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"Ein Herz, so weit wie das Land"

  • Do, 20. Dezember 2018
    Schülertexte

ZISCHUP-INTERVIEW mit Willi Schätzle aus Gottenheim, der vier Jahre lang in Australien gelebt und gearbeitet hat.

Willi Schätzle (rechts) bei der Arbeit in Australien   | Foto: privat
Willi Schätzle (rechts) bei der Arbeit in Australien Foto: privat

Der Zischup-Reporter Simon Schätzle aus der Klasse 8f der Hugo-Höfler-Realschule in Breisach hat seinen Opa Willi Schätzle darüber interviewt, wie es dazu kam, dass er vor 58 Jahren nach Australien ausgewandert ist.

Zischup: Wie alt warst du, als du ausgewandert bist?
Schätzle: Im September 1960 war ich 31 Jahre alt.

Zischup: Wie bist du auf die Idee gekommen, auszuwandern?
Schätzle: Mein jüngerer Bruder Fred ist schon 1956 nach Australien ausgewandert, da war er 21 Jahre alt. Er hat die Werbeprospekte entdeckt, die ich mir habe schicken lassen, und war bald darauf weg. Er war Maurer und wollte in ein wärmeres Land, da ihm die Maurerarbeit im Winter hier nicht gefiel. Nachdem er sich dort nach einem Jahr schon selbstständig gemacht hatte, wollte er, dass ich mit ihm zusammen arbeite. Das habe ich am Anfang auch gemacht.

Zischup: Was hast du in Australien sonst gemacht?
Schätzle: Ich habe in Deutschland Elektromechaniker gelernt und zudem einen mehrwöchigen Technikerkurs absolviert. So habe ich mich mal bei einer australischen Niederlassung der Firma Siemens beworben. Der Manager dort stammte aus Göttingen. Die hatten aber zu dieser Zeit keine Arbeit für mich. Also fing ich bei der SEC, der States Electricity Commission, an und machte dort elektrische Reparaturen an Braunkohlefördergeräten. Später fing ich bei der Snowy Mountains Scheme an, die entlang des Snowy River mehrere Stauseen zur Stromerzeugung gebaut hatte, und musste dort elektrische Anlagen instand halten. Mit der Trafofabrik Wilson in Springvale war ich dann wieder in der Nähe meines Bruders. Später war ich dann doch noch bei der Firma Siemens in Melbourne mit der Montage von Fernschreibern beschäftigt.
Zischup: Was hat dir an Australien am meisten gefallen?
Schätzle: Die Weite! Und die Australier, die ein großes Herz haben, so weit wie das Land, sie sind offen und hilfsbereit, auch wenn man der Sprache nicht so mächtig war. Übrigens hatte Australien damals eine Einwanderungsquote von 125 000 Menschen pro Jahr, 10 000 davon waren Deutsche.

Zischup: Und was hat dir nicht gefallen?
Schätzle: Eigentlich gab es da nichts. Ich hatte keinen Tag Heimweh. Jeder Tag war ein besonderer Tag.

Zischup: Konntest du schon Englisch?
Schätzle: Ja, ein paar Brocken habe ich mit einem Freund per Fernkurs auf dem Technikerlehrgang gelernt. Wir hatten mal vor, nach Südafrika auszuwandern. Den Kurs brachen wir aber ab, und nach Südafrika sind wir auch nicht gegangen. Und dann gab es noch Englischunterricht auf dem Schiff bei der Überfahrt.

Zischup: Du bist mit dem Schiff nach Australien gereist. Wie lange dauerte die Reise? Und welche Länder hast du da besucht?
Schätzle: Die Überfahrt dauerte fünf Wochen von Cuxhaven bis Melbourne. Bei der Fahrt durch den Suez-Kanal waren wir einen Tag in Kairo. Dort habe ich unter anderem die Pyramiden und den Sarg Tutanchamuns gesehen. In Aden sind mir noch die vielen Ziegen in Erinnerung, die das Papier von der Straße gefressen haben. Nach Aden im Indischen Ozean war ich 13 Tage lang seekrank. Ich konnte nicht mal in die Nähe der Kantine gehen, ohne dass mir schlecht wurde. Der nächste Landgang war dann schon Fremantle in Westaustralien. Dort habe ich mir als Erstes eine Tüte voll saftiger Pfirsiche gekauft, denn die Orangen auf dem Schiff waren ganz strohig. Auf der Rückfahrt habe ich dann übrigens aufgrund dieser Erfahrung eine Kabine in der Schiffsmitte gebucht, wo es am ruhigsten ist.

Zischup: In welchem Teil von Australien hast du gewohnt?
Schätzle: Die meiste Zeit in Victoria im Süden von Australien.

Zischup: Wurdest du mal von Schlangen oder Giftspinnen gebissen?
Schätzle: Nie! Aber bei einem Ausflug ins Hinterland stand ich mal in Ledersandalen vor einer Braunschlange, die auf mich einen scheinbar leblosen Eindruck gemacht hat. Unser Begleiter nahm mich zur Seite und sagte, pass auf, wenn du gebissen wirst, lebst du noch eine dreiviertel Stunde. Und zum nächsten Doktor, der dir das Gegengift spritzen kann, ist es mindestens eine Stunde.

Zischup: War es schwer, sich an den Linksverkehr zu gewöhnen?
Schätzle: Ja, am Anfang habe ich mich mehrmals dabei ertappt, wie ich nach dem Abbiegen in eine neue Straße plötzlich auf der rechten Seite weitergefahren bin. Auch die erste Prüfung für den Rollerführerschein habe ich vermasselt, weil ich bei der Einfahrt auf einen dreispurigen Highway prompt wieder ganz rechts gefahren bin. Dieser Führerschein kostete damals aber nur zwei australische Dollar. Passiert ist nie etwas, weil in den Außenbezirken der Großstädte damals wenig Verkehr herrschte.

Zischup: Warum bist du nicht in Australien geblieben?
Schätzle: Ich hatte meinen Eltern versprochen, wieder zurückzukommen, damit nicht beide Söhne weg waren. Ich hatte auch nicht die Absicht, dort zu bleiben. Ich erhielt von meinem damaligen Arbeitgeber in Freiburg die Zusage, nach meinem Aufenthalt sofort wieder in die Firma zurückkehren zu können. Aus den beabsichtigten zwei Jahren wurden fast vier Jahre. Meine Mission war beendet, nachdem mein Bruder Fred geheiratet hatte. 14 Tage nach Eintreffen seiner deutschen Frau in Australien ging mein Schiff zurück nach Deutschland.

Ressort: Schülertexte

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