Interview
Junge Theologin aus Lahr: "Kirche bleibt wichtig, wenn sie sich ehrlich fragt, wer sie heute sein will"
Jule Becker aus Lahr hat im Mai ihr Examen als evangelische Theologin absolviert. Warum sie diesen Weg eingeschlagen hat und was nun folgt, erzählt sie im Interview mit dem Dekanat.
Karin Kindle (Dekanat)
Fr, 27. Jun 2025, 14:30 Uhr
Lahr
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BZ: Ihr Lebenslauf liest sich so interessant wie ein Reisebericht einer Forscherin, die sucht und findet. Wie begann Ihre Suche beziehungsweise wohin führte sie nach dem Schulabschluss?
Ich hatte zwei Optionen: entweder das Medizinstudium oder die Theologie. Mich interessiert der Mensch und wie man ihn unterstützen, ihm helfen kann. Das war mein Fokus. Schließlich bekam der seelsorgerliche Aspekt mehr Gewicht und so fiel die Entscheidung auf das Studium der Theologie. Und das fern der Heimat. Während meines Freiwilligen Sozialem Jahr in Peru war ich in Bolivien in der Salzwüste Salar de Uyuni, bei der faszinierenden Kakteeninsel Incahuasi. Dort sagte mein Inneres: Theologie – das ist es! Außerdem haben mich Glaubens- und Lebensfragen schon immer fasziniert, ebenso wie alte Sprachen.
BZ: Ihr Vater ist Dekan im evangelischen Kirchenbezirk Ortenau. Welche Rolle spielte er bei Ihrer Entscheidung?
Natürlich beeinflusst das Elternhaus, aber es war nicht entscheidend für mich. Und selbstverständlich gibt es heute am Küchentisch theologische Gespräche und Diskurse. Die Kirche steht vor großen Veränderungen. Neue Mitgliedsschaftsuntersuchungen können verunsichern, doch aus Krisen entstehen auch Chancen. Glaube war nie nur da, wo alles stabil war. Im babylonischen Exil, einer der tiefsten Krisen biblischer Geschichte, ist die Frage "Wo ist Gott?" nie verstummt. Sie wurde zum Ausgangspunkt für etwas Neues. Ich glaube: Kirche bleibt wichtig – wenn sie den Mut hat, sich ehrlich zu fragen, wer sie heute sein will.
BZ: War Südamerika ein Traumziel für Sie?
Nein, ursprünglich wollte ich das FSJ in einem englischsprachigen Land machen, Peru war eher ein Zufall. Danach begann ich mein Studium an der Augustana-Hochschule in Neuendettelsau, eher untypisch, denn der klassische Theologiestudent schreibt sich in Heidelberg ein. Als Dorfkind, aufgewachsen in Wertheim, dann in Schmieheim, sprach mich das familiäre Umfeld an. Und man konnte hier in Ruhe studieren. Leider fielen die noch zu absolvierenden Semester in Heidelberg und Tübingen genau in die Coronazeit, weshalb ich den Unialltag dort nicht kennenlernte.
BZ: Im April 2022 führte Sie Ihr Weg nach Costa Rica.
Mein Auslandsstudium konnte ich ebenfalls mit Onlineseminaren gestalten, allerdings ziemlich anspruchsvoll, da die Einheiten ausschließlich auf Spanisch angeboten wurden. Im April 2023 ergab sich die Gelegenheit, die Bürgerreise der Stadt Lahr in der Partnerstadt Alajuela zu begleiten. Zu jener Zeit war ich nebenbei ehrenamtlich als Deutschlehrerin am Liceo de Poás, der Partnerschule des Max-Planck-Gymnasiums, tätig. Bei meinem ersten Aufenthalt spürte ich bereits das Wesentliche, was die Menschen in diesen Ländern benötigen. Deshalb habe ich Umweltprojekte mitbetreut und die Freiwilligenhilfe vor Ort unterstützt.

BZ: Ihr Studienschwerpunkt war das Thema biblische Archäologie. Was versteht man darunter?
Im Allgemeinen die archäologische Erforschung von Israel und Palästina. Ich habe an der Ausgrabung der antiken Stadt Kinneret am See Genezareth mitgewirkt, die vermutlich im 8. Jahrhundert vor Christus verlassen oder zerstört wurde. Freigelegt wurden dabei die Reste von zwei Wohnhäusern. Der Schwerpunkt der Ausgrabung lag auf der Analyse von Samen, Knochen und Keramik zur Erforschung von Alltag, Ernährung und Umweltbedingungen zur Zeit des Alten Testaments.
BZ: Wohin führt Sie Ihr Weg nach dem Studium? Werden Sie die klassische Gemeindepfarrerin?
(Lacht) Nein, noch nicht. Ich werde für sechs Monate nach Costa Rica und Peru reisen, um dort Projekte auf den Weg zu bringen, die bereits im Prozess sind. Ich habe inzwischen eine peruanische und deutsche Familie, die peruanische bezeichnet mich als ihre peruanische Tochter. Meine Familie hier und die in Peru sind eng zusammengewachsen. Und ich bin überall zuhause, in Deutschland genauso wie in Costa Rica oder Peru. Wenn ich zurückkomme, beginne ich mein Vikariat, das mich nach zwei Jahren für den Pfarrerinnenberuf qualifiziert.
BZ: Ist es eine Option, hauptamtlich als Pfarrerin in Peru oder Costa Rica zu arbeiten?
Eher nicht. Ich freue mich auf die Arbeit in einer Kirchengemeinde hier, bei den Menschen sein zu können, Impulse zu setzen, Kinder- und Jugendarbeit zu fördern und Gemeindeglieder bei den Übergängen im Leben zu begleiten. Außerdem bietet Deutschland Vorteile, abgesehen vom Lebensstandard. Ein deutsches Gehalt ermöglicht meinen Patenkindern in Peru eine gute Schulbildung, und ich kann das gemeinsame Projekt mit meiner Gastfamilie finanziell unterstützen. Es wird ein Hilfszentrum für Familien in prekären Situationen entstehen, sodass die Kinder in gestärkten Familien aufwachsen dürfen und nicht in Kinderheimen.
Jule Becker, Jahrgang 1997, hat 2016 Abitur an der Heimschule Ettenheim gemacht. Es folgte ein FSJ in Peru und das Theologie-Studium in Neuendettelsau mit Examen 2025. Auslandsaufenthalte 2022/23 in Costa Rica, Peru, Bolivien und Israel. Ehrenamtliche Tätigkeiten: Mitarbeit in der Europa-Park-Kirche, Jugendarbeit in Lahr, Begleitung einer Demenzgruppe.