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Interview mit Autor Behzad Karim Khani

"Auch das Lesen ist ein kreativer Akt"

  • Medij Ismaili, Isabel Klein, Jovana Vukovic, Julianne Wenzel, Liam Wild und Florienne Wolf, Klasse 9b, Georg-Büchner-Gymnasiums (Rheinfelden) Luisa Lauffenberg, Klasse 9b, Pestalozzi-Realschule (Freiburg)

  • Fr, 28. April 2023, 11:00 Uhr
    Schülertexte

Sieben Jugendliche haben in einer vom Literaturhaus Freiburg und der BZ organisierten Schülerpressekonferenz den Autor Behzad Karim Khani interviewt. Khani wurde im Herbst durch seinen Roman "Hund, Wolf, Schakal" bekannt.

Behzad Karim Khani (vorne Zweiter von rechts) und die Zischup-Reporterinnen und -Reporter nach dem Interview im Hof des Südufers in Freiburg Foto: Sonja Zellmann
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Behzad Karim Khani war auf Einladung des Literaturhauses und des Kulturvereins Wundertüte aus Freiburg Haslach zu einer Lesung im "Südufer" in Freiburg. Vor der öffentlichen Veranstaltung fand das Gespräch mit Schülerinnen und Schülern des Georg-Büchner-Gymnasiums Rheinfelden und einer Schülerin der Pestalozzi-Realschule Freiburg statt.

Zischup: War es für Sie schwer, einen Verlag für Ihr Buch zu finden?
Karim Khani: Nein, bei mir war es ein besonderer Fall. Normalerweise schreibt man erst das Buch und versucht dann, einen Agenten zu finden und einen Verlag. Wenn sie das Buch veröffentlicht wird, kommt ein Literaturkritiker und schreibt etwas darüber. Bei mir war es andersrum. Ich hatte drei Artikel in Zeitungen geschrieben, über die ein Literaturkritiker auf mich aufmerksam wurde. Er fragte mich, wie weit ich mit diesem Buch sei, von dem ich gerade mal 40 Seiten geschrieben hatte. Er hat mich dann an einen Verlag vermittelt, ich bekam einen Vertrag und dann schrieb ich erst fertig.

Zischup: Wollten Sie schon immer Autor werden?
Karim Khani: Das war für mich eher Plan B. Mein Vater war ein Autor und man hat bei mir auch relativ früh festgestellt, dass ich sehr gut schreiben kann. Ich hatte mich dagegen immer gewehrt, weil ich es immer als Druck von meiner Familie wahrgenommen habe. Durch meine Kindheit und das Leben in Deutschland hatte ich das Gefühl, dass mich Schreiben nicht durch den Alltag bringen kann und man damit nicht besonders punkten kann.

Zischup: Wer hat Sie inspiriert?
Karim Khani: Viele. Peter Weiss ist auf jeden Fall zu nennen, Albert Camus, James Baldwin und – das mögen die Lehrer, aber die Schüler vielleicht nicht – Heinrich Böll ist auch dabei.

Zischup: Gibt es gewisse Metaphern oder Stellen im Buch, in die Sie mehr reininterpretieren als der Leser selbst?
Karim Khani: Ja, sehr viele. Ich glaube, jedes Buch hat eine Ebene, die keiner versteht, außer der Autor selbst. Ich freue mich auch bei Kritiken, die in die Tiefen gegangen sind und diese Momente gefunden haben. Dabei bin ich manchmal auch inspiriert, weil die Leute manchmal etwas sehen, das ich nie aufgeschrieben habe. Aber das Lesen ist ja auch ein kreativer Akt. Jeder hat ein anderes Verständnis und eine andere Vorstellung von bestimmten Sachen. Wenn man ein Buch veröffentlicht und es jeder lesen kann, entsteht eine neue Spiegelung, die ich sehr interessant und manchmal auch witzig finde. Eine Metapher, die das Buch konstant begleitet, sind Insekten und Fliegen. Auf Stillleben aus der Renaissance oder dem Mittelalter gab es immer eine Fliege als Gedenken an den Tod. Das war so ein kleiner Spaß, den ich für mich selbst habe.
Weitere Texte von Zischup-Schülerinnen und Schülern gibt es hier!

Zischup: Gibt es Überschneidungen zwischen Ihrem Leben und dem Roman?
Karim Khani: Ja, sehr viele sogar. Der ältere Bruder, der diese schlimmen Dinge tut und später auch im Gefängnis landet, ist die Person, die ich mal gewesen bin oder geworden wäre, wenn ich so 20 Kilo stärker gewesen wäre und meine Probleme mit Gewalt hätte lösen können. Das ist mir im Nachhinein zum Glück nicht gelungen. Der zweite Bruder ist diplomatischer und manchmal auch opportunistisch, wobei er einen gewissen Charme hat. Er könnte auch die andere Seite von mir sein. Meine Idee war zu zeigen, was passieren würde, wenn mein jetziges Ich auf mein altes Ich treffen würde und sie interagieren würden. Danach entwickeln die Figuren natürlich auch ihr Eigenleben. Ich war zum Beispiel nie im Gefängnis, aber Saam, die Hauptfigur, musste da rein.

Zischup: Was ist Ihre Lieblingsszene?

Karim Khani: Ich habe viele. Da, wo die Atmosphäre beschrieben wird, zum Beispiel das Rumhängen draußen, die Beschreibung der Leute als Ghettoplankton, die Beschreibung der Sonnenallee, die Schrebergartenszene.



Zischup: Haben Sie zuerst die Charaktereigenschaften der Personen entwickelt oder sich erst Gedanken über die Handlung gemacht?
Karim Khani: Ein Autor hat mal gesagt, dass es zwei verschiedene Arten von Autoren gibt. Die einen sind wie ein Architekt, bauen zuerst das Gerüst beziehungsweise das Haus, planen die Statik und bauen das dann fleißig auf. Und die anderen sind eher Gärtner. Die hier mal was pflanzen und da mal was pflanzen, schauen, ob das gedeiht. Dann gießen sie mal falsch und mal richtig. Nach dem Schreiben findet ein Lektorat mit einem Lektor statt, den jeder Autor hat. Bei den Gärtnern ist es so, dass der Lektor einen Faden durch diesen Gedankendschungel macht und bestimmte Dinge umpflanzt. Er betreibt sozusagen Landschaftsarchitektur. Ich war bei der Entwicklung dieses Buches eher der Typ Gärtner. Es entwickelte sich immer irgendwas. Beispielsweise hatte ich mir mal überlegt, ob der ältere Bruder eine Freundin haben sollte, und habe das dann eine Zeit lang bearbeitet. Später fand ich es nicht so gut und es ist dann auch weggefallen. Während dieser Zeit habe ich aber etwas anderes gefunden, das für die Handlung interessant war. Es war viel Bastelei. Bei meinem zweiten Buch mache ich das nicht so.

Zischup: Was sind Ihre ersten Erinnerungen an Deutschland nach Ihrer Flucht aus dem Iran?
Karim Khani: Ich habe die ersten sechs Jahre des Iran-Irak-Krieges im Iran erlebt, habe gesehen, wie die Wirtschaft zerstört wurde und wie alles, auch unsere Flucht, von dem Dollar und der Deutschen Mark abhing. Es war so relevant, dass sogar die Acht- und Neunjährigen auf dem Schulhof darüber sprachen. Für mich war diese Mark, als würdet ihr eine Goldmünze im Wald finden. Als wir dann in München am Flughafen gelandet sind, habe ich zehn Pfennig gefunden, die für mich so eine Aura hatten, die mir das Gefühl gaben, dass ich das nicht aufheben darf. Das ist meine allererste Erinnerung an Deutschland. Die zweite war auch in München. Ich war ein ziemlich guter Fußballer und mein erster Satz, den ich gelernt habe, war: "Darf ich mit euch Fußball spielen?" Da habe ich mit blonden Jungs, die Bayerntrikots anhatten, zusammen Fußball gespielt. Bei uns zu Hause gab es nicht diese echten Trikots, weshalb ich dachte, dass ich gegen Bayern spiele!

Zischup: Wie lange brauchen Sie ungefähr, um ein Buch zu schreiben?
Karim Khani: Das erste Buch hatte ich eigentlich angelegt als Drehbuch, habe es dann weggepackt und erst sechs bis acht Jahre später wieder rausgetan. Vier Jahre lang habe ich dann dran geschrieben, dann haben wir noch über ein Jahr lektoriert, das Buch also überprüft.

Zischup: Haben Sie es denn, wie viele andere Autoren, schwer, Geld zu verdienen? Sie hatten ja auch mal eine Bar.
Karim Khani: Nein, ich habe es nicht schwer. Für Autoren ist es dennoch wichtig, etwas zu haben, was sie auch ernährt. Und um schreiben zu können, was sie möchten. Ich lebe nicht mehr von der Bar, da ich das Glück hatte, dass das Buch sehr gut angenommen wurde. Mit Lesungen und den Filmrechten, welche ich für mein Buch verkauft habe, verdiene ich genug. Außerdem gibt es auch einen Vorschuss für das nächste Buch. Es gibt außerdem ein Stipendium, für das ich mich im Moment bewerbe. Damit bekommt man monatlich Geld, um sich wirklich auf das Schreiben zu konzentrieren.

Zischup: Haben Sie schlechte Erfahrungen gesammelt, nachdem Sie nach Deutschland gekommen waren?
Karim Khani: Ich habe sehr viele negative Erinnerungen an meine Jugend. Ich hatte eine Jugend, die komplett geprägt war durch Gefühle der Ausgrenzung, permanente Gewalt. Sehr viel definierte sich darüber, wo man herkam oder wie viel Geld man hatte.



Zischup: Wie ist heute Ihre Verbindung zum Iran?

Karim Khani: Ich habe Familie dort. Ich habe die iranische Staatsbürgerschaft und spreche Persisch. Meine gefühlte Identität ist Ausländer. Unfreiwillig fühle ich mich heimatlos. Andererseits kann ich die deutsche und die iranische Welt begehen, was ich als große Freiheit empfinde.

Zischup: Wie würden Sie Ihren Schreibstil beschreiben?
Karim Khani: Ich benutze viele Punch Lines, da merkt man, dass ich viel Rap höre. Ich benutze kurze Sätze, Rhythmus und kraftvolle Bilder. Wenn man nahe bei den Figuren bleibt und sie fühlbar macht, tut selbst eine Ohrfeige weh.

Zischup: Was halten Sie von der deutschen Sprache?
Karim Khani: Ich habe die deutsche Sprache schnell gelernt, da meine Eltern darauf viel Wert gelegt haben. Es gab auch keinen Lehrermangel, somit haben wir sogar Extraunterricht bekommen. Ich finde die deutsche Sprache großartig. Ich mag die Präzession und wie man Sätze schachteln oder Wörter kreieren kann.

Zischup: Ich bin traurig, sobald ich ein Buch zu Ende gelesen habe. War das bei Ihnen auch so, nachdem sie Ihr Buch fertiggeschrieben hatten?
Karim Khani: Ja, da die Figuren mich auch durch den Alltag begleitet haben. Man denkt an sie wie an einen Freund. Nach dem Veröffentlichen hat man keinen Einfluss mehr auf sein Buch. Man gibt es raus und die Leute werden es gut oder schlecht finden. Man fragt sich dann durchaus, ob man den Figuren genug mitgegeben hat, damit sie Analysen oder Kritik überstehen können.
Behzad Karim Khani: Hund, Wolf, Schakal. Hanser Berlin, 2022. 288 Seiten, 24 Euro.

Behzad Karim Khani wurde 1977 in Teheran geboren, seine Familie ging 1986 nach Deutschland. Er hat Medienwissenschaften studiert und lebt heute in Berlin-Kreuzberg. In "Hund, Wolf, Schakal" beschreibt er das Schicksal zweier ebenfalls aus dem Iran geflüchteter Brüder in den 1980er Jahren in Neukölln. Für den Roman erhielt er den Debütpreis des Harbour Front Literaturfestivals.

Ressort: Schülertexte

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