Geflüchtet aus dem Libanon
Mit nur 60 D-Mark nach Deutschland
Rached C. flüchtete in den 1970er Jahren mit nur 60 Mark in der Tasche aus den Wirren des Bürgerkriegs im Libanon nach Deutschland. Nach langen und erfolgreichen Jahren in Berlin lebt er heute in Freiburg.
Elias Kasper, Klasse 8b, Friedrich-Gymnasium (Freiburg)
Mo, 2. Mai 2022, 12:35 Uhr
Schülertexte
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Rached C. wurde 1958 im Libanon mit syrischer Staatsbürgerschaft geboren. 1975 brach im Libanon ein Bürgerkrieg aus, in dem hauptsächlich zwischen Moslems und Christen gekämpft wurde. Dazu kamen noch syrische Interventionen. Racheds Freunde waren vor allem Christen, er selbst allerdings Moslem, sodass er gegen seine Freunde hätte kämpfen müssen. "Auch meine Mutter wusste, obwohl sie mich gerne bei sich gehabt hätte, dass es das Beste für mich war zu fliehen, weil es damals sehr gefährlich im Libanon war", erinnert er sich. Also beschloss er, den Libanon zu verlassen und nach Deutschland zu fliehen.
Jedoch konnte er nicht zum Flughafen, da die Straßen wegen des Krieges gesperrt waren. Nichtsdestotrotz musste der damals gerade mal 18-Jährige fliehen, sodass ihm nur die Möglichkeit eines Fluchtweges über Syrien blieb. Doch da gab es ein Problem: "Weil ich ja Syrer war, hätte ich in Syrien zum Militär gemusst und brauchte eine Erlaubnis, um aus dem Land auszureisen. Durch Beziehungen gelang es mir allerdings, eine einmalige Ausreisegenehmigung zu bekommen. Doch die Umstände spielten für mich in diesem Moment keine Rolle. Ich wollte nur in Sicherheit sein", erzählt Rached C..
Infolgedessen flog er am 16. August 1976 mit nur 60 D-Mark von Damaskus nach Ostberlin. Er wollte aber nicht in Ostberlin bleiben, sondern nach Westberlin reisen, wo sein Bruder wohnte. Auch wenn es sehr gefährlich war, gelangte er über ein bekanntes Schlupfloch an der U-Bahnstation Friedrichstraße nach Westberlin. Die ersten, von Heimweh geplagten Nächte verbrachte er auf den Straßen Westberlins, bis die 60 D-Mark aufgebraucht waren. Er versuchte immer wieder, seinen Bruder zu erreichen, doch vergeblich. So schlief er die ersten Monate bei vielen verschieden Leuten, die er kennenlernte. Rached C. schildert: "Die ersten Monate hatte ich sehr viel Heimweh, das auch nach so vielen Jahren bis heute nicht ganz weggeht. Hinzu kam, dass ich so gut wie kein Deutsch gesprochen habe und es damals auch keine Integrationsangebote gab. Ich war zwar beim Amt angemeldet, wurde aber fürs Erste nur geduldet. Manchmal bin ich vier Stunden die Straße verzweifelt auf und ab gegangen, weil ich nicht wusste, was ich tun sollte. Ich hatte ja auch keine Arbeit. Doch ich brauchte Arbeit, damit ich meinen Eltern und Geschwistern im Libanon Geld schicken konnte, was sie dringend benötigten."
Folglich suchte Rached C. nach Arbeit. Nachdem er einen Araber kennengelernt hatte, der schon etwas länger in Deutschland war, fragte er, ob er wüsste, wo er arbeiten könne. Und so fand er bald eine Anstellung als Tellerwäscher im frisch geöffneten "Bierpinsel", einem futuristischen Gebäude, das als Café, Steakhaus und Weinverkauf in Berlin diente. Der Araber gab ihm beim Vorstellungsgespräch Zeichen, ob Rached C. ja oder nein sagen solle, sodass man dachte, er könne Deutsch. "Einmal hat mich der Chef zu einem Regal mit Geschirr geführt und mir auf Deutsch eine Anweisung gegeben. Ich habe so getan, als hätte ich ihn verstanden, habe ich aber nicht. Ich dachte, ich müsse das ganze Regal auseinanderbauen, dabei sollte ich nur das Geschirr ausräumen. Obwohl ich das ganze Regal schließlich auseinandergebaut hatte, wurde mir nicht gekündigt, weil ich sehr fleißig war."
Am Anfang lebte Rached C. zur Untermiete, verdiente nur 800 D-Mark, hatte lediglich einen freien Tag im Monat und manchmal zusätzlich Nachtschicht. Alles Geld, was übrig blieb, schickte er seinen Eltern. Doch zwei Jahre später wurde er aufgrund seines Engagements und seines Fleißes befördert. Nun arbeitete er im Lager. Wiederum zwei Jahre später durfte er sogar an der Bar arbeiten, weil er inzwischen ganz gut Deutsch sprach.
Unterdessen lernte er eine deutsche Frau kennen und heiratete sie genau an seinem drohenden Abschiebedatum, einem Tag im August 1981, sodass er nicht in den Libanon abgeschoben werden konnte. "In ihrer Familie habe ich mich wohl gefühlt. Ihre Eltern haben mich wie einen Sohn aufgenommen", erinnert sich Rached C.. 1983 hatte er dann den Mut, sich selbstständig zu machen und kaufte einen Laden für wenig Geld, aus dem er ein Stehcafé machte, das so gut lief, dass viele Stehcafés öffneten und er den Laden mit hohem Gewinn verkaufen musste, da die Konkurrenz zu groß geworden war.
Daher ging er zum Arbeitsamt, um nach Arbeit zu fragen. Man vermittelte ihm eine Stelle zur Probearbeit in der Herrenabteilung des KaDeWes, dem luxuriösesten Kaufhaus Berlins. Er hatte schon im Libanon in einer Boutique gearbeitet, sodass er bereits ein gutes Gespür für Mode besaß. Und es bewährte sich: Im Januar 1986 wurde er vom KaDeWe festangestellt, Jahre später war er sogar Führungskraft in der Herrenabteilung, weil er ein sehr guter Verkäufer war. Zusätzlich zu seiner Arbeit im KaDeWe eröffnete Rached C. gemeinsam mit seiner Frau mehrere Saftläden und Cafés in Berlin. Sein Tag begann frühmorgens auf dem Großmarkt, war dann geprägt von seiner Arbeit in der Modebranche und endete am späten Abend im Saftladen. "Du musst wissen, was der Kunde will. Wenn er etwas nicht kauft, dann musst du etwas anbieten, was er will." Er arbeitete insgesamt 28 Jahre im KaDeWe. Erst 22 Jahre nach der Flucht sah er seine Eltern im Libanon wieder. Mit seiner Frau, die noch immer an seiner Seite ist, zog er zwei Kinder groß und ist inzwischen stolzer Großvater.
2020 zog er von Berlin zu seinen Kindern und Enkeln nach Freiburg, wo er seit kurzer Zeit mit seiner Frau auf dem Münstermarkt steht. Er brauche einfach eine Beschäftigung, kommentiert er seinen neuen Schritt.
All dies hat Rached C., der mit nur 60 D-Mark nach Deutschland kam, ohne eine Ausbildung, dafür aber mit Freundlichkeit, Fleiß und harter Arbeit geschafft. Mit dieser Haltung kann man fast alles erreichen. "Ich bin sehr, sehr stolz", meint Rached C.. Und das kann er auch sein.
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