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Kaiserstuhl

Rehkitz lebt unter Jagdhunden – und darf nicht zu Jauch

Martina Philipp
  • Mi, 02. November 2011, 14:56 Uhr
    Neues für Kinder

Die ungewöhnliche Tier-Freundschaft am Kaiserstuhl hat Bestand: Das Rehkitz Bambi lebt seit fünf Monaten mit drei Hunden zusammen. Unter einem Dach – dem der Familie Flubacher. Wir haben sie besucht.

Durchsetzungsstark: Bambi frisst, Aiko (links)  schaut sehnsüchtig zu.   | Foto: kaiser
Durchsetzungsstark: Bambi frisst, Aiko (links) schaut sehnsüchtig zu. Foto: kaiser
Auch Menschen vergessen ja manchmal, wer sie sind. Im Straßenverkehr oder bei der Hygieneverordnung im Eigenheim etwa, wo sie sich in Rindviecher und Ferkel verwandeln. Warum also soll nicht auch mal ein Reh identitätsmäßig etwas die Orientierung verlieren? Ist ja auch nur ein Reh. Erika Flubacher steht jedenfalls in ihrer Küche und verfüttert Äpfel- und Karottenstückchen an ihre vier Vierbeiner. Einer ist ganz vorne dabei. Drängt die Konkurrenzschnauzen dezent beiseite und stupst die Hand der Ihringerin an, die einmal kurz innehält, lacht und sagt: "Ich glaub, das Reh denkt, es sei ein Hund."

"Ich glaub, das Reh denkt, es sei ein Hund." Erika Flubacher
Fünf Monate ist es jetzt her, dass ein wenige Tage altes, fast lebloses Fellknäuel bei Erika Flubacher auf dem Küchentisch landete und sie es alle zwei Stunden mit in einer Spritze aufgezogener Ferkelmilch zwangsernährte. Eine Frau aus dem Dorf hatte das Tier vorbeigebracht, nachdem es Leute offenbar im Wald gefunden, mit einem Kuscheltier verwechselt und wieder ausgesetzt hatten – und es daraufhin von der Rehmutter nicht mehr angenommen worden war. "Mensch, Emmi, weißt Du nicht mehr, wie das ging?", fragte Erika Flubacher einen ihrer Hunde, als sie vorsichtig versuchte, den Bauch des Rehkitzes zu massieren, um dessen sensible Verdauung anzuregen.

Emmi, von Natur aus Jagdhund der Rasse "Deutsch Langhaar", vor einem Jahr selbst Mutter geworden, stupste Frauchens Hand vorsichtig weg und begann, Bambis Bauch abzuschlecken. Emmi versteht es ganz offensichtlich, zwischen Beruflichem (Jagd ist Jagd) und Privatem (Familie ist Familie) zu trennen. Bambi dankt.

Das Multikulti-Phänomen gibt es auch in freier Wildbahn

Erika Flubacher erzählt, dass sie mit Emmi, die gerade bedauerlicherweise an einer Hühnerallergie leidet, schon mal eine Stockente großzog. "Die kleine Ente saß eine Zeit lang immer mit im Körbchen." Auch Emmis tollpatschiger Sohn Aiko schaut geduldig zu, wenn Bambi als Erstes Apfelstücke bekommt, und der kleine Jagdterrier Ronja (Erika Flubacher: "Bei Fuchsjagden erkenn ich sie nicht wieder") hüpft schwanzwedelnd drum herum.

Georg Ade kann man mit der tierischen Multikulti-Kultur bei den Flubachers nicht überraschen. Der Hartheimer Jäger, Mitglied in der Freiburger Jägervereinigung, kennt das Phänomen aus der freien Natur: "Wenn Dachs und Fuchs sich einen Bau teilen, machen die sich in der Zeit auch nichts." Tiere auf engem Raum akzeptierten einander – in einer Art Burgfrieden. Bei den Flubachers herrschten sowieso klare Regeln: "Erika Flubacher ist der Häuptling, die Rudelführerin." Da sie Bambi als Rudelmitglied akzeptierte, schlossen sich Emmi, Aiko und Ronja offenbar vorbehaltlos an.

Bambi ist ein Medienstar

Die Großmut der drei Jagdhunde geht im öffentlichen Interesse ein bisschen unter. Bambi ist allgemeinhin der Star. Die regionalen Medien haben alle schon berichtet (vereinzelt gab’s einen hart geführten Konkurrenzkampf um den Termin), selbst Günther Jauch hat angefragt. Das Reh sollte zum Jahresrückblick 2011 nach Köln anreisen. "Das habe ich aber abgelehnt, das wäre ja ein großer Stress für Bambi, es ist immer noch ein Wildtier", so die 46-Jährige.

Wild durch die Wälder streifen, das wird für Bambi aber nicht mehr möglich sein. Zu sehr ist es an freundliche Menschen und tolerante Jagdhunde gewöhnt. Die Flubachers, die in Ihringen einen Hofladen betreiben, Hühner und Hasen halten, haben für ihr Hausreh ein Nachbargrundstück dazugemietet. Dort wachsen rehgerechte Kräuter und Sträucher. Ohne menschliche Aufsicht darf Bambi nämlich nicht ins Haus. Die sauber abgeästen Topfpflanzen auf der Fensterbank sprechen für sich. Bambis Schlafplatz ist unter einer Hecke im Garten, "doch wehe", so Erika Flubacher, "ich tauche morgens in der Küche auf, dann gibt’s vor der Tür gleich Randale."

Flubachers sind jetzt eine Rehfamilie – zumindest für Bambi

Dass das kleine Rehkitz vor fünf Monaten kurz nach seiner Geburt allein im Wald lag, ist laut Jäger Georg Ade nichts Ungewöhnliches. Die Natur hat es so eingerichtet, dass die Kitze fast keine Witterung abgeben. Selbst exzellente Hundespürnasen entdecken sie nur, wenn sie zufällig darüber stolpern. Die Rehmutter, im Fachjargon Ricke, kann also einigermaßen unbesorgt auf Nahrungssuche gehen. Dabei entfernt sie sich laut Ade bis zu einem Kilometer von ihrem Kleinen und kann durchaus stundenlang unterwegs sein, bis sie zurückkehrt oder das Kitz ruft. Das Mutter-Kind-Duo schließt sich erst im Winter – wenn die Blätter gefallen sind, der Wald also lichter wird – zum besseren Schutz einer größeren Gruppe an.

Bambis größere Gruppe sind jetzt die Flubachers, bei denen es alt, grau und unverfroren werden darf. Am Morgen noch standen drei Rosen auf dem Küchentisch der vierköpfigen Familie. Am Mittag mampft Bambi mit sichtlicher Wonne die dritte auf.

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