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Wild ist der Westen, schwer ist der Beruf

Martin Halter
  • Fr, 08. April 2016
    Ausstellungen

"Cowboy & Indianer – Made in Germany": Eine Ausstellung in Karlsruhe erzählt die Geschichte der deutschen Wildwest-Faszination.

"Wunsch, Indianer zu werden", notierte Kafka 1913, und er stand damit nicht allein. Um 1900 grassierte in ganz Europa, vor allem aber in Deutschland, eine bis dahin ungekannte Begeisterung für die vom Aussterben bedrohten "Rothäute". Der Erfolg von Karl Mays Romanen war nur ein Symptom. Fast ebenso wichtig für die Herausbildung einer deutschen Wildwest-Kultur war die Show von Buffalo Bill, die im April 1891 auch in Karlsruhe gastierte. Trotz horrender Eintrittspreise kamen Hunderttausende, um die Kreuzung aus Zirkus, ethnologischer Völkerschau und Wildwest-Festspielen zu sehen. Echte Indianerhäuptlinge wie Sitting Bull, die taffe Kunstschützin Annie Oakley und Buffalo Bill selbst, als ehemaliger Postreiter, Bisonjäger und Cowboy schon zu Lebzeiten eine Legende: Das gab es bis dahin nur in Romanen, aber bald auch als Brettspiel, Sammelbildchen und Elastolin-Figur. 1919 wurde bei Heidelberg der erste deutsche Western gedreht ("Arizona Bull") und in Freiburg der erste badische Wildwestclub gegründet.

Westernmode aus Marlene Dietrichs Kleiderschrank

Buffalo Bills Gastspiel in Karlsruhe steht am Anfang von "Cowboy & Indianer – Made in Germany". Die erste Familienausstellung des Badischen Landesmuseums zeichnet auf 900 Quadratmetern im Karlsruher Schloss die Geschichte der deutschen Wildwestfaszination vom Ende des 19. Jahrhunderts bis heute nach. Unter den gut zweihundert Exponaten finden sich weder Original-Friedenspfeifen noch funktionsfähige Revolver, wohl aber: Werbeplakate, Fotoalben, Comics, Spielzeugfiguren und Fasnachtskostüme, die bestickte Fransenjacke von Pierre Brice und Westernmode aus Marlene Dietrichs privatem Kleiderschrank.

Es geht hier offensichtlich weniger um historische und ethnologische Fakten als um die Rezeptionsgeschichte eines Mythos, um die Klischees und Bilder im Kopf. Schon Buffalo Bill zeigte ja nicht etwa authentische Indianer und Westmänner in seiner Show, sondern das, was das Publikum sehen wollte: bunte Kostüme, Pulverdampf, Lassokunststückchen, Kriegstrommeln, Zugüberfälle. Den professionellen Darstellern war es nur recht. Das so genannte "Wildwesting", die Indianer-Pantomime für Film, Tourismus und Rodeoshows ist bis heute ein begehrter Job unter verarmten Ureinwohnern. "Wild ist der Westen und schwer ist der Beruf. Uff", sprach schon 1960 "der alte Häuptling der Indianer" alias Gus Backus.

Kein Zweifel, die Sonderausstellung "Cowboy & Indianer – Made in Germany" kümmert sich allenfalls beiläufig um die Diskrepanz zwischen Mythos und Realität. Im Wesentlichen geht es um anderes: Westmänner und Rothäute als Spielfiguren und Projektionsflächen deutscher Sehnsüchte. Im Kaiserreich waren die Roten die "edlen Wilden", edler jedenfalls als die Buschmänner und "Neger" der Kolonien; ihre fast deutschen Tugenden – Disziplin, Tapferkeit, Stolz – machten sie sogar zu Pfadfindern der Pfadfinder-und Wandervogel-Bewegung. Im Dritten Reich waren die Indianer so flink, zäh und hart, wie die Hitlerjugend sein sollte. Karl May war übrigens nicht, wie immer wieder kolportiert wird, verboten; so wurden etwa 1938 in Rathen mit großem Erfolg die ersten deutschen Karl-May-Festspiele etabliert. In der DDR trugen die Indianer dann die Kriegsfarben des Antiimperialismus, in der BRD bald nur noch die Gesichtszüge des Kino-Winnetou.

Ein Schwerpunkt der Ausstellung ist die Wildwest-Kultur der Nachkriegszeit: Spielzeugrevolver, Playmobilfiguren, Filme und Fernsehserien wie "Bonanza", Countrymusik von Dean Read bis BossHoss erinnern an die Zeit, als man beim Karneval oder Spielen praktisch nur zwischen Cowboy und Indianer wählen konnte. Die Westernvereine mögen heute Nachwuchsprobleme haben, aber die Indianer stehen noch immer in hohem Ansehen, seit den Achtziger Jahren auch vermehrt als Hüter spiritueller Weisheit und Lieblingskinder von Mutter Erde.

Steckbriefe erstellen, Spuren lesen

Die Ausstellung feiert das Indianerspielen und ist in mancher Hinsicht selbst eins. Der Zugang zum Thema wird nicht mit Vitrinen verstellt und mit Legenden zugetextet, sondern mit Alltagsobjekten und Spielflächen auch für ein jüngeres Publikum geöffnet, und dieser spielerische – wenn man so will: unkritische – Zugang macht auch ihren Charme aus. Die älteren Besucher können ihre Erinnerungen an historischem Nippes, an kerndeutschen Westmännern wie Billy Jenkins und Schlagern wie "Schnucki, wir fahren nach Kentucky" oder Wencke Myhres "Ich will ’nen Cowboy als Mann" auffrischen. Und die Kinder dürfen spielen, soweit das im Museum eben geht: Auf Plüschmustangs reiten, in Pappmaché-Höhlen herum klettern, im Saloon auf Flaschen werfen, im Sheriffbüro Steckbriefe erstellen. Zum Rahmenprogramm gehören Indianerkräutersuppe kochen, Federschmuck basteln, Spuren lesen, Übernachtungen im selbstgebauten Wigwam, für Erwachsene auch: Vorträge, Büffel-Büffets und Whiskyverkostungen. Das Badische Landesmuseum tut allerhand, um Alt und Jung, wissenschaftliche Ansprüche und museumspädagogische Angebote unter einen Cowboyhut zu bekommen, aber im Zweifel kommen Spiel und Spaß vor der Dekonstruktion von Mythen.

Badisches Landesmuseum, bis 3. 10., Di bis Do 10-17 Uhr, Fr bis So 10-18 Uhr.

Ressort: Ausstellungen

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 08. April 2016: PDF-Version herunterladen

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