Lernen ohne Hindernisse

Wenn kleine Stufen zu unüberwindbaren Hindernissen werden – Rollstuhlfahrerin Kira Sproß ist Schülerin des Hebelgymnasium Lörrach.  

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bedeutet Barrierefreiheit. Foto: Dreier (2)/dpa
Wie bei so vielen anderen Schulen führt der Weg ins Hebelgymnasium über Treppen. Für Kira Sproß ein Hindernis, das sie mit ihrem elektrischen Rollstuhl nicht bewältigen kann. Wie barrierefrei ist die Schule? Können sich hier Kinder mit Behinderung problemlos bewegen? Das Hebelgymnasium hat eigens einen ebenen Zugang gebaut. "Von dort kann ich in den Aufzug. Mit dem erreiche ich alles – fast alles", erzählt die 15-Jährige. Der Aufzug, zu dem nur Kira und wenige andere einen Schlüssel haben, fährt bis ins zweite Obergeschoss.

Die Schule hat drei Stockwerke, aber in dem Altbau sei ein weiterer Ausbau nicht möglich gewesen, erklärt Schulleiter Albrecht Schmidt. Allerdings befänden sich oben keine wesentlichen Funktionsräume. "Es kann zwar sein, dass mal Klassenräume verlegt werden müssen, damit ich dort hinkomme", sagt Neuntklässlerin Kira, "das ist mir schon ein bisschen unangenehm. Aber ich finde es toll, was die Schule alles macht." Der Neubau nebenan, das TonArt, ist sogar mit zwei Aufzügen ausgerüstet.

Kleine Umwege sind natürlich immer mal nötig, zum Beispiel, um zum Schul-Kiosk im ersten Stock zu kommen. "Aber das ist nicht schlimm", meint Kira. Und wenn sie mal zum Sekretariat muss, vor dessen Eingang zwei kleine, aber unüberwindbare Stufen das Ankommen verhindern, dann, erzählen ihre Freunde Florian Baumgartner und Marie Keutler, klopft einer von ihnen eben mal schnell an. "Aber eigentlich muss man ihr gar nicht helfen, sie macht alles selbst", stellt Marie klar. Generell sei eine Behinderung kein Hindernis, das Hebelgymnasium zu besuchen, sagt Rektor Schmidt. Seh- und hörbehinderte Kinder werden ebenso aufgenommen. Gerade wegen des sozialen Lernens sei Inklusion für Schüler wichtig, meint Schmidt. Dass Barrierefreiheit und Inklusion derart gut funktionieren wie am Hebelgymnasium, das sei leider immer noch abhängig von den Ermessensspielräumen Einzelner, sagt Kiras Vater, Joachim Sproß. Ein Zustand, der so eigentlich nicht sein dürfe.

Bei Schulleiter Schmidt und dessen Vorgänger Peter Kunze habe man Glück gehabt, dass diese offen und hilfsbereit waren: Sei’s mit dem Aufzug oder der Zusammenlegung zweier kleinen Toiletten zu einer größeren, besser zugänglichen. "Aber das betrifft ja nicht nur mich und mein Kind", sagt Sproß, "es ist eine Notwendigkeit in der Gesellschaft, dass Mittel zur Inklusion im System verankert werden." Kiras Muskeln sind wegen einer Bindegewebeschwäche nicht kräftig genug, dass sie sich hinstellen kann. Trotzdem macht sie alles mit, genauso wie ihre Mitschüler. "Nur den Sportunterricht nicht", sagt die Neuntklässlerin und lacht. Aber das ist keine Selbstverständlichkeit. Das weiß auch Kira. Einerseits. Andererseits, und da stockt sie kurz, komme es auf die Sichtweise an: "Es sollte ja eigentlich schon selbstverständlich sein." Da das aber immer noch nicht der Fall ist, war das Hebelgymnasium, neben der FES, die einzige Schule, die für sie in Frage kam. "Deshalb musste ich zwar Latein nehmen. Ich hatte ja keine Wahl." Aber schlimm sei das nicht. "Ich mochte nicht auf eine Schule nur mit Rollstuhlkindern", sagt die 15-Jährige, "ich bin lieber hier." Die Grundschule in Steinen hat ihr damals eine Rampe gebaut.

Kira ist die einzige in ihrer Familie mit dieser Krankheit. Diese hindert sie aber nicht daran, wie andere Kinder auch im Chor zu singen, Theater zu spielen. "Und Freunde zu treffen. Ganz normal halt!" Kira will Psychologin werden. "Wenn ich diesen Numerus Clausus von 0,9 in Freiburg schaffe", sagt sie und grinst. Normal, das Wort benutzt Kira einige Male, und das ist es auch, für sie, ihre Eltern, Klassenkameraden und Lehrer. Zur Schule selbst hat Kira es nicht weit, zwei Minuten wohnt sie entfernt. Ganz allein ist sie aber nicht unterwegs, zwei Betreuungsassistenten unterstützen sie abwechselnd.

Um kleine Barrieren im Alltag zu überwinden, erklärt ihr Vater, beim Bücher rausholen oder beim Hände waschen, falls sie nicht gut ans Waschbecken kommt. Finanziert werden die Betreuungspersonen über die Integrationshilfe des Landkreises.

Im Klassenzimmer selbst sitzt Kira außen, damit sie leichter zur Tür kommt. Der Rollstuhl passt gut unter den Tisch, nur bei Physik, da sei es zu eng: "Da muss ich seitlich sitzen." Auf dem Weg zu ihrem Klassenzimmer ist dann plötzlich die große rote Brandschutztür zu. "Das passiert eigentlich selten", meint Kira. Aber in diesem Fall kann sie diese nicht alleine öffnen. "Normalerweise gibt es aber immer Leute, die mir helfen." Kiras Vater meint: "Nicht alle Schulen können alles komplett barrierefrei machen. Für alle Türen nun elektrische Öffner zu fordern, wäre Quatsch. Da muss man mal die Kirche im Dorf lassen." Die Hebelschule sei für sie ganz klar ein Glücksfall gewesen.

Barrierefreiheit

Im deutschen Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen heißt es: Barrierefrei sind bauliche Anlagen, wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind. Dieses Verständnis findet sich auch in den Landesbauordnungen der Bundesländer. Typische Merkmale sind Eingangsrampen, Aufzüge sowie großzügig geschnittene und gut beleuchtete Räumlichkeiten. Mit dem Ausdruck "barrierefrei" wird zudem die uneingeschränkte Zugänglichkeit eines Produktes oder einer Dienstleistung, unabhängig von einer möglichen Behinderung oder Erkrankung, beschrieben. Gleichbedeutend stehen der mittlerweile veraltete Ausdruck "behindertengerecht". Das Label "Barrierefreiheit" etablierte sich mit der wachsenden Organisation der Behinderten, die Ende des letzten Jahrhunderts begann. Das Prinzip gilt auch für ältere Menschen und Personen mit Kleinkindern. So sollen die Bedürfnisse aller Menschen berücksichtigt werden.

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