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"Wenn ich weg bin, bin ich weg"

  • Carolin Heizmann, Chiara Jaeger & Thomas Tritschler

  • Sa, 12. September 2015
    Emmendingen

BZ-UMFRAGE: Vier Emmendinger erzählen, wie sie nach der Arbeit entspannen – und wohin sie sich am liebsten zurückziehen.

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EMMENDINGEN. Der Druck im Berufsleben steigt, die Suche nach einem Ort der Entschleunigung ist schwierig geworden. Unsere Azubi-Redaktion hat sich umgehört – und vier interessante Emmendinger nach ihren Rückzugsorten gefragt.

Der Pfarrer

Eigentlich habe ich mehrere Rückzugsorte. Wenn morgens die Sonne scheint, gehe ich in den Stadtgarten direkt vor meiner Haustür. Bei schönem Wetter bin ich dort täglich mit meinem Hund, Joschi. Da bete und meditiere ich. Das geht ungefähr eine halbe Stunde, bevor ich zu arbeiten beginne. Wenn es kälter ist, halte ich mein Morgengebet in der Wohnung. Alle sechs Wochen von Sonntag auf Montag fahre ich zu meinem zweiten Rückzugsort, dem Kloster Mariastein in der Schweiz. Nach dem Gespräch mit einem geistlichen Begleiter fühle ich mich innerlich erfrischt. Mein dritter Rückzugsort befindet sich in Lenzkirch-Kappel. Dort hat unsere Familie eine Ferienwohnung, in der alles bereitsteht, sogar die Zahnbürste. Hier halte ich mich meist von Sonntagmittag bis Montagabend auf. Lenzkirch-Kappel ist Natur pur, ideal zum Laufen, Schwimmen und Langlaufen im Winter. Oft treffe ich dort einige meiner Freunde. Bei einem ausführlichen drei- bis vierstündigen Spaziergang mit Joschi lädt das meinen Akku wieder auf. Man kann das mit Pfeil und Bogen vergleichen: Ist die Sehne die ganze Zeit gespannt, leiert sie aus. Ratschläge für Leute, die nicht entspannen können, kann ich nicht wirklich geben. Man sagt ja: Ratschläge sind auch Schläge. Das Wichtigste ist, dass man sich nicht selbst überschätzt. Man muss sich bewusst machen: Es hängt nicht alles von mir ab, es geht auch mal ohne mich. Wenn ich weg bin, dann bin ich weg.
− Herbert Rochlitz, 51 Jahre, ist katholischer Pfarrer in Emmendingen

Der Journalist

Um Abstand vom Alltag zu gewinnen, habe ich zwei Rückzugsorte. Während meines Arbeitstages in der Redaktion suche ich gerne Ruhe im Café Mahlwerkk im Westend. Entweder verbringe ich dort meine Mittagspause oder genieße meinen Cappuccino bereits vor Arbeitsbeginn. Das kommt hin und wieder vor, wenn ich früher zur Arbeit fahre. Früh morgens ist es billiger und es ist noch nicht so viel los. Nach Feierabend suche ich meinen zweiten Rückzugsort auf, den kleinen Patio bei mir zuhause. Dort lasse ich gerne den Tag bei einem Glas Wein Revue passieren. Meist höre ich da zwischen dem Abendessen mit meiner Frau und dem Ausklingen der Stunden vor dem zu Bett gehen, Orgelmusik oder Jazz. Selbst bei Minusgraden lasse ich es mir nicht nehmen, dick eingepackt in meine Fleecejacke, nach draußen zu gehen – mit meinem Discman, ganz old-fashioned. Ich pflege dieses Ritual bewusst und tagtäglich, sofern ich keine Abendtermine habe. Ins Mahlwerkk gehe ich in der Regel zwei bis dreimal die Woche, selten in Begleitung. Oft treffe ich dort auf Leute, die mir Tipps geben, die mir bei der Arbeit helfen. Wenn ich meine Plätze aufsuche, brauche ich Zeit für mich alleine und nehme ganz bewusst Abstand von jeglichen technischen Gerätschaften. Ich bin auch nicht über Handy erreichbar und checke keine E-Mails. Das wäre Unfug.
− Gerhard Walser, 55 Jahre, leitet die Emmendinger BZ-Redaktion. Er stammt aus der Stadt und lebt heute in Waldkirch.

Der Polizist

Ich habe daheim keinen Schrein oder Altar, wo ich sage: Da setze ich mich jetzt hin. Für mich ist das Soziale das Entscheidende, nicht der Raum. Nach der Arbeit gehe ich ungern sofort nach Hause, sondern treffe mich zuerst mit meinen Kollegen in unserem schön eingerichteten Sozialraum. Der ist für mich das Bindeglied zwischen Arbeit und Privatleben. Dort spreche ich mit meinen Kollegen über die vergangene Schicht. So kann ich die Sturmschäden, die wir während unserer Schicht durchgemacht haben, wegspülen. Das Ganze geht circa eine halbe bis Stunde. Zuhause beschäftige ich mich dann im Garten oder koche sehr gerne. An Tagen, an denen wir unsere Gesprächsrunde ausfallen lassen, merke ich spätestens dann, dass mir etwas fehlt. Einen festen Rückzugsort, den ich gerne in meiner Freizeit besuche, habe ich nicht. Manchmal gehe ich Rad fahren, manchmal gehe ich laufen oder wandern – je nachdem, auf was ich gerade Lust habe. Ich brauche Abwechslung. Ich würde jedem empfehlen, dass man sich nach dem Arbeiten Zeit nimmt, sich mit seinen Kollegen zusammensetzt und einfach alles nochmal bespricht. So können viele Missverständnisse geklärt werden, man kann mit dem Arbeitstag abschließen und entspannt in den Feierabend starten. Jeder ist anders: Meiner Kollegin zum Beispiel hilft es, wenn sie nach Feierabend ihre Uniform ablegen kann – so beginnt für sie der Feierabend.
− Freddy Klein, 51 Jahre, ist Dienstgruppenleiter bei der Polizei in Emmendingen. Dort lebt er auch.

Der OberbürgermeiSter

Mit meinem Beruf kann ich mich in meiner eigenen Stadt nur wenig zurückziehen. Gerade bei einem Bürgermeister einen Rückzugsort in der eigenen Stadt zu nennen ist besonders schwierig. Selbst dann, wenn ich abends mit meiner Frau im Kino bin, ist es nie wirklich privat. Man wird sehr oft angesprochen. Das ist nicht schlimm, das gehört zu meinem Beruf. Nun stellt sich mir die Frage: Wann hört mein Arbeitstag auf, wann fängt er an? Ich habe kaum Zeit, mich zurückzuziehen, da ich immer in Bereitschaft bin. Zwar beginnt mein Arbeitstag erst gegen 9 Uhr, dafür geht er meist bis spät abends. Tatsächlich gibt es aber so etwas Ähnliches wie einen Rückzugsort für mich: Das morgendliche Joggen im Stadtwald hilft mir, meinen Kopf frei zu bekommen. Das gelingt mir mehrmals die Woche, wenn auch nicht täglich. Ich bin alleine, ich kann klare Gedanken fassen, ich strenge mich an – diese Verbindung tut mir gut. Außerdem ist morgens nicht allzu viel los und man begegnet vielen Tieren. Rückzug bedeutet für mich, Abstand vom Alltag zu haben oder Zeit mit der Familie zu verbringen. Das geht am besten, wenn ich mir ein paar Stunden dafür nehmen kann. Das ist gar nicht so einfach: Eine Sitzung im Gemeinderat geht oft bis um zehn – und es gibt fast keinen Abend ohne Sitzung.
− Stefan Schlatterer, 48 Jahre, ist Oberbürgermeister in Emmendingen.

Ressort: Emmendingen

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Sa, 12. September 2015: PDF-Version herunterladen

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