Einzelhandel

Dorfladen 2.0: Waltershofens digitaler Supermarkt

Der Beckesepp in Freiburg-Waltershofen ist Vorreiter für das, was europaweit der Dorfladen 2.0 werden könnte. KI-gestützte Selbstbedienungskassen und eine autonome Bäckerei ermöglichen Einkaufen rund um die Uhr.  

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Automatisierte Alterserkennung beim Beckesepp in Freiburg-Waltershofen  | Foto: Beckesepp
Automatisierte Alterserkennung beim Beckesepp in Freiburg-Waltershofen Foto: Beckesepp

Sebastian Witt, Bezirksleiter vom Beckesepp am Standort Waltershofen, steht an der Selbstbedienungskasse: In der linken Hand hält er eine Gurke, in der rechten eine Zucchini. Lang und grün sind beide – kann die Kasse sie erkennen? Witt legt die Gurke auf die Waage. Auf dem Display erscheint nach kurzem Summen die Wahl zwischen "Gurke" und "Zucchini", illustriert mit Bildern. Witt tippt auf "Gurke", und schon wird der Betrag hinzugefügt. Die Kamera erkennt alle frischen Produkte im Sortiment. "Man muss sich keine Nummern mehr merken, alles passiert direkt an der Kasse", erklärt Witt. "Das funktioniert mit Äpfeln, Bananen und Karotten genauso."

Im Beckesepp in Waltershofen wird erstmals in Europa eine neuartige Technologie dauerhaft im Supermarkt-Alltag eingesetzt, die durch eine Kamera mit innovativen Funktionen das Einkaufen verändern soll. Witt legt sechs Tomaten auf die Waage. Sofort erscheinen das passende Bild und die Beschreibung "Rispentomaten", er tippt zur Bestätigung.

In dem Freiburger Ortsteil hat Beckesepp, ein Familienunternehmen aus St. Peter im Edeka-Verbund, Anfang Juni 2025 einen modernen Supermarkt mit Bäckerei und Café eröffnet. "Auf den ersten Blick sieht er aus wie jede andere Edeka-Beckesepp-Filiale", sagt Witt. Doch hier kann man bis Mitternacht einkaufen – auch ohne Personal im Haus. Geöffnet ist montags bis samstags von 6 bis 24 Uhr, sonn- und feiertags von 8 bis 22 Uhr. Mitarbeiter arbeiten nur werktags zwischen 8 und 18 Uhr. "Dank der Technik bieten wir familienfreundliche Arbeitszeiten", sagt Beckesepp-Inhaber Johannes Ruf. Gleichzeitig profitiere die Kundschaft von langen Öffnungszeiten.

Per Gesichtserkennung wird geprüft, ob der Kunde Alkohol kaufen darf

Sebastian Witt steht in der Parkplatzzone vor dem Eingangsschalter. Er greift zu seiner Bankkarte, den er an den Scanner anhält. Die Glastür gleitet auf. "So kommt man außerhalb der Personalzeiten hinein", erklärt der Beckesepp-Bezirksleiter. Drinnen wiederholt er den Vorgang an einem zweiten Terminal: Erst jetzt öffnet sich der Weg in den Markt. Vor der Alkoholabteilung stoppt Witt und zeigt, wie hier außerhalb der Personalzeiten eine Sicherheitsschleuse dafür sorgt, dass nur Kunden mit Altersnachweis Zutritt haben.

Witt greift zu einer Flasche Rotwein und geht zur Selbstbedienungskasse. Eine integrierte Kamerafunktion der Selbstbedienungskasse prüft das Alter per Gesichtserkennung. "Das System legt eine Sicherheitsgrenze fest", sagt Witt, "ist die KI unsicher, muss ein Mitarbeiter bestätigen." Er zieht die Flasche über den Scanner. Auf dem Bildschirm erscheint die Aufforderung zur Altersprüfung. Witt richtet sein Gesicht im markierten Rahmen aus, bis der Rand grün leuchtet. Die Altersprüfung ist erfolgreich, der Kauf freigegeben. Auch diese Anwendung sei in Europa erstmals dauerhaft ins Tagesgeschäft integriert.

