BZ-Jobmotor
Schwarzwälder IHK-Präsidentin will Berufsschulklassen auch in kleineren Städten
Birgit Hakenjos ist Präsidentin der Industrie- und Handelskammer Schwarzwald-Baar-Heuberg. Sie fordert eine standortnahe Ausbildung. Ohne sie würde die Lehre an Attraktivität verlieren.
Mo, 26. Feb 2024, 12:23 Uhr
Wirtschaft
Thema: Jobmotor
Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen
Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.
Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.
AkzeptierenMehr Informationen
BZ: Gibt es eine leichte Entspannung auf dem Arbeitsmarkt, da einige Firmen über geringere Auftragsbestände verfügen?
Hakenjos: Im Bereich der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg gehen nach unserer letzten Konjunkturumfrage nur neun Prozent der Mitglieder von einem guten Geschäftsjahr 2024 aus. Dies bereitet mir am meisten Sorgen. Angesichts der konjunkturellen Eintrübung hat sich die Lage am Arbeitsmarkt allerdings auch etwas entspannt. Bei Leiharbeitsfirmen findet man wieder qualifizierte Fachkräfte wie CNC-Dreher. Diese Möglichkeit ergab sich in den vergangenen zwei Jahren fast nie. Auch wir bei Hakos fahren mit angezogener Handbremse. Wird eine Stelle wegen des Beginns des Ruhestands einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters frei, wird sie in der Regel nicht besetzt. Es sei denn, eine Spitzenkraft bewirbt sich. Generell würde ich jedoch davor warnen, die Wirtschaft über einen Kamm zu scheren. Es gibt eine Art Betriebskonjunktur. Einzelne Unternehmen entwickeln sich weiter sehr gut. Entscheidend ist, dass man die Kosten im Griff hat. Und der Arbeitskräftemangel wird weiterhin als eines der Hauptrisiken betrachtet.
BZ: Ist heute die Bereitschaft der Unternehmen geringer, Beschäftigte zu entlassen, als in der Vergangenheit?
Hakenjos: Wer will seine Leute denn heute gehen lassen? Im Aufschwung wird man sie nur schwer zurückholen können. Und dass die Entwicklung irgendwann besser wird, das hofft ja nun jeder. Es fragt sich nur wann.
BZ: Wie kann der Arbeitskräftemangel bekämpft werden?
Hakenjos: Die Erwerbstätigkeit von Frauen muss steigen. Und wir brauchen qualifizierte Einwanderung. Das neue Einwanderungsgesetz bringt Fortschritte, aber wenn geeignete ausländische Bewerber weiter ein Jahr auf ein Visum warten müssen, um einen Job hierzulande antreten zu können, ist das ein Unding. So ist die Bundesrepublik kein attraktiver Arbeitsplatz.
Seit 2002 ist Birgit Hakenjos (59) als Nachfolgerin ihres Vaters Günter Hakenjos Geschäftsführende Gesellschafterin von Hakos. Hakos wurde vor 110 Jahren gegründet und wird seither von der Familie geleitet. Das Unternehmen beschäftigt 65 Menschen. Es stellt hochpräzise Einzelteile, Spritzgießwerkzeug-Komponenten, Normalien und Sondergewindewerkzeuge her. Birgit Hakenjos ist Feinwerkmechanikerin und Industriekauffrau. Die Unternehmerin steht seit 2018 an der Spitze der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg.
BZ: Sind Sie mit der Eingliederung der ukrainischen Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zufrieden?
Hakenjos: Es hat zumindest gut angefangen. Die Notsituation der vor allem weiblichen ukrainischen Flüchtlinge hat schon dazu geführt, dass in den Ämtern bisherige Praktiken überdacht wurden. Generell bin ich aber mit der Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt nicht voll zufrieden. Das System ist noch immer auf Abwehr gepolt. Wer hierzulande arbeitet, seinen Lebensunterhalt selbst verdient, sollte nicht abgeschoben werden. Ich halte auch die Zuzugsvoraussetzungen für zu hoch. Exzellente Deutschkenntnisse sind nicht für jede Tätigkeit in der Bundesrepublik erforderlich.
BZ: Wie möchten Sie mehr Frauen in Arbeit bringen?
Hakenjos: Es ist eine Aufgabe des Staates, die Kinderbetreuungsangebote auszubauen. Zudem muss es für Frauen über steuerliche Anreize finanziell attraktiver werden, eine Arbeit aufzunehmen.
