"Zucker war etwas ganz Besonderes"
ZISCH-INTERVIEW mit Gertrud Schlingmann, die als Kind in Deutschland den Zweiten Weltkrieg miterlebte.
Hanna Gassner, Klasse 4a, Schneeburgschule (Freiburg)
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Viele Urgroßeltern und ihre Geschwister haben als Kinder in Deutschland die Diktatur der Nationalsozialisten von 1933 bis 1945 und den Zweiten Weltkrieg erlebt. Es ist wichtig, sich ihre Geschichten anzuhören, um aus den Fehlern der Menschen zu lernen. Die Zisch-Reporterin Hanna Gassner der Klasse 4a der Schneeburgschule in Freiburg hat daher ihre Urgroßtante Gertrud Schlingmann interviewt.
Schlingmann: Ich wurde im Jahr 1933 geboren.
Zisch: Wo hast Du gewohnt?
Schlingmann: Ich habe in Frankfurt am Main gewohnt.
Zisch: Wie alt warst Du, als der Zweite Weltkrieg angefangen hat und wie alt, als er wieder aufgehört hat?
Schlingmann: Ich war sechs Jahre alt, als er anfing und elfeinhalb, als er wieder aufhörte.
Zisch: Woran hast Du als Kind bemerkt, das Krieg ist?
Schlingmann: Am Fliegeralarm und daran, dass alle darüber sprachen. Wir haben in meiner Familie viel über die Nazis gesprochen. Spät abends haben wir oft im Radio die englischen Sender gehört, was aber niemand wissen sollte, weil das verboten war. Beim Fliegeralarm mussten wir immer in den Keller.
Zisch: Konntest Du zur Schule gehen?
Schlingmann: Anfangs ja. Auf dem Schulweg habe ich immer nach Bombensplittern gesucht. Später sendeten mich meine Eltern aufs Land in das oberbayrische Kochel am See, damit ich in Sicherheit war. Das muss etwa 1942 gewesen sein.
Zisch: Was war Dein schlimmstes Erlebnis?
Schlingmann: Als ich eine Gruppe von Häftlingen, also Juden und Kriegsgegner, aus dem Konzentrationslager Dachau gesehen habe. Das war auf der Hauptstraße in Kochel, kurz vor Kriegsende. Die Menschen sahen so abgemagert und verzweifelt aus. Ich habe nie erfahren, was aus ihnen geworden ist. Außerdem gab es viele Ängste beim Fliegeralarm und man wartete immer darauf, dass es wieder Entwarnung gibt. Schlimm war für mich auch, wenn ich Juden mit einem Judenstern auf der Straße begegnet bin, was mich ihnen gegenüber traurig gemacht oder geniert hat. Auch mein Kinderarzt war Jude, er konnte aber noch rechtzeitig in die USA flüchten.
Zisch: Hattest Du Freunde, die von ihrer Familie weggeschickt wurden, um in Sicherheit zu sein?
Schlingmann: Nein.
Zisch: Hattet ihr genug zu essen?
Schlingmann: Wir schon, andere nicht. Durch Verwandtschaft, die auf dem Land wohnte, bekamen wir oft Nahrungsmittel. Zucker und Butter waren etwas ganz Besonderes. Ich habe mich sehr gefreut, wenn ich ein leckeres Butterbrot essen durfte. In Kochel im Kinderheim gab es nur einmal in der Woche, am Sonntag, ein kleines Stück Butter für uns Kinder.
Zisch: Wurde euer Haus zerstört?
Schlingmann: Eines Tages flog eine Brandbombe durch das Dach des Hauses und auf unser Sofa. Bevor es richtig feuerfangen konnte, kam ein Hausmitbewohner angerannt und warf sie aus dem Fenster.
Zisch: Sind Menschen aus Deiner Familie im Krieg gestorben?
Schlingmann: Nein, aber mein Cousin wurde an der Kriegsfront bei Stalingrad in Russland schwer verwundet. Das war sein Glück, da er dadurch nicht mehr als Soldat eingesetzt werden konnte und den Krieg somit über lebte. Meine Schwester ist nur haarscharf einer Bombenexplosion entkommen.
Zisch: Hast Du auch schöne Erinnerungen an Deine Kindheit?
Schlingmann: Ja, zum Beispiel erinnere ich mich an den Zoo oder den Bauernhof. Oder daran, wenn ich meine Verwandtschaft besucht habe in Frankfurt oder wenn mein Vater Bilder in seiner Freizeit gemalt hat.
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