmann, "gilt der Amtsermittlungsgrundsatz, das heißt das Gericht muss den Sachverhalt ermitteln." Gerade bei möglichem Auslandsvermögen gestalteten sich die Ermittlungen oft schwierig, aber auch im Inland, wenn etwa jemand Miterbe eines Grundstücks ist und sich die Frage stellt, ob es ein stillgelegter Acker oder wertvolles Bauland ist.

Wie gehen die Verfahren vor dem Sozialgericht in der Regel aus? Eine Statistik gibt es dazu nicht. Tore Bergmann geht aufgrund eigener Erfahrung und von Gesprächen mit Kollegen davon aus, "dass in jedem zweiten bis dritten Verfahren zumindest eine vorläufige Lösung zugunsten der Pflegebedürftigen gefunden wird". Ein Urteil muss dafür nicht immer gefällt werden: Nicht selten, so Bergmann, gebe es eine Einigung, "weil sich beide Seiten im Gerichtsverfahren konstruktiv verhalten". Der Gang zum Gericht lohnt also oft.

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