BZ: Was muss ein Unternehmen bieten, um gute Leute an sich zu binden?
Hakenjos: Monetäre Aspekte spielen sicherlich eine Rolle, aber auch Fitnessangebote und das Bikeleasing. Bei Hakos gibt es beispielsweise auch einen Notfallzuschuss. Gerät eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter in große Not, greifen wir den Betroffenen unter die Arme. Außerdem schaffen wir eine angenehme Atmosphäre. Statt Betongrau weißer Boden, modernste Luftreinigungssysteme und grüne Pflanzen in der Fertigung.
BZ: Was gibt den Ausschlag für die Wahl des Arbeitgebers?
Hakenjos: Das lässt sich nicht klar sagen. Bikeleasing, Fitnessangebote, Betriebsausflug oder zum Beispiel ein Geburtstagsessen werden aber als selbstverständlich erachtet. Das ist die Grundversorgung, die vom Unternehmen erwartet wird.
BZ: Ist die Tarifbindung ein Kriterium?
Hakenjos: Die Entlohnung muss an den Tarif angelehnt sein, sonst bekommen Sie niemanden.
BZ: Wie ist das mit der Arbeitszeit? Jungen Leuten wird nachgesagt, dass sie sehr viel mehr Wert auf Freizeit legen als ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Und werden Sie vermehrt mit der Forderung nach Homeoffice konfrontiert?
Hakenjos: Ich wehre mich dagegen zu verallgemeinern. Die große Mehrheit der Azubis und Studierenden ist engagiert, neugierig und bereit, Leistung an den Tag zu legen und hart zu arbeiten. Es gibt Ausreißer nach unten, aber das war in der Vergangenheit auch schon der Fall. Homeoffice wird bei uns selten nachgefragt, was aber auch damit zusammenhängt, dass Hakos ein Betrieb mit einem hohen Produktionsanteil ist. In der Fertigung ist Homeoffice kaum möglich. In anderen Unternehmen, die anders strukturiert sind, mag das Interesse an Homeoffice größer sein.
"Die große Mehrheit der Azubis und Studierenden ist engagiert, neugierig und bereit, Leistung an den Tag zu legen und hart zu arbeiten." Birgit Hakenjos
BZ: Die duale Ausbildung mit praktischem Lernen im Betrieb und der Vermittlung von theoretischem Wissen in der Berufsschule gilt als Stärke der deutschen Wirtschaft. Was tut die IHK, um diese Ausbildung attraktiv zu halten?
Hakenjos: In Zeiten des demografischen Wandels, in denen die Bewerberzahlen zurückgehen, ist die standortnahe Ausbildung unverzichtbar. Damit meine ich, dass Berufsschulklassen nicht nur in den Zentren angesiedelt sein sollten, sondern auch weiterhin in kleineren Städten wie zum Beispiel Furtwangen, wo es schwerer fällt, ausreichend große Gruppen zu bilden. Entsprechend sollten die Schulentwicklungspläne gestaltet sein. Die duale Ausbildung muss auch im ländlichen Raum sichtbar bleiben, sonst verliert sie ihre Anziehungskraft. Dafür setzen wir uns ein, stoßen damit aber auch auf Widerstand. Ein weiteres Beispiel für unsere Arbeit: Im Rahmen unseres Ausbildungsbotschafter-Programms gehen Azubis in die allgemeinbildenden Schulen, um von ihren Erfahrungen zu erzählen und zu erklären, was unter dualer Ausbildung zu verstehen ist. Wir wenden uns an die Eltern, weil diese für die Ausbildungsentscheidung wichtig sind. Und wir gehen auf die Studienabbrecher zu, um sie für die duale Ausbildung zu gewinnen. Die Arbeit trägt Früchte. Die duale Ausbildung ist wieder attraktiver geworden, wie Daten belegen.
BZ: Wenige Frauen streben eine Ausbildung in einem Technikberuf an. Was sind die Ursachen?
Hakenjos: Ich kann Ihnen keine verlässliche Erklärung geben. Mädchen sind besser in Mathematik als ihre männlichen Altersgenossen und sie verfügen über hervorragende Problemlösungsfähigkeiten – also beste Voraussetzungen für einen Technikberuf. Deshalb ist es umso bedauerlicher, dass so wenige junge Frauen diesen Weg einschlagen, zumal die Entlohnung sehr gut ist. Trotzdem: Es tut sich was. Ich sehe mittlerweile gerade in der Industrie mehr Frauen in Führungspositionen.