Kameras erkennen in der Bäckerei, welches Produkt entnommen wird

Digitalisierung im Handel nimmt derzeit stetig zu. Die Vusiongroup mit Sitz in Ettenheim kooperiert mit Edeka Südwest im Bereich intelligenter Regalüberwachung. Eine Kameratechnologie analysiert mithilfe von KI in Echtzeit die Regale und stellt den Mitarbeitern präzise Informationen über deren aktuellen Zustand bereit. "So erkennen Marktmitarbeiter sofort, wo Ware fehlt und können gezielt nachfüllen", erklärt Till Zehnle, Business Development Manager bei Captana, einem Unternehmen der Vusiongroup. In Kombination mit elektronischen Preisschildern, die per Led-Signal direkt am Regal anzeigen, wo Nachschub benötigt wird, wird das Auffüllen zusätzlich beschleunigt. "Das sorgt für stets gut bestückte Regale und vermeidet Leerstände", sagt Zehnle.

Das gibt es im Beckesepp in Waltershofen zwar nicht, aber direkt neben dem Supermarkt geht es in die automatisierte Bäckerei. Witt hält seine EC-Karte an den Schalter, die Tür öffnet sich. "Man nimmt einfach, worauf man Lust hat, und geht wieder raus – der Rest läuft automatisch per künstlicher Intelligenz", erklärt er. Kameras über den Regalen verfolgen jede Bewegung – ohne biometrische Daten zu erfassen – und erkennen dank fester Platzzuordnung, welches Produkt entnommen wird. Gleichzeitig messen Gewichtssensoren in den Ablagen die entnommene Menge. Hat man alles, verlässt man den Bereich, ohne zu scannen oder an einer Kasse ablegen zu müssen: Die Summe wird automatisch berechnet. "Damit das funktioniert, müssen die Backwaren immer am richtigen Platz liegen", sagt Witt. Lege man Croissants in den Korb für Schokobrötchen, könne es zu Fehlbuchungen kommen.

Gewerkschaften und Verbraucherzentralen mahnen jedoch zur Vorsicht

Der Einzelhandel gestaltet sich so flexibler. Es zeige sich, wie der Technologieeinsatz vielfältige Anwendungsbereiche optimiert, sagt Kai Hudetz, Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung Köln. Das sei nicht nur vor Ort der Fall, sondern auch in anderen Bereichen, wie der automatisierten Textgenerierung, Auswertung von Kundenbewertungen oder der Absatzprognose. "Die Vorteile sind zu groß, als dass die Händler darauf verzichten wollten", sagt Hudetz.

Gewerkschaften und Verbraucherzentralen mahnen jedoch zur Vorsicht. Marc Waizmann, Gewerkschaftssekretär bei Verdi für den Fachbereich Handel, weist darauf hin, dass, selbst wenn die Digitalisierung zur Entlastung führe, die Arbeit auch monotoner werden könne. Wichtig sei für ihn, die Meinung der Mitarbeiter zu berücksichtigen. "Das funktioniert am besten über die Mitbestimmung der Betriebsräte", sagt Waizmann.

Heike Silber, Abteilungsleiterin Lebensmittel und Ernährung der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg, verweist auf die nötige Transparenz bei der Datenerfassung: "Kunden müssen wissen, ob und welche Daten über ihr Kaufverhalten gesammelt werden und dem zustimmen." Zudem dürften Menschen ohne Technikaffinität nicht ausgeschlossen werden.

KI-Technik wird von vielen bestaunt

Vor Ort in Waltershofen hat die Neueröffnung derweil viele begeistert. Petra Zimmermann, Ortsvorsteherin der Ortsverwaltung Waltershofen, berichtet, dass die KI-Technik für viele noch ungewohnt, aber für alle irgendwie beeindruckend sei. "Kunden, denen die Bedienung schwerfällt, werden von den Mitarbeitern von Beckesepp vor Ort begleitet", ergänzt Zimmermann. Ihr zufolge sei das ein großer Gewinn zur Erhaltung der Infrastruktur im Waltershofen.

Im Lebensmittelhandel hält moderne Technik zunehmend Einzug, doch noch beobachten die Händler genau, wie sich diese und vergleichbare Projekte entwickeln. "Beratung und Service sind weiterhin Kern unseres Geschäfts. Richtig eingesetzt, kann Technologie den Lebensmitteleinzelhandel ideal unterstützen", sagt Florian Heitzmann, stellvertretender Pressesprecher von Edeka Südwest. Sicher ist: Die Digitalisierung wird den Handel verändern.

Schlagworte: Sebastian Witt, Marc Waizmann, Till Zehnle
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