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BZ-Interview

Petra Tessarek ist professionelle Briefeschreiberin

Nadine Zeller

Von

Mo, 09. November 2015

Liebe & Familie

Der Stift schwebt über dem Papier, doch die Worte wollen nicht fließen. Die ersten zwei Sätze sind bereits wieder durchgestrichen – der Brief will einfach nicht gelingen. Wie zeige ich, wie verliebt ich bin? Wie sage ich meinem Partner, dass ich mich trennen will? Die professionelle Briefeschreiberin Petra Tessarek hilft dabei, Gefühle aufs Blatt zu bringen.

Nicht jedem fallen die richtigen Worte... manchmal braucht es Hilfe von außen.   | Foto: zeller/dpa
Nicht jedem fallen die richtigen Worte zum Antrag ein, manchmal braucht es Hilfe von außen. Foto: zeller/dpa
BZ: Frau Tessarek, wie kamen Sie auf die Idee, für andere Menschen Briefe zu schreiben?
Tessarek: Zunächst habe ich mich innerhalb der Familie um die Korrespondenz mit Behörden gekümmert. Mit Anfang 20 habe ich einmal einen Brief an die Stadtverwaltung verfasst, weil vor unserem Haus so gerast und wild überholt wurde. Daraufhin wurden prompt ein Überholverbot und regelmäßige Geschwindigkeitskontrollen eingeführt – und ich war natürlich mächtig stolz.

BZ: Sie haben also gemerkt, dass Ihr Brief etwas bewirkt hat. Wie ging es weiter?
Tessarek: Auch Freunde wandten sich an mich und fragten, ob ich ihnen beim Briefeschreiben helfen könnte. Daraus ging irgendwann die Idee hervor, mich selbstständig zu machen. Ich habe ein nebenberufliches Gewerbe angemeldet, eine Homepage aufgebaut und mal geschaut, ob es funktioniert. Das habe ich aber zunächst niemandem erzählt. Ich wollte erst wissen, wie es anläuft.

BZ: Und wie läuft es?
Tessarek: Seinerzeit habe ich keinen Gründungszuschuss bekommen, weil die Arbeitsagentur meinte, dass dieses Geschäft keine Zukunft hätte. Heute kann ich davon leben.

BZ: Wie viel kostet denn ein von Ihnen geschriebener Brief?
Tessarek: Das hängt vom Umfang und der Schwierigkeit ab und lässt sich daher nicht pauschal beantworten. Aber es ist definitiv bezahlbar, ich verlange keine Fantasiepreise.

BZ: In welchen Situationen wenden sich die Menschen an Sie?
Tessarek: Meistens haben sie selbst schon angefangen, einen Brief zu schreiben und brüten schon einige Zeit darüber. Wenn sie dann nicht mehr weiter kommen, wenden sie sich an mich. Meistens haben es die Kunden dann sehr eilig, weil die Frau praktisch mit gepackter Tasche im Türrahmen steht und die Trennung will. Aber ein Brief ist keine Garantie dafür, dass der Partner zurückkommt.

BZ: Haben Sie selbst früher Liebesbriefe geschrieben?
Tessarek: Nein, aber manchmal erstaunliche Exemplare bekommen.

BZ: Und nachdem Sie diese gelesen haben, dachten Sie sich: "Das mach ich künftig lieber selbst?"
Tessarek (lacht): Ja, so ungefähr. Es ist schon interessant – Männer schreiben meistens Briefe, wenn es zu spät ist. Sie sind in der Regel völlig überrascht, wenn die Frau sich trennt, weil sie die sich anbahnende Krise nicht erkannt haben. Frauen wenden sich vor allem am Anfang von Beziehungen an mich und wollen ihre Verliebtheit ausdrücken.

BZ: Wie läuft das mit den Liebesbriefen? Wie machen Sie das?
Tessarek: Der Kunde sendet mir zunächst eine E-Mail oder ruft mich an; anhand seiner schriftlichen oder mündlichen Schilderungen versuche ich herauszufinden, was er oder sie zum Ausdruck bringen möchte. Den Inhalt bestimmt der Kunde, ich verpacke es nur – das ist ein wenig wie Übersetzen. Wenn beispielsweise jemand nach einer Trennung schreibt "Ich will einfach nichts mehr mit dir zu tun haben" tut das dem Leser sehr weh, ist aber oft gar nicht so gemeint. Wenn ich dann nachhake, stellt sich heraus, dass die Person sich nur Abstand wünscht, um die Trennung zu verarbeiten. Und die Formulierung "Ich glaube, es ist für uns beide besser, wenn wir uns nicht mehr sehen" kommt viel sanfter herüber.

BZ: Welche Formulierungen gehen gar nicht?
Tessarek: Die Einleitung "Ich mache mich jetzt wahrscheinlich zum Affen, aber ich dachte, jetzt schreib ich dir nen Brief".

BZ: Warum geht das nicht?
Tessarek: Wenn mich jemand gern hat und mich zurückgewinnen will, sieht er sich selbst als Affen? Das ist nicht gerade schmeichelhaft.

BZ: Wann kommt es noch zu Ausrutschern?
Tessarek: Eigentlich immer, wenn Untreue im Spiel ist. Natürlich sollte man bei der Wahrheit bleiben. Das heißt aber nicht, dass man dem Partner alle schlüpfrigen Details seines Seitensprungs genau beschreiben sollte. In einem Versöhnungsbrief zu schreiben: "Ich habe wirklich nur drei Mal mit der Christina geschlafen und auch immer nur ganz kurz" ist sicherlich nicht der richtige Weg.

BZ: Hmm. Ist aber ehrlich.
Tessarek: Das schon. Ich muss mich aber fragen, ob ich nur mein schlechtes Gewissen reinwaschen oder die andere Person davon überzeugen will, dass es mir leidtut. Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen. Und nicht darum, sich herauszureden – also Dinge zu beschönigen und damit alles noch schlimmer zu machen.

BZ: Haben Sie schon bestimmte Aufträge abgelehnt?
Tessarek: Ja, das muss ich auch ab und zu. Einmal hat sich eine Frau an mich gewandt, nachdem sich ihre Affäre von ihr getrennt hatte. Er hatte ihr klar gesagt, dass sie sich nicht wieder treffen würden. Darauf hat sie mich gebeten, zu schreiben, dass sie sich umbringen würde, wenn er nicht zurückkäme. Ich habe den Auftrag abgelehnt, so etwas mache ich natürlich nicht.

BZ: Kommt so was oft vor?
Tessarek: Solche Extremfälle sind selten. Es kommt jedoch des Öfteren vor, dass Kunden ihre Situation selbst nicht realistisch einschätzen. Beispielsweise hat mir einmal ein Mann einen angefangenen Brief zur Überarbeitung zukommen lassen, aus dem hervorging, dass er seiner Geliebten ständig Geschenke machte, sie sonst aber nicht viel von ihm wissen wollte. Ich habe ihn daraufhin gefragt, ob er herausfinden möchte, ob er seiner Partnerin wichtig ist oder nur sein Geld, und er sagte ja. Meinen Briefentwurf mit der vorsichtig formulierten Frage danach hat er dann aber mit dem Argument "Wenn ich sie das frage, wird sie mich verlassen" abgelehnt. Lieber wollte er an einer Illusion festhalten.

BZ: Erfahren Sie manchmal auch, wie so Geschichten ausgehen? Was Ihre Briefe bewirkt haben?
Tessarek: Nein, mit dem Brief ist das meistens abgehakt. Gelegentlich ergibt es sich aber doch, wobei es manchmal auch zu kuriosen Situationen kommt. Ein Kunde hatte mal einen Liebesbrief für "die Frau seines Lebens und einzig wahre Liebe" benötigt, die ihn verlassen hatte. Einige Monate später meldete er sich wegen eines weiteren Briefs, in dem er seiner Freundin mitteilen wollte, wie sehr er sie liebt und wie glücklich er mit ihr sei – die Dame hatte aber plötzlich einen ganz anderen Namen ...

BZ: Was macht das denn mit Ihnen, wenn Sie den ganzen Tag von Seitensprüngen und Trennungen erfahren?
Tessarek: Es regt mich zum Nachdenken darüber an, ob ich meinem Partner eigentlich oft genug zeige, dass ich ihn liebe. Und es führt mir vor Augen, wie viel Glück ich eigentlich selbst habe.

BZ: Warum schreiben die Leute ihre Briefe nicht selbst?
Tessarek: Meistens ist es Unsicherheit; der Brief liegt ihnen am Herzen und sie wollen alles richtig machen. Wer sprachlich nicht besonders gewandt ist, dem wird oft unbewusst ein geringerer Intellekt unterstellt – fast immer völlig zu Unrecht. Wenn jemand nicht gut rechnen kann, bekommt das kaum jemand mit, aber unsere schriftliche und mündliche Ausdrucksweise lässt sich vor anderen nicht verbergen. Und in ihren Briefen möchten sich die Menschen von ihrer Schokoladenseite zeigen.
BZ: Sie helfen den Leuten dabei, sich von ihrer Schokoladenseite zu zeigen. Ist das nicht unauthentisch?
Tessarek: Dann wäre es auch nicht richtig, Make-up zu benutzen und zum Friseur zu gehen. Geschminkt ist man nicht authentisch, und die Haare kann man sich schließlich auch irgendwie selber schneiden. Die Frage ist nur, wie es hinterher aussieht – die Frisur wie auch der Brief.

BZ: Welche Berufsgruppen melden sich bei Ihnen?
Tessarek: Alle, von der Reinigungskraft bis zum Chirurgen.

BZ: Schreiben Sie privat auch Briefe?
Tessarek: Einer alten Freundin schreibe ich regelmäßig. Ansonsten macht sich privat natürlich die moderne Kommunikation per WhatsApp etc. bemerkbar.

BZ: Wie stehen Sie dazu?
Tessarek: Es ist leicht und praktisch, mal eben eine Nachricht per WhatsApp oder eine E-Mail zu schreiben. Ein Brief soll aber zum Ausdruck bringen, dass man sich Mühe macht. Das muss und soll nicht schnell gehen; der Empfänger soll ja wissen, dass für ihn Zeit investiert wurde. Auch die Form ist entscheidend: Es soll schon ein schönes Briefpapier sein und nicht irgendein herausgerissener Zettel.

BZ: Wie viele Briefe schreiben Sie täglich?
Tessarek: Das kommt auf die Auftragslage an. Es kann schon mal vorkommen, dass ich drei bis vier Briefe an einem Tag schreibe, manchmal auch weniger. Im Allgemeinen bekommt der Kunde seinen Brief innerhalb von drei bis sieben Tagen.

BZ: In welcher Jahreszeit läuft Ihr Geschäft besonders gut?
Tessarek: Erstaunlicherweise im Herbst. Das ist die Zeit, in der die Menschen sentimental werden. Die meisten tippen immer auf die vielzitierten Frühlingsgefühle, das stimmt aber nicht. An das Zwischenmenschliche denken sie eher, wenn die Tage kürzer werden.

BZ: Angenommen, Ihr Partner lässt einen Brief von einer professionellen Briefeschreiberin formulieren. Würden Sie merken, dass er nicht von ihm ist?
Tessarek: Sofort, da mein Partner mit Schreiben rein gar nichts am Hut hat und sich allenfalls auf Einkaufszettel beschränkt. Insofern würde ich mich über jedes beschriebene Blatt Papier von ihm sehr wundern.

Petra Tessarek, 45, arbeitete lange als juristische Fachangestellte, bevor sie sich 2012 als Briefeschreiberin selbstständig machte. Sie wohnt mit Partner und Hund in Porta Westfalica in Nordrhein-Westfalen.

Ressort: Liebe & Familie

  • Veröffentlicht in der gedruckten Ausgabe der BZ vom Mo, 09. November 2015:
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