BZ: Werden Frauen in der Produktion noch immer herablassend behandelt?
Hakenjos: Es gibt immer noch solche Fälle. Aber seit der Zeit, als ich meine Lehre zur Feinwerkmechanikerin absolvierte, hat sich einiges zum Besseren gewendet.
"Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass diese Region mit ihren vielen einfallsreichen Mittelständlern den Strukturwandel bewältigen wird." Birgit Hakenjos
BZ: Die Region Schwarzwald-Baar-Heuberg hängt stark an der Automobilindustrie. Zulieferer und Hersteller befinden sich mitten im Transformationsprozess hin zu neuen Antriebsarten. Steht die Region vor einer Krise wie in den Zeiten, als die Uhren-, die Radio- und die Fernsehindustrie aus der Region verschwand?
Hakenjos: Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass diese Region mit ihren vielen einfallsreichen Mittelständlern den Strukturwandel bewältigen wird. Dafür müssen die Belegschaften weiterqualifiziert werden. Das Wissen muss in der Breite wachsen. Im Austausch zwischen Beschäftigten, Arbeitgebern und Forschern entstehen dann Ideen für neue Prozesse und neue Produkte, welche die Basis für wirtschaftlichen Wohlstand sind. Betrachten Sie die Transformationsgeschichte von Hakos: Wir haben früher einmal Büchsenöffner hergestellt, heute fertigen wir unter anderem Spritzgießwerkzeugkomponenten in kleinen Stückzahlen im Genauigkeitsbereich von drei Mikrometer (µ). Ein Mikrometer entspricht einem tausendstel Millimeter.
BZ: Was muss der Staat tun, damit diese Struktur mit Weltmarktführern in Schwarzwaldtälern erhalten bleibt?
Hakenjos: Er muss seine klassischen Aufgaben erfüllen. So muss die Infrastruktur stimmen. Egal ob Schiene, Straße oder Energieversorgung, es gibt Nachholbedarf an vielen Stellen.
BZ: Droht der ländliche Raum wie die Region Schwarzwald-Baar-Heuberg abgehängt zu werden, weil viele junge Leute lieber in Städte wie Freiburg ziehen ?
Hakenjos: Nein, die Region ist attraktiv. Wir haben eine international starke Industrie, sind gleichzeitig Tourismusregion, verfügen über genügend Platz, man verdient ordentlich und zahlt trotzdem günstigere Mieten als in den Ballungszentren. Mag sein, dass in jungen Jahren die Großstadt lockt. Wer aber Kinder hat, für den ist der Garten rund ums bezahlbare Eigenheim wichtiger. Auch in diesem Zusammenhang ist der Staat gefordert. Er muss für gute Schulen und eine hervorragende ärztliche Versorgung sorgen.
Die Siegerehrung findet am Dienstag, 4. Juni, in der Meckelhalle der Sparkasse Freiburg-Nördlicher Breisgau statt. Über die Vergabe entscheidet eine Jury bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern der Badischen Zeitung, der Handwerkskammer Freiburg, der IHK Südlicher Oberrhein, der IHK Hochrhein-Bodensee, der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg und des WVIB. Die Preisträger erhalten ein Porträt in der BZ und einen Imagefilm. Gewinner des vergangenen Jahres sind von der Teilnahme ausgeschlossen. Auch Unternehmen, die weniger als drei Jahre alt sind, werden nicht berücksichtigt. Bewerbungen sind bis zum 29. Februar möglich. Weitere Informationen zum Wettbewerb und das Anmeldeformular finden Sie unter
https://mehr.bz/jobmotoranmeldung2024
Warum sich eine Teilnahme am Jobmotor lohnt, erklären Vertreterinnen und Vertreter der südbadischen Wirtschaft in einem Video unter https://mehr.bz/jobmotorvideo2024
Alle Sieger finden Sie unter
http://www.badische-zeitung.de/jobmotor
- BZ-Jobmotor 2024:In vielen Branchen in Südbaden wird Personal verzweifelt gesucht
Kommentare
Liebe Leserinnen und Leser,
leider können Artikel, die älter als sechs Monate sind, nicht mehr kommentiert werden.
Die Kommentarfunktion dieses Artikels ist geschlossen.
Viele Grüße von Ihrer BZ