Account/Login

Hundertfüßer

Schreckenstier Spinnenläufer siedelt sich in Südbaden an

Hans Jürgen Kugler
  • Sa, 18. März 2017, 00:01 Uhr
    Bildung & Wissen

Flink auf dreißig Beinen: Für viele ist der vermutlich aus dem Mittelmeerraum zugewanderte Spinnenläufer ein Alptraum. Die schnellen Tiere sind in Südbaden keine Seltenheit mehr.

Der Spinnenläufer besitzt kräftige Giftklauen  | Foto: Kevin Collins wikipedia
Der Spinnenläufer besitzt kräftige Giftklauen Foto: Kevin Collins wikipedia
Ein solches Wesen möchte man nicht als Mitbewohner haben: lange und vor allem viele – viel zu viele – Beine, riesige Giftklauen, Panzerplatten auf dem Rücken, enorm lange, vielgliedrige Fühler oder Antennen. Was sich anhört wie die neueste Schöpfung aus Hollywoods Special-Effects-Schmiede für den nächsten "Alien"-Film, ist ein putzmunteres Kerlchen und gehört dem an unheimlichen Kreaturen nicht gerade armen Reich der Hundertfüßer an: der Spinnenläufer (Scutigera coleoptrata). Das Tier sieht aus wie eine alptraumhafte Kreuzung aus Tausendfüßer und Kellerassel.

Für Andreas Etzold aus Windenreute bei Emmendingen sind die lichtscheuen Geschöpfe allerdings nichts Besonderes. "Diese Tiere haben wir schon lange bei uns. Wir haben unser Haus auf einem alten Holzhaus aufgebaut und die Spinnenläufer sozusagen von den Vorbesitzern übernommen." Etzold ist Geologe und scheint keinerlei Berührungsängste zu den nicht gerade niedlichen Mitbewohnern zu haben. "Als ich ihn das erste Mal an der Wand entdeckt habe, wusste ich zunächst nicht genau, was für eine Kreatur das ist. Genauer beobachten konnte ich das Tier auch nicht, denn sobald man sich nähert, verschwindet es blitzartig."

Schnelligkeit ist eine hervorragende Eigenschaft des Spinnenläufers

In der Tat, Schnelligkeit ist eine hervorragende Eigenschaft des Spinnenläufers. Auf seinen stelzenartigen Beinen schafft er einen halben Meter binnen einer Sekunde (das sind umgerechnet 1,8 Kilometer pro Stunde), und das bei einer Schrittlänge von nur 33 Millimetern. Auf die Größe eines Menschen übertragen hieße das: Rennen mit Tempo 40. Da muss man die Qualitäten eines Weltmeisters auf der Kurzstrecke wie Usain Bolt besitzen, um diese Geschwindigkeit zumindest kurzzeitig zu halten.

Wir benötigen Ihre Zustimmung um YouTube Video anzuzeigen

Unter Umständen sammelt YouTube Video personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.

Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.

Akzeptieren
Mehr Informationen


Etzold wandte sich mit seiner Entdeckung an das Zoologische Institut der Universität Freiburg. Die Experten dort konnten das Tier als einen Spinnenläufer identifizieren. "Sie sagten, dass ich mich glücklich schätzen könne, dieses Tierchen als Mitbewohner zu haben. Denn so weit nördlich sei bisher noch keines gesichtet worden", wurde ihm damals mitgeteilt. Inzwischen sind Spinnenläufer in Südbaden jedoch keine Seltenheit mehr. Auf der Hochburg in Windenreute ist das Vorkommen dieses zu den Hundertfüßern zählenden Tieres schon länger bekannt. In den vergangenen Jahren wurden Spinnenläufer auch aus der Ortenau und vom Bodensee gemeldet.

Zu Hause sind die Spinnenläufer eigentlich im Mittelmeerraum. Seit den 70er-Jahren ist aber bekannt, dass sie sich auch in der Region um Emmendingen aufhalten, wie Claudia Gack vom Zoologischen Institut der Universität Freiburg bestätigen kann, die den mediterranen Krabbler schon seit ihrem Studium kennt. Möglicherweise im Zusammenhang mit der globalen Erderwärmung haben es diese wärmeliebenden Gliederfüßer über die Alpen auch bis in unsere Breiten geschafft.

"Es ist sicher richtig, dass mediterrane Pflanzen und Tiere über die Burgundische Pforte zu uns einwandern können. Außerdem könnte die Art auch vom Menschen hierher verschleppt worden sein. Die Frage ist aber, ob er überhaupt rezent, also erst kürzlich, zu uns gekommen ist oder ob es ihn schon seit langer Zeit hier gegeben hat", sagt Claudia Gack.

Der nachtaktive Jäger fühlt sich in feuchten Kellerräumen wohl

Im Freiland konnte sich der Spinnenläufer ganzjährig bislang wohl nur im Kaiserstuhlgebiet und dessen Randregionen etablieren. In anderen Gegenden Südwestdeutschlands ist er zumeist nur in Gebäuden anzutreffen. Hier fühlt sich der nachtaktive Jäger in feuchten Kellerräumen am wohlsten. In den oberen Stockwerken findet man ihn gelegentlich auch hinter Bildern oder in irgendwelchen Spalten oder Nischen.

"Wir haben uns längst an diese Tiere gewöhnt", sagt Andreas Etzold. Ganz im Gegensatz zu seinen Hausgästen und Mietern, die seien da doch etwas eigen, wie Etzold augenzwinkernd hinzufügt. "Besonders die asiatischen Studenten geraten regelrecht in Panik, wenn sie einen Spinnenläufer an der Wand entdecken", berichtet er. "Ich versuche dann, den lästigen Mitbewohner einzufangen, und erkläre unseren Gästen, dass diese Tiere vollkommen harmlos sind."

Das stimmt so nur bedingt. Für den Menschen besteht zwar keine große Gefahr, allerdings kann der Biss eines Spinnenläufers recht schmerzhaft sein. Von sich aus ist der Spinnenläufer nicht angriffslustig. Aber er weiß sich zu wehren, wenn man ihn einfangen will.

Im Reich der Insekten ist der Spinnenläufer dagegen der absolute Horror. Wenn eine Spinne, eine Kakerlake oder ein anderes Insekt nur in seine Nähe kommt, geht alles ganz schnell. Dank seiner äußerst empfindlichen, nach allen Seiten hin weit ausladenden Fühler registriert der Spinnenläufer jede noch so kleine Regung. Blitzartig schlägt er mit seinen Giftklauen zu und injiziert Gift in die Beute – das sind meist Fliegen. Das Opfer wird gelähmt und das Innere durch das injizierte Sekret vorverdaut. Dann beißt der Gliederfüßer ein Loch in das Beutetier und saugt den vorverdauten Brei aus. Nur die leere Chitinhülle bleibt zurück.

In seiner Raubgier kennt der Spinnenläufer kein Erbarmen

In seiner Raubgier kennt der Spinnenläufer kein Erbarmen. Noch während er damit beschäftigt ist, genüsslich seine Beute zu verspeisen, kann es durchaus vorkommen, dass er sich mit seinen langen Hinterbeinen bereits bis zu vier weitere Opfer für die nächsten Fressgänge krallt. Fliegen kann der Spinnenläufer zwar nicht, eine Fliege im Tiefflug ist ihm aber leichte Beute. "Er ist ein geschickter Räuber, der Fliegen sogar aus der Luft fangen kann, wenn sie ihm zu nahe kommen", sagt Claudia Gack vom Zoologischen Institut.

Auch bei der Fortpflanzung fackelt der Spinnenläufer nicht lange. Das Männchen kriecht bis zu 60-mal in der Stunde unter das Weibchen, bis es schließlich ein kleines Spermienpaket ablegt. Danach schiebt der Spinnenläufer das Weibchen über das Samenpaket, damit es die Spermien mit der Geschlechtsöffnung aufnehmen kann. Von April bis in den Juli legt das Weibchen bis zu 60 Eier einzeln in Erdspalten.

Die geschlüpften Larven haben zunächst nur vier Beinpaare. Durch mehrere Häutungen kommen sie auf die volle Zahl von 15 Beinpaaren. Falls der Spinnenläufer mal eines seiner Beine verliert, ist das für ihn weiter kein Problem. Denn bei der nächsten Häutung sind die Beinpaare wieder vollzählig. Diese erstaunliche Fähigkeit, sich zu regenerieren, schützt ihn auch vor Fressfeinden: Sollte der Spinnenläufer von einem größeren Tier an einem Bein gepackt werden, wirft er das einfach ab und ergreift die Flucht. Das abgeworfene Bein schlägt, obwohl abgerissen, noch eine Weile wie wild um sich und lenkt damit den Feind von seiner fliehenden Hauptbeute ab.

Bei Familie Etzold hat der Spinnenläufer diesbezüglich nichts zu befürchten. Was ihm und seinesgleichen höchstens passieren kann, ist, dass er für ein Fotoshooting eingefangen und danach selbstverständlich wieder unversehrt in die Freiheit entlassen wird.
Spinnenläufer

Scutigera coleoptrata, wie die lateinische Bezeichnung für den Spinnenläufer oder auch die Spinnenassel lautet, gehört trotz des deutschen Namens nicht zur Klasse der Spinnen (lateinisch Arachnidae), sondern zu der der Hundertfüßer (Chilopoda vom Stamm Gliederfüßer, lateinisch Arthropoda, und zur Überklasse Tausendfüßer, lateinisch Myriapoda). In Baden-Württemberg auftretende Exemplare können bis zu 15 Zentimeter groß werden, in Asien sogar mehr als 30 Zentimeter. Mit seinen 15 Beinpaaren erreicht das Tier eine Geschwindigkeit von 50 Zentimetern pro Sekunde. Die Färbung seines Körpers variiert von Gelb bis Olivgrün mit drei dunklen Streifen auf dem Rücken. Der Spinnenläufer ist vor allem im Mittelmeerraum beheimatet, hat sich aber schon vor Jahrzehnten auch hierzulande ausgebreitet.

Ressort: Bildung & Wissen

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Sa, 18. März 2017: PDF-Version herunterladen

Artikel verlinken

Wenn Sie auf diesen Artikel von badische-zeitung.de verlinken möchten, können Sie einfach und kostenlos folgenden HTML-Code in Ihre Internetseite einbinden:

© 2024 Badische Zeitung. Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Bitte beachten Sie auch folgende Nutzungshinweise, die Datenschutzerklärung und das Impressum.

Kommentare


Weitere Artikel