Brasilien
Klebeband-Bikini: ein seltsamer Bräunungstrend in Rio
Wenn Bräunen eine olympische Disziplin wäre, wäre Rio Favorit auf die Goldmedaille. Für die Frauen besonders wichtig, wenn sie sich daheim nackt zeigen: Der perfekte dünne weiße Streifen, eine Art natürlicher Bikini.
dpa
Di, 7. Feb 2017, 0:01 Uhr
Panorama
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Sie könnte auch am Strand der Copacabana liegen. Doch Marcilene Jesus da Concepção sonnt sich auf der Terrasse eines Betonhäuschens in einer heruntergekommenen Gegend am Stadtrand von Rio de Janeiro. Kein Meer, kein Sand. Statt eines Bikinis trägt sie schwarze, weiße und rote Klebestreifen, die über ihre Brüste und den Intimbereich geklebt sind. Das macht sie für ihren Freund.
"Erika Bronze" heißt das ungewöhnliche Bräunungsstudio. Die Geschäfte scheinen gut zu laufen. Im ersten Stock koordinieren drei Damen mit Headsets die Termine. Es ist Hochsommer in Rio, seit November waren schon etwa 3000 Frauen da – bis zu 90 Kundinnen am Tag. Weiter oben auf der Dachterrasse liegen dicht gedrängt 20 Frauen auf Plastikliegen und sonnen sich.
Wenn eines hier heilig ist, dann ist es das Lechzen nach Sonne und Bräunung, auf Portugiesisch: "bronzear". Zum perfekten Bronze-Ton der Haut gehört in Rio auch ein weißer Strich, der die Linien des Bikinis nachzeichnet. Da am liebsten der "Fio-Dental" in Rio getragen wird, müssen die Linien besonders dünn sein. "Fio-Dental" heißt Zahnseide, im Volksmund sind damit die String-Bikinis gemeint.
Nun ist es mit dem perfekten weißen Streifen ein schwieriges Unterfangen. Eine echte Carioca – so heißen die Bewohner(innen) der Stadt – hat locker zehn verschiedene Modelle. Dadurch und weil der Bikini verrutscht, gibt es unterschiedliche Streifen. In den Favelas entstand so der Trend, dünne Klebestreifen als Bikini-Ersatz auf die Haut zu kleben und sich damit stundenlang in die Sonne zu legen.
So entsteht eine Art dünner weißer natürlicher Bikini, vor allem als Geschenk an die Lieben daheim. Erika Romero Martins hat daraus ein Geschäftsmodell gemacht. "Aus ganz Rio kommen die Frauen hierher." Angefangen hat die 34-Jährige in ihrer Jugend in der Favela Vila Aliança, der Durchbruch gelang mit ihrem Studio hier in Realengo im Westen der Stadt. Etwa 100 000 Reais (rund 30 000 Euro) sind das Einnahmeziel für dieses Jahr.
Ein junger Mann läuft mit einem Gartenschlauch durch die Reihen der Damen und besprüht sie mit Wasser, im Hintergrund läuft entspannende Musik. Frage an Marcilene Jesus da Concepção, die zum zweiten Mal hier ist: Warum macht sie das und zahlt 70 Reais (20 Euro) pro Sitzung? "Meinem Freund gefällt es sehr", sagt sie augenzwinkernd.
Zahlt er für diese Bräunungsmethode? "Aber sicher doch." Er ist Österreicher, lebt bei Innsbruck und will im April wieder nach Rio kommen. Bis dahin dürfte es mit den perfekten Streifen geklappt haben. Sogar Mütter mit ihren Töchtern sind hier.
Auch wenn es für alle Sonnencreme gibt: Dermatologen warnen vor einer erhöhten Hautkrebsgefahr infolge des exzessiven Sonnenbadens in der Morgen- und Mittagssonne. Eine Einheit dauert drei Stunden, erst auf dem Rücken – danach sonnen sich die Frauen auf dem Bauch liegend. Nach drei Sitzungen soll es die perfekten weißen Streifen geben.
Auf Brüste und Intimbereich werden oft hautschonendere weiße Kreppstreifen geklebt, in einer Kabine auf der Dachterrasse werden sie von Erika Romero fachkundig angelegt. "30 bis 40 Rollen Klebeband verbrauchen wir hier pro Tag." Sie bietet verschiedene Muster an, je nach dem von den Kundinnen bevorzugten Bikini-Typ, neben dem "Fio-Dental" wird auch gern das Bikini-Modell "Cortininha" ("Kleiner Vorhang") getragen, mit ein bisschen mehr Stoff untenherum.
Sabrina Vasconcelo, 28, zeigt, wie sich bei der ersten Sitzung schon nach 30 Minuten praller Sonne ein feiner weißer Streifen auf der Haut abzeichnet. Auf dem Rücken trägt sie ein Tattoo "Luiz Carlos – Amor Eterno" (Luiz Carlos – Ewige Liebe). Ist das ihr Freund? "Nein, nein", lacht die Eventmanagerin. "Das ist mein Vater."
Laut der Chefin Erika Romero Martins "ist ein starker weißer Streifen der Stolz der Cariocas". Ein Statussymbol. Im benachbarten Argentinien, wo man auf die Brasilianer traditionell etwas abschätzig blickt, schrieb die auflagenstärkste Zeitung Clarín zu dem bedenklichen Bräunungseifer mit Klebeband: "Lächerliche Obsessionen."
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