Heidelberg / Stuttgart
Wie ein Pfarrer einer Witwe 57 Jahre später ihr Sparbuch zurückgab
"Doris, ich habe Dein Geld": Ein badischer Pfarrer findet ein 57 Jahre altes Sparbuch. Per Internet fahndet er nach der Besitzerin. Die Recherchen führen ihn zu einer bekannten Protestantin in Stuttgart.
Marcus Mockler
Fr, 4. Dez 2020, 11:09 Uhr
Südwest
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Doch der Reihe nach. Volker Wahlenmeier ist Pfarrer in der badischen evangelischen Kirchengemeinde in Aglasterhausen nahe Heidelberg. Bei der Durchsicht seiner Privatbibliothek greift er im Herbst zu einer uralten Biografie über Martin Luther, die er als Student von einem Ruhestandspfarrer geschenkt bekommen, aber nie gelesen hat. Beim Blättern durch den Wälzer fällt dem 44-Jährigen plötzlich ein Sparbuch aus dem Jahr 1963 in die Hand, ausgestellt von der Heidelberger Kreissparkasse auf den Namen Doris Stecher. Aus dem Büchlein geht hervor, dass sie zunächst Studentin und dann Lehrerin gewesen war.
Zehn Tage später lädt Wahlenmeier das nächste Video hoch. "Wir haben Doris gefunden", jubelt er und präsentiert im Film das Telefonat mit ihr. Wertvolle Hinweise hat er vom Großvater einer Konfirmandin bekommen. Demnach hatte die junge Doris Stecher im April 1963 einen württembergischen Pfarrer geheiratet und war mit ihm nach Marbach am Neckar gezogen. Der Marbacher Dekan Ekkehard Graf half Wahlenmeier dann bei weiteren Recherchen. Ergebnis: Die Besitzerin heißt Doris Söhner, ist seit zwölf Jahren Witwe und lebt in einer Stuttgarter Seniorenresidenz.
Doris Söhner ist in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg keine Unbekannte. Sie hat sich unermüdlich im Gustav-Adolf-Werk für die Partnerschaft mit den Lutheranern im russischen Samara eingesetzt und acht Mal eine Reisegruppe in die Wolgastadt geführt. In Stuttgart gründete sie den Dienst der Grünen Damen, die ehrenamtlich in Kliniken und Altenheimen Menschen besuchen und begleiten. Ausgezeichnet wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz, der landeskirchlichen Brenz-Medaille, dem baden-württembergischen Landesverdienstkreuz und dem Goldenen Kronenkreuz der Diakonie. Ihr Sohn Johannes Söhner ist Mitglied der württembergischen Landessynode.
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An ihrem 82. Geburtstag am vergangenen Montag kommt es nun zur persönlichen Übergabe des vergessenen Sparbuchs. Wie es in die Luther-Biografie geriet, kann sich Doris Söhner kaum erklären. "Ich habe vermutlich für mein zweites Staatsexamen etwas in dem Buch gesucht, bin vielleicht unterbrochen worden und habe das Sparbuch als Lesezeichen hineingelegt", sagt sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Aber erinnern könne sie sich an den Moment nicht mehr, und sie habe dieses Geld nie vermisst.
Und was hat es mit den 500 Mark auf sich? Doris Söhner weiß, dass das ein Monatsgehalt für eine Lehrerin war. Möglicherweise habe sie ihren ersten Lohn zur Sparkasse gebracht und in den Umtrieben der Hochzeit nicht mehr daran gedacht. Mit dem Geldinstitut hat sie nun aber Kontakt aufgenommen und das Büchlein per Einschreiben nach Heidelberg geschickt. Ob sich der ehrliche Finder, Pfarrer Wahlenmeier, bei seiner Zinseszinsrechnung verkalkuliert hat, wird sie in den nächsten Tagen erfahren. Da soll ihr der aktuelle Wert des Guthabens mitgeteilt werden.
Wahlenmeier hat von der Begegnung mit der betagten Witwe wiederum ein Video gedreht. Es soll an diesem Wochenende auf dem YouTube-Kanal seiner Gemeinde hochgeladen werden. Das Geld kommt der alten Dame, die aufgrund mehrerer Operationen beim Gehen eingeschränkt ist, im Augenblick gerade recht. Sie will in den Weihnachtsferien etwas mit ihren sechs Kindern unternehmen und zwei Häuser in einem Feriendorf mieten, falls die Corona-Regeln ihr keinen Strich durch die Rechnung machen.
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