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Unter Dampf

  • Mi, 17. Oktober 2018
    Gesundheit & Ernährung

E-Zigaretten sind nicht ungefährlich – aber gesünder als Rauchen / Suchtgefahr besteht vor allem für Jugendliche /.

Die Liquids für E-Zigaretten enthalten...nsetzungen sind sehr unterschiedlich.   | Foto: Adobe.com
Die Liquids für E-Zigaretten enthalten viele Stoffe, die womöglich giftig sind. Die Zusammensetzungen sind sehr unterschiedlich. Foto: Adobe.com
Mehr als 120 000 Menschen sterben jedes Jahr in Deutschland am Tabakrauch. Da scheint die E-Zigarette das geringere Übel zu sein: Es wird kein Rauch inhaliert, sondern eine Flüssigkeit verdampft, die man einatmet oder pafft. Die Inhaltsstoffe gelten als weniger schädlich, das Dampfen als weniger suchtauslösend.

Die britischen Gesundheitsbehörden und der Ärzteverband Royal College of Physicians gehen davon aus, dass E-Zigaretten etwa 95 Prozent sicherer sind als Tabakrauch. Vor dem Hintergrund, dass mit dem Qualm einer Zigarette unter anderem Kondensat, Benzol, Blausäure oder Formaldehyd inhaliert werden – insgesamt 12 000 verschiedene Stoffe, die zum größten Teil giftig oder krebserregend sind – und sich im Hauptstrom einer Filterlosen 15 bis 40 Milligramm biologisch aktive Schadstoffe finden, könnte man E-Zigaretten tatsächlich für harmlos halten.

Trotzdem steht das Vereinigte Königreich mit seiner extrem positiven Beurteilung des Dampfens allein auf weiter Flur. Zwar kommt auch ein US-Team um David Eaton von der University of Washington nach einer groß angelegten Auswertung von mehr als 800 Studien im Auftrag des Parlaments zu dem Schluss: E-Zigaretten sind weitaus weniger schädlich als herkömmliche Glimmstängel. Aber Gesundheitsrisiken, die noch gar nicht richtig abschätzbar sind, gebe es auch hier, betonen die Forscher.

Zum Beispiel bestehe kein Zweifel daran, dass Nikotin süchtig macht. Wie hoch das Abhängigkeitspotenzial ist, lasse sich noch nicht einordnen, weil die Verdampfer erst seit einigen Jahren auf dem Markt sind. Es gebe moderate Belege, dass Risiko und Schwere der Sucht bei E-Zigaretten weniger ausgeprägt sind, allerdings hänge das von der Nikotinmenge in der verwendeten Flüssigkeit – der E-Liquid – und vom benutzten Gerät ab.

E-Liquids enthalten nicht immer Nikotin, aber viele andere Stoffe, die beim Dampfen eingeatmet werden und die womöglich giftig sind. Das hat kürzlich eine Arbeit der University of North Carolina bestätigt, erschienen im Fachmagazin Plos Biology. Die Wissenschaftler um Robert Tarran setzten menschliche Zellkulturen 7700 verschiedenen E-Liquids aus, alles Geschmacksrichtungen, die im Verkauf erhältlich sind. Je mehr eine Flüssigkeit beim Verdampfen das Zellwachstum störte, umso toxischer bewerteten die Experten sie.

"Wie sich zeigte, sind die Zutaten in E-Liquids extrem unterschiedlich. Einige von ihnen sind giftiger als Nikotin allein und schädlicher als die Standardzutaten in E-Zigaretten, nämlich Propylenglykol und pflanzliches Glycerin", betont Tarran. Beide Substanzen werden als Feuchthaltemittel gebraucht. Sie gelten als harmlos, wenn man sie schluckt, werden aber in der E-Zigarette inhaliert, wie die amerikanischen Forscher zu bedenken geben.

Bei ihren Versuchen störten Propylenglykol und Glycerin schon in kleinen Dosen das Zellwachstum deutlich – und zwar pur, ohne Aromen und Nikotin. Generell gelte: Je mehr Zutaten die Liquid enthalte, desto giftiger ihre Wirkung, warnen Tarran und seine Kollegen.

Ob E-Zigaretten langfristig das Krebsrisiko der Konsumenten steigern, lässt sich nach Einschätzung der University of Washington derzeit nicht beurteilen. Dass allerdings das Dampfen in geschlossenen Räumen die Nikotin- und Feinstaubbelastung für Nichtraucher erhöht – wenn auch nicht ganz so stark wie Tabakqualm – sei erwiesen. E-Zigaretten könnten bei Jugendlichen Husten und Keuchen verursachen und bei Asthmapatienten die Anzahl der Anfälle erhöhen, betonen die US-Forscher.

Studien unter anderem des Landesgesundheitsamts Bayern deuten darauf hin, dass die ultrafeinen Partikel aus übersättigtem Propylenglykoldampf bis tief in die Lunge vordringen, das Atmen beeinträchtigen und Entzündungsprozesse hervorrufen können. Auch die Feinstaubpartikel hatten Effekte, was als problematisch gilt besonders bei Kindern und Schwangeren, wenn diese dem Dampf lange als Passivraucher ausgesetzt sind.

Abgesehen davon ist die Suchtgefahr nicht vom Tisch. Fachleute befürchten, dass E-Zigaretten gerade für Jugendliche den Einstieg ins Rauchen erleichtern. Eine Untersuchung des Mannheimer Instituts für Public Health der Universität Heidelberg kam bereits 2015 zu dem Ergebnis, dass E-Zigaretten unter Jugendlichen weit verbreitet sind.

16 Prozent der befragten 840 Siebt- und Achtklässler hatten mindestens schon einmal eine E-Zigarette ausprobiert. Vor allem Hauptschüler sind offenbar anfällig: Bei ihnen war es rund ein Drittel. Bei den Gesamtschülern hatten 17 Prozent gedampft, bei den Gymnasiasten lediglich neun Prozent.

Angestiftet werden die Jugendlichen in erster Linie von ihrem sozialen Umfeld, haben die Mannheimer Forscher beobachtet. Wer E-Zigaretten benutze, gehöre überwiegend nicht zu den Tabakrauchern. Die Hemmschwelle, zur E-Zigarette zu greifen, liege niedriger als beim Tabak. Die Auswertung der University of Washington sieht darüber hinaus erhebliche Beweise dafür, dass das Dampfen Jugendliche und junge Erwachsene später zum Rauchen verleiten kann.

Das Geschäft jedenfalls brummt. Allein in Deutschland stiegen die Umsätze der E-Zigaretten-Hersteller von 2010 bis 2015 von fünf Millionen auf 275 Millionen Euro. Dieser Trend wird sich fortsetzen, glaubt der Verband des E-Zigarettenhandels. Zuwächse um ein Drittel innerhalb eines Jahres halten Marktbeobachter für realistisch. "E-Zigaretten sind mittlerweile auch für Jugendliche ein vermeintlich cooles Trendprodukt geworden, das man zum Tunen des Dampfs auch an den PC anschließen kann", sagt Sven Schneider, Leiter der Forschungsabteilung Kindergesundheit am Mannheimer Institut für Public Health.

Über ihre Neugier würden die Jugendlichen geködert. Die Industrie dürfte das Abhängigkeitspotenzial durch technische Veränderungen und die chemische Zusammensetzung von Liquid und Dampf weiter optimieren, fürchtet Schneider. Die Behauptung der Hersteller, dass vor allem ausstiegswillige Raucher auf E-Zigaretten umsatteln, werde von der Forschung nicht bestätigt.

So zeigt eine aktuelle Studie des Massachusetts General Hospital mit 1357 Erwachsenen, erschienen in den Annals of Internal Medicine, dass das Dampfen sogar davon abhalten kann, auf Tabak zu verzichten. Die Mediziner befragten Patienten, die sich entschlossen hatten, nach dem Klinikaufenthalt mit dem Rauchen aufzuhören, ein und drei Monate nach der Entlassung. Sechs Monate später kombinierten die Forscher die Interviews mit Labortests.

Ergebnis: Wer nach der Entlassung teilweise auf E-Zigarette umgestellt hatte, rauchte mehr als diejenigen, die nicht dampften. Das allerdings galt vor allem für Nikotinsüchtige, die keinen Zugang hatten zu einem Rauchentwöhnungsprogramm, wie die Forscher einschränken. Womöglich glättet das den Widerspruch, der sich hier auftut zwischen der Arbeit aus Massachusetts und der Washingtoner Auswertung: David Eaton und Team gelangen nämlich zu dem Fazit, dass das Dampfen Erwachsenen hilft, den Tabak wegzulassen.

HINTERGRUND

Rauchen schadet auch der Leber

Dass Rauchen Lunge und Herz nicht gut tut, das wissen die meisten. Aber der Qualm schadet auch der Leber – und das gilt vermutlich genauso für den E-Dampf. Belastet wird die Leber als zentrales Entgiftungsorgan vor allem durch das Nikotin, das sie aus dem Blut herausfiltert. Mehr als zehn Millionen Menschen in Deutschland haben inzwischen eine Fettleber – Nikotinkonsum kann das Voranschreiten der Krankheit beschleunigen.

Dass auch E-Zigaretten womöglich einen Einfluss auf Lebererkrankungen haben könnten, zeigt eine Tierstudie der Charles R. Drew University of Medicine and Science in Los Angeles. Die Forscher setzten Mäuse dem Dampf von E-Zigaretten aus. Die Nikotinkonzentrationen im Blut entsprachen denen von menschlichen Dampfern, so die Forscher um Theodore Friedman. Den Labormäusen fehlte das Gen für das Apolipoprotein E; sie waren damit anfällig für eine Fettstoffwechselstörung, die mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Blutgefäßverengung einhergeht. Beim Menschen gibt es eine ähnliche seltene Erbkrankheit, die familiäre Dysbetalipoproteinämie. Wie die US-Experimente zeigten, waren bei den bedampften Mäusen nach zwölf Wochen 433 Geneverändert, die mit der Entwicklung einer Fettleber zu tun haben. Zudem hatte sich die innere Uhr der Nager verstellt, was die Entwicklung einer Fettleber beschleunigen kann. Die Forscher glauben, dass ihre Ergebnisse übertragbar sind auf den Menschen.

Ressort: Gesundheit & Ernährung

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mi, 17. Oktober 2018: PDF-Version herunterladen